Haruki Murakami: „1Q84“
„1Q84“ von Haruki Murakami (2011)
(dt. Ausgabe/Dumont) Science Fiction
Ich las im SPIEGEL (in einer ansonsten eher negativen Kritik), es werde gemunkelt, Murakami würde nur deshalb nie den Literaturnobelpreis bekommen, weil er nicht langweilig genug dafür wäre. Meine Vorurteile gegen den Literaturbetrieb bestärkend, weckte das sofort mein Interesse.
Der Roman handelt von Aomame, einer Auftragsmörderin im Dienste eines Frauenhauses und von Tengo, einem Schriftsteller, der das Erstlingswerk einer exzentrischen 17jährigen überarbeiten soll, sowie einer Anderswelt mit zwei Monden (einer davon grün, auf dem anderen ist eine gemeinsame Raumstation der USA und UDSSR geplant). Beide Figuren kennen sich aus Schulzeiten, haben seit damals jedoch den Kontakt verloren, obwohl sie einander aus der Ferne lieben. Ihre Wege kreuzen sich jedoch, als Aomame mit einer Sekte zu tun bekommt, die mit den Little People (seltsamen Zwergen, welche das Universum zu steuern scheinen) zu tun hat und von denen der von Tengo bearbeitete Roman handelt.
Eine bunte Mischung, die Murakami auch ohne künstliche Verkomplizierungen interessant zu erzählen versteht, langweilig ist es also tatsächlich nicht.
Ich hatte jedoch zuweilen einen unangenehmen Beigeschmack, was die Ideologie angeht und fühlte mich stellenweise gar an den verruchten Stieg Larsson erinnert… obwohl es dann doch nicht so schlimm kam. Eine Mörderin als Hauptfigur an sich ist kein Problem, ich schätze villain protagonists sehr, nur als eine solche ist Aomame nicht gezeichnet. Sie rächt misshandelte Ehefrauen (dass auch Männern zuweilen Leid angetan wird, blendet der Roman vollständig aus), indem sie ihre Männer schnell und schmerzlos tötet. Nichts fanatisches oder feministisches spielt in die sachliche Auslöschung der unsympathischen Opfer (die ebenfalls in der Regel reich sind, um ein einfaches Weltbild zu erhalten), doch es wird einfach zuweilen zu sehr entschuldigt und als zu selbstverständlich richtiges Beseitigen von Unwertem geschildert. Das ist einfach eine an sich unangenehme Herangehensweise.
Ohne das Ende zu verraten, sei jedoch versichert, dass es später relativiert wird. Der eindeutig scheinende Fall eines kindesmissbrauchenden Sektenführers den Aomame gerade bearbeitet, stellt sich als komplexer heraus, als es anfangs schien und auch die Heldin ist bereit, Konsequenzen aus ihrer Handlung zu tragen. – Anders, als die Heiligsprechung seiner Existenzrecht entziehenden Foltermagd bei Larsson. Zudem täuscht dieses Buch keine Aktualität und Relevanz vor, sondern spielt in einer Welt voller schicksalsspinnender Little People und telekinetischer Riesen. Das ermöglicht einen anderen moralischen Spielraum.
Zuweilen befremdlich, jedoch dem Unterhaltungswert zuträglich ist, wenn kulturelle Unterschiede zwischen Deutschland und Japan aufklaffen: So würde hier wohl niemand, um die Wichtigkeit des richtigen Timings bei der Selbstverteidigung zu preisen, Hitlers Angriff auf Holland und Belgien als löbliches Beispiel nennen. Auch, dass Tengos ewige Liebe zu Aomame, die er zu Schulzeiten kannte, dann aber aus den Augen verlor damit ausgedrückt wird, dass er begehrlich an ihren damals kindlichen Körper denkt, wirkt eigenartig.
Ich erwähnte, dass Murakami den Roman nicht künstlich unzugänglich macht, wie viele Leute, die glauben, durch das Weglassen von Anführungszeichen oder willkürliche Tempus-Wechsel würde das literarische Niveau steigen. Eine Ausnahme ist jedoch seine Bezugnahme auf Klassiker, die eher ungehobelt, denn elegant wirkt. So liest Tengo an einer Stelle ein Kapitel aus Anton Tschechows „Die Insel Sachalin“, welches fast vollständig wiedergegeben wird und dennoch wird später der berühmte Ausspruch des Autors, wenn in der ersten Hälfte einer Geschichte ein Revolver vorkäme, werde er in der zweiten auch benutzt zitiert. Durch die Doppelung des Autors wirkt es nicht gebildet, sondern eher, als wenn Murakami sonst niemanden zu zitieren wüsste. Ähnlich, mit Orwell (in dessen berühmtem Jahr der Roman spielt – das „Q“ markiert die Zeitrechnung im anderen Universum), oder wenn er sich an anderer Stelle um die Nennung des „Faust“ (den zumindest vom Titel jeder kennen dürfte) mogelt und eine Figur nur von „dieser Geschichte mit Mephisto“ sprechen lässt. Etwas grobschlächtig, wie ich meine.
Dennoch ein lesenswerter Roman, der am Ende seine Handlung vielleicht etwas wenig aufklärt und endet, bevor seine fantastischen Elemente wirklich ins Rollen kommen, der jeodch viel von dem Elend vermeidet, das zeitgenössischer Literatur so oft zusetzt.
(Dirk M. Jürgens)
# 14 … in welcher der Autor krank darniederliegt | Weird Fiction
27. November 2011 @ 18:42
[…] Tagen mit einer unangenehmen Erkältung darnieder liege. Glücklicherweise hat der ehrenwerte Herr Jürgens aber eine Buchbesprechung geschrieben, die uns das erste Adventswochenende trotzdem versüßen […]