„Köselmanns Insel“ von Dirk M. Jürgens
Diese Kurzgeschichte ist so kurz, daß sie ebenso kurz zusammengefasst werden muss, es sei jedoch vermerkt, daß sie so großartig ist, daß Sie sie keinesfalls verpassen dürfen!
Ein Flugzeugabsturz. Ein Mann und ein Kind, gestrandet auf einer einsamen Insel. Amtssprache: Köselmännisch. (Copyright 2005 Weirdfiction.de)
Dass Ralf Peter Köselmann nichts vom aktuellen politischen Tagesgeschehen mitbekam, lag nicht an seinem Desinteresse an demselben, sondern dem Umstand, dass er seit sechzehn Jahren auf einer einsamen Insel festsaß. Zwar war er dort nicht völlig alleine, doch dazu gleich mehr.
Vor besagten sechzehn Jahren hatte er das zweifelhafte Glück, einen Flugzeugabsturz auf See zu überleben und für tot erklärt zu werden. Es war ihm damals jedoch gelungen, sich auf diese kleine Insel zu retten, deren Früchte ihn seitdem in Zusammenarbeit mit dem Meer am Leben erhielten.
Nachdem nun also die generellen Umstände erläutert wurden, kann auch die Identität seiner Gesellschaft enthüllt werden: außer ihm hatte noch ein etwa einjähriges Mädchen (dessen Namen er natürlich nicht kannte) den Absturz überlebt und war notgedrungen von ihm adoptiert worden. Zuerst fühlte sich der alleinstehende Herr Köselmann von seiner plötzlichen Aufgabe als Erziehungsberechtigter etwas überfordert, dann fiel ihm jedoch ein, wie er das Kind zumindest zu Unterhaltungszwecken nutzen konnte.
Denn obwohl er in seinem bisherigen Alltagsleben (als Kaufmann im Einzelhandel) wenig mit Linguistik zu tun hatte, beschloss er nämlich hier, in der Abgeschiedenheit seines neuen Reiches, eine eigene Sprache – Köselmännisch – zu entwickeln. Da es ihm jedoch an Phantasie fehlte, wollte er sie vollständig aus Worten seiner deutschen Muttersprache zusammensetzen, und das Mädchen sollte als sein einziger Untertan gleich damit aufwachsen.
So taufte er es auf den typisch köselmännischen Namen „Pfefferstreuer“ und begann, sie seine neue Sprache zu lehren.Die Jahre vergingen, die paar Brocken Englisch, die Pfefferstreuer (die eigentlich Lucy hieß) in ihrem ersten Lebensjahr von ihrer Mutter aufgeschnappt hatte, waren bald vergessen und sie sprach und dachte nur noch auf Köselmännisch. Wenn Köselmann zum Beispiel Durst hatte und etwas Wasser wünschte, so sagte er zu ihr: „Gelbgrün Regenschirm heimlich laufen?“, woraufhin sie antwortete: „Fliegen Beinarbeit!“ um dann zur Quelle zu laufen. So verbrachten die beiden die sechzehn Jahre, er in dem Triumph, seine eigene Sprache etabliert zu haben, sie in dem Glauben, ihre Lebensweise sei die normale.
Nach diesen sechzehn Jahren, spürte Herr Köselmann, dass er bald sterben würde und er rief Pfefferstreuer zu sich: „Fesselballon, Ägypten fiepen silbrig, Pfefferstreuer!“ – „Trieft Gabelstapler!“ unterbrach sie ihn erschrocken.
Köselmann lächelte traurig und strich ihr übers Haar. „Schlaff schraubt Knoten; eventuell Mast.“ Dann schloss er die Augen – für immer.
Pfefferstreuer begrub ihn unter einem Baum, in dessen Rinde sie die Worte „Ralf Peter Köselmann – befremdlich kratzt sickern.“ ritzte.Es waren kaum zwei Wochen (nach Köselmannscher Zeitrechnung etwa siebzehn Nasennebenhöhlen) vergangen, als das geschah, worauf Köselmann all die Jahre nicht zu hoffen gewagt hatte: Der Pilot einer kleinen Cessna sah aus der Luft die kleine Hütte, die Köselmann vor Jahren gebaut hatte und in der nun Pfefferstreuer lebte und beschloss zu landen.
Als er und sein Copilot an den Strand kamen, trat ihnen Pfefferstreuer entgegen. Ihr Ziehvater hatte ihr öfters erzählt, dass es auch an anderen Orten Menschen gab und sie hatte sich schon lange insgeheim zurechtgelegt, wie sie diese begrüßen würde, sollten sie einmal hier ankommen.
„Katzenstreu!“ grüßte sie feierlich. „Tabak mäßig in Festakt bald klein!“
Die Männer sahen sich verblüfft an, so dass Pfefferstreuer sich zu weiteren Erklärungen genötigt sah.
„Halbtags fraglich Sonderangebot…Ecke Monitor befreite Glanz?“
„Die scheint nicht ganz richtig im Kopf zu sein.“ Meinte der Pilot zu seinem Kollegen.
„Kein Wunder,“ antwortete dieser „Wer weiß, wie lange die arme schon hier ist!“
„Sendungsbewusstsein, kalt.“ Hauchte Pfefferstreuer verunsichert.