Lovestory mit Gewaltfurz
Wenn ich an meine letzten zwei Schuljahre zurückdenke, dann meist mit der festen Überzeugung, daß ich sie keinesfalls noch einmal absolvieren möchte. Ich fühlte mich ständigem Streß ausgesetzt, zumal das Meiste, was um mich herum geschah, irgendwie keinen Sinn ergab. Ich saß am liebsten daheim und zeichnete, hörte The Clash oder Rob Zombie und sah mir Filme an. Heutzutage weiß ich, daß mir lediglich die Einsicht fehlte, daß das Leben als solches nunmal keinen Sinn macht. Es ist fatal, die Wirklichkeit an Wunschvorstellungen und Fiktionen zu messen und viel gesünder, es als das zu akzeptieren was es ist.
Oftmals habe ich mir damals gewünscht, es gäbe so etwas wie eine Gebrauchsanweisung für das Leben, so eine Art Hitchhiker’s Guide für alles Zwischenmenschliche: Keine Panik! Das wäre äußerst hilfreich gewesen. Andere schienen zu verstehen, wie es funktioniert, allerdings gaben die sich auch mit einer ganz anderen Quelle der Weisheit zufrieden, die offenbar für den Normalbetrieb völlig ausreicht(e) und die ich aus Prinzip verschmähte, weil ich sie (das tue ich noch heute) für strunzdumm hielt: die Bravo.
Vor ein paar Tagen surfte ich durch das Web, um nach News zum neuen Adventuregame „Night of the Rabbit“ zu suchen, das mein Bruder derzeit bei Daedalic in Hamburg produziert. Einen von mehreren Vorschauartikel fand ich bei der Bravo und, amüsiert über den Fund, hielt ich meiner Freundin das Mobiltelefon entgegen um damit anzugeben. Nach kurzem Überfliegen des Artikels überkam mich der Drang, auf die „Foto-Lovestory“ zu klicken, die unweit verlinkt wurde.
Ich war gespannt: Ein sequentiell erzählter Slice-of-Life-Happen echten, aktuellen Teenie-Lebens! Ein erwartungsvolles Grinsen schlich sich in meine Visage und ich gebe zu, es war sicher ein wenig kulturelle Schadenfreude dabei. Das Ding würde an die Wand fahren und ich gab meinem Gehirn für eine Punktewertung die Disziplinen „Humor“, „jugendkulturelle Authentizität“ und „what-the-fuck“ zu bedenken. Nach kurzer Inkenntnissetzung meiner Freundin über das Angeklickte waren es bereits zwei paar Augen, die sich dem sage und schreibe 81 Bilder langen Epos mit dem Titel „Zu peinlich für die Liebe?“ zuwandten.
„Zu peinlich für die Liebe?“ schildert eine kurze Episode aus dem Leben der, wie wir erfahren, tolpatschigen Amelie. Amelie und ihre beste Freundin Lisa segeln fröhlich durch den Schulkorridor und, ja, man freut sich schon auf den Schulalltag, nur auf die arrogante Mitschülerin Nadja, auf die freuen sie sich nicht. Die ist allerdings gerade dabei, den Klassenneulig Len vollzuschwafeln. Diesen jungen Mann erblicken die beiden Freundinnen nun zum ersten Mal „in the flesh“ und deklarieren ihn als süß. Amelie ist beherzt und offen und will Len (für den sie auf mädchenhafte Art spontan schwärmt) die Hand geben, rutscht aber auf einem Blatt Papier aus (hier ist die Sequenz der Foto-Lovestory leider falsch sortiert) und legt sich mächtig auf die Fresse. Das kann ja mal passieren, aber knuffige Teenies wie Amelie ist das natürlich fuuuurchtbar peinlich. Kann sie jetzt noch bei Len landen? Darüber hat sie während des Unterrichts mächtig zu grübeln und auch nach der Schule redet sie mit ihrer besten Freundin Lisa über nichts anderes. Ja, da kann man nichts machen, aber auch die Natur ruft ab und an und deshalb deklariert Amelie, zum Glück sei keiner in der Nähe, da könne sie ja mal eben Pupsen.
Bildzitat: „http://www.bravo.de/lifestyle/foto-lovestory/zu-peinlich-fuer-die-liebe/ex/page/12“ |
Ja, unbefangen zu pupsen, das ist natürlich eines unserer größten Güter und auch ein wenig Pupsen macht ein knuffiges Mädchen nicht gänzlich unattraktiv (chronische oder gar willkürliche Flatulenz mal nicht vorausgesetzt). Es wird also gepupst, doch oh weh, Len ist da und fragt sich was denn da so stinkt („Riecht echt wie ein Gewaltfurz!“). Natürlich ist das wieder mächtig peinlich: erst auf die Fresse fallen und dann rumpupsen, da hat Amelie wohl schlechte Karten beim attraktiven Len! Da ist dann auch Nadja wieder im Bilde und lädt den (widerwillig folgenden) Sitzenbleiber zum Mathelernen ein und gibt unmissverständliche Signale, daß sie mehr als nur Parabelschablonen zu bieten hat. Dickes Haus, reicher Vater, ja, da wissen auch Lisa und Amelie, daß man da schwer mithalten kann. Und wie Amelies Pups noch verfliegt so schwindet auch die Hoffnung auf ein romantisches Zusammentreffen mit Len, den Amelie immerhin schon einen Schultag lang kennt.
Ich möchte mich nun etwas kurz fassen, zumal die Foto-Lovestory für sich spricht und von vorn bis hinten zitierenswert bleibt. Nadjas Vater ist Pilot und nachdem er sich beim ABC-Schützen Len kumpelhaft vorstellt, muß er auch schon zum nächsten Transatlantik-Flug und gibt somit das altbekannte Signal für eine „sturmfreie Bude“. Len entzieht sich Nadjas Avancen gekonnt: nachdem die Mitschülerin sich bereits sprüchklopfend auf einem Bärenfell räkelt und am kleinen Finger kaut wird ihm schnell klar, hier gibt es mathetechnisch nichts zu holen, also ab nach Hause!
Am nächsten Tag in der Schule: auch unsere knuffige Protagonistin Amelie bekommt von Len, der sich langsam erntshaft um seine Mathenote sorgt, die Chance, ihm bei ihr zu Hause Nachhilfe zu geben. Zu Amelies Entsetzen haben Vati und Mutti aber einen schlechten Tag. Sie scheinen der Intelligentia anzugehören (da ist man generell etwas verpeilter denn als z.B. waschechter Pilot), und Amelies Vater spricht mit leerem Blick ausschliesslich Latein wohingegen ihre Frau Mutter dem völlig verdatterten Len schon mal Kinderfotos ihrer Tochter vor die Latte hält. Ja Mensch, ist denn da noch was zu retten? Len macht sich auch hier vom Acker.
Pool-Party bei Nadja! Aber nein, so etwas, Amelie ist aus lauter Gehässigkeit seitens der Gastgeberin ausdrücklich nicht eingeladen worden. Nun fasst Amelie sich jedoch ein Herz und schleicht sich auf die Party, um Len ihre wahren Gefühle zu offenbaren und geradezubiegen, was ihre Erzeuger vergurkt haben. Wie erwartet lässt Len sich mal wieder von Nadja becircen und als Amelie herbeieilt, um endlich alles zum Guten zu wenden, da stolpert sie doch kopfüber in den Pool! Alle Gäste der Party lachen das noch schwimmende Mädchen aus und schnell wird Nadja zu Wortführerin des Spotts. Da schreitet Len ein, weist Nadja und die Spottenden zurecht und hilft seiner Klassenkameradin, der er nun endlich gesteht, nur Augen für sie gehabt zu haben, seine wahren Gefühle. Len und Amelie küssen sich. Sie sind nass und glücklich und Nadja schmollt. Ja, so kann es gehen mit der Liebe!
„Zu peinlich für die Liebe?“ ist zum Haare raufen mies aber sicher auch lustig. Ist es so schlecht, daß es schon wieder gut ist? Ich weiß es nicht, bin mir auch absolut unsicher, was die Intention der „Autoren“ betrifft. Dumpfbackig, ulkig, unverfänglich. Ich glaube allerdings, daß das Ganze dermaßen weltfremd ist, daß es keinen Mehrwert für den heranwachsenden Leser hat. Ist die Anleitung für’s Leben also eher in Doktor Sommers Leserbriefecke zu finden? Möglich! Ich mag es nicht einschätzen, darf aber an dieser Stelle feststellen, daß die Frage „Zu peinlich für die Liebe?“ sicher von Fall zu Fall entschieden werden muß! Ein mögliches Trinkspiel zur Foto-Lovestory wäre übrigens das fröhliche Auffinden von Fehlern in der Rechtschreibung! (Nur für Hartgesottene)
-Sebastian