Orson Scott Card: „Enders Spiel“
Orson Scott Card: „Enders Spiel“ (1985. Dt. Ausgabe/Kindle. Originaltitel „Ender’s Game“) Science Fiction
Schieben wir erstmal das beiseite: Ja, Autor Card hat sich in Fragen der Homosexualität zuhöchst unsympathisch geäußert, weshalb ich jeden verstehe, der ihn durch den Kauf seiner Bücher nicht fördern möchte. Ich habe es aber dennoch getan, weil mich die Kontroverse um das Werk mehr interessierte, als die um den Macher.
Denn auch der Roman wird oft ideologisch verdammt, was ich in der Außenbetrachtung verstehen konnte, nach der Lektüre aber nicht mehr. Ja, er mag zum Lesekanon des US Marine Corps gehören und das zurecht, da er einiges über Teamführung zu sagen hat, aber ein Werk sollte für sich und nicht nach seinen Anhängern beurteilt werden.
Zum Inhalt: Mit sechs Jahren wird der hochbegabte Andrew „Ender“ Wiggin zu den Streitkräften eingezogen, da man seinen überlegenen Geist als Stratege im Krieg gegen die Insektoiden „Bugger“ (viel zu harmlos und niedlich als „Krabbler“ übersetzt) braucht. Der Roman erzählt seine Ausbildung, bei der man ihn gezielt schikaniert, von den anderen Kadetten isoliert und alles tut, um ihn zu der Waffe zu formen, die man braucht.
Die oberflächlichen Ähnlichkeiten zu Heinleins furchtbarem „Starship Troopers“ liegen also auf der Hand und man könnte argwöhnen, sie würden noch verschlimmert dadurch, dass es hier um Kindersoldaten geht. Damit greift man aber zu kurz: Denn wo Heinlein predigt, erzählt Card. Niemand kann leugnen, dass das, was Ender angetan wird, effektiv ist und es auch im richtigen Leben wäre, doch wird es dem Leser nie als eine gute Sache verkauft. „Enders Spiel“ ist eine an die Nieren gehende Geschichte eines gigantischen Missbrauchs, dessen Verwerflichkeit auch denen bewusst ist, die ihn begehen. Sie halten ihn für unvermeidbar, doch nie für richtig. Und selbst diese Unvermeidbarkeit wird in einer Reihe der bösartigsten Pointen am Ende des Romans verneint, so dass nur ein gewaltiges Verbrechen bleibt.
Nicht nur wird Enders Leid stets in aller Drastik gezeigt, auch seine moralische Wertung wird entschieden geteilt. So verständlich und unvermeidbar ist, was er tut, verabscheut er sich selbst. Seine vermeintlichen Heldentaten werden von ihm, wie auch dem Erzähler nie anders, denn als Mord bezeichnet. Wo Heinlein strahlend erklärt, wie richtig es ist, zwecks psychologischer Kriegsführung Zivilisten zu töten, betrauert Card den Tod selbst von Kriegerinsekten. Etwas derartig humanistisches dürfte man im Bereich der Military-SF nicht noch einmal finden.
Was moralisch keine Probleme bereitet, ist auch literarisch gute Arbeit: Anfangs erscheint der übermenschlich kluge Ender teils wie eine Potenzfantasie, doch ist diese Überlegenheit nötig, um seine ungewohnt frühe Militärkarriere zu begründen. Die dargestellte Welt ist zudem recht originell, als dass die Erde angesichts der Bedrohung keinesfalls geeint ist, sondern die Mächte von Ost und West bereits in den Startlöchern stehen, um nach der Abwehr der Krabbler über einander herzufallen. Der Krieg selbst findet so weit entfernt statt, dass die irdische Streitmacht bereits seit 30 Jahren dorthin unterwegs ist, weshalb ihre Technik schon längst überholt wurde. Das ist gute und stimmige Science Fiction, die den Rahmen für eine emotional wie intellektuell ergreifende Geschichte bildet. Es ob der Jugend des Helden für ein Kinderbuch zu halten, ist zudem ein grotesker Fehler, den die Verfilmung (der ich ob der Betonung des Romans auf innerpsychischen Vorgängen wenig Chancen ausrechne) wiederholt zu haben scheint.
Ich kenne die Fortsetzungen nicht, ich billige nicht, was O. S. Card privat sagt, aber mit „Enders Spiel“ hat er einen großen und überaus moralischen Meilenstein der Science Fiction geschrieben.