„Martyrs“
„Martyrs“ oder Guckt mal – ich bin voll philosophisch!
(2008) von Pascal Laugier
Bevor ich näheres zu diesem als auch so hart/krank/schockierend und doch irgendwie intelligent verschrienen Film schreibe, möchte ich allgemein sagen, dass mir der Ausdruck „Tortureporn“ missfällt. So hart manche modernen Horrorfilme auch sind, ein pornographisches Aufgeilen daran habe ich bei keinem der so bezeichneten Filme (mein Urteil richtet sich hier nach den ersten beiden „Saw“-Teilen, „Hostel“ und eben „Martyrs“) Gott sei dank nicht feststellen können. Ob die neue Härte wirklich soviel härter ist, als die letzte Horrorwelle, weiß ich auch nicht sicher. Sie trifft uns natürlich viel mehr, weil sie an unsere Sehgewohnheiten anknüpft, während ein 70er Jahre Splatterer weiterhin komische Frisuren und körnige Optik hat, die ihn für uns, die Nichtzeitgenossen verfremdet. Das ausgeklammert weiß ich nicht, ob das jetzt Gebotene wirklich schlimmer ist als die (mir nur vom Hörensagen bekannten) „Guinea Pig“, „Cannibal Holocaust“ und „Men Behind the Sun“.
Ohne jetzt Eli Roths Gerede seiner politischen Sendung glauben zu wollen, besteht im aktuellen Folter-Trend wohl tatsächlich eine Reaktion auf die Menschenrechtsverletzungen der letzten Nahost-Kriege. Schließlich verhandelte das Horror-Genre schon immer (meist verklausuliert) die realen Ängste seiner Zeit, weshalb der frühe Universal Horror eher harmlos war (es waren amerikanische Produktionen und der Krieg war weit weg), während unter dem Eindruck von Vietnam auf einmal der Splatterfilm geboren wurde. Will das Genre weiterhin seine Funktion erfüllen, kann es nicht weniger schlimm sein, als die Nachrichten. Daher sehe ich den aktuellen Gewalttrend als einfache, unvermeidliche Folge der Entwicklung der Welt. WIE es damit umgeht, ist natürlich eine andere Frage: ein sadistisches Aufgeilen am Leid unschuldiger Opfer ist weiterhin verwerflich, kommt aber auch seltener in den neuen Filmen vor, als gemeinhin behauptet. Moralisch minderwertigen Dreck gab es auch schon damals in den Siebzigern. Wir, die wir mit „gesundem“ Horror wie „Freitag der 13.“ und „Dawon of the Dead“ aufgewachsen sind müssen akzeptieren, dass das was nun gedreht wird, uns so befremdet, wie unsere Filme die mit „Dracula“ und „Frankenstein“ sozialisierten Generationen vor uns. Es scheint mir momentan eher eine Frage der Werbung (welche ja immer wieder gerne angebliche oder tatsächliche Härte-Exzesse in den Mittelpunkt stellt), als der Filme selbst zu sein.
Doch zu „Martyrs“.
Der ist in erster Linie eines: Nicht aufrüttelnd, nicht innovativ, sondern – bescheuert.
Seine Erzählstruktur ist total verkorkst und schlenkert von einer Szene zur nächsten, bremst sich immer wieder aus und kann kein stimmiges Tempo annehmen. Das ach so schockierende letzte Drittel schafft es, trotz seiner tatsächlichen Schrecken zu langweilen, da es sie kalt, stumm, desinteressiert und ewig lang bringt. Dadurch, das muss man ihm zugute halten, ist er allerdings auch nicht sadistisch. Weder saugt er das Leid des Opfers ein, noch lässt er mit dem recht gesichtslosen Täter fühlen – ewig zeigt er einen monotonen, immer gleichen Kreislauf von Schlagen – Füttern – Waschen, ohne dass die Quantität der x-ten Wiederholung die Qualität erhöht. Man hat irgendwann begriffen „Ja, das ist ganz schön übel…nun aber bitte mal weiter mit dem Film“, doch es geht einfach nicht weiter. Ich muss sagen, dass ich da etwa Costas-Gavras „Das Geständnis“ intensiver fand, der seinem Opfer ein echtes Gesicht und eine Stimme gibt. Die letzte Marter nach dieser Ödnis ist dann wieder äußerst hart und graphisch, wirkt aber eher nach „Itchy & Scratchy“ und damit eher lächerlich, denn schockierend.
Der Film teilt sich in mehrere kleine Abschnitte: Die Teaser-Sequenz wirkt dabei besonders isoliert und will uns halt den Hintergrund erzählen, beharrt aber leider darauf, mit einem selbstzweckhaften Schock zu enden. Die anschließenden Szenen, in denen eine junge Frau mit einer Schrotflinte eine Familie nieder metzelt ist hingegen gutes, hartes Terrorkino – da wir erst nachher die Zusammenhänge erfahren, wird der Film auch hier nicht sadistisch, sondern lässt den Zuschauer auf der Opferperspektive nur Schrecken über das Gezeigte empfinden. Wenn danach die Hintergründe enthüllt werden, schafft „Martyrs“ es tatsächlich, mit seinen Visionen einer verstümmelten Frau guten Horror zu schaffen, auch wenn er etwas auf der Stelle tritt und die Motivation seiner Figuren nicht wirklich gut heraus arbeitet.
Dann irgendwann kommt die große Aufklärung, was hier eigentlich los ist…und die ist ziemlich wenig beeindruckend. Sie leitet direkt in das letzte Drittel über, und lässt das Filmende so ziemlich sofort erahnen. Bestünde der Film nur aus diesem Teil, würde er nicht von Splatterdeppen, sondern Arthouse-Deppen abgefeiert werden (zwei Deppengruppen, die sich ähnlicher sind, als sie selbst wissen. Ähnlich wie die Autonomen und Neo-Nazis, die einander Todfeinde sind, sich aber nur wenig von einander unterscheiden), insbesondere, da er sich natürlich stolz und französisch einer Schlusspointe entzieht.
Würde der Film nicht schon vorher mit Pauken und Trompeten ankündigen, sich für zu klug für ein vernünftiges Ende zu halten, würde man verärgert auffahren, über diesen Beschiss von Schluss, so zuckt man nur mit den Schultern und sieht seine Erwartungen bestätigt.
Ein hohles Nichts von einem Film, welches sich durch Standard-Griffe in Intellektualität zu kleiden versucht und dem durch seine werbewirksame Kontroverse mehr Aufmerksamkeit zuteil wird, als es verdient.
(Dirk M. Jürgens)
#1 (KW 15) Frohe Ostern! - Weird Fiction
11. April 2009 @ 14:56
[…] WeirdFiction.de! Schauen wir doch mal auf unsere Seiten – Kollege Dirk M. Jürgens schaut für uns “Martyrs” (2009), was mal wieder beweist, der Mann ist hart im nehmen. Ich habe dem modernen Folterfilm ja […]
Ranger
7. Juni 2009 @ 19:43
Das alles stimmt voll und ganz. Überlegt man aber, dass der Drehbuchautor und Regisseur das genauso haben wollte – nämlich bei demZuschauer gar keine Chance von Zugänglichkeiten aufkommen zu lassen, ist er dann doch deutlich besser als der ganze Bockmißt was heute groß angepriesen wird. Immerhin ist ja genau das am Ende aufgegangen. Steril, dreckig und distanziert.
Dirk M. Jürgens
8. Juni 2009 @ 10:43
Nun gut, mag sein, dass es in der Absicht des Regisseurs lag, einen schlechten bzw. unwirksamen Film zu machen…dann hat er das Ziel vielleicht erreicht, aber der Film bleibt trotzdem schlecht bzw. unwirksam.
Ähnlich wie Tarantinos „Death Proof“: Absolute Aufgabenerfüllung was die Lahmheit vieler billiger Grindhouse Movies angeht, aber ein guter Film ist dadurch natürlich nicht bei rum gekommen.
Man verstehe mich nicht falsch, ich kann mit kühlen Filmen, wie etwa denen Kubricks durchaus was anfangen, aber ich hatte hier – in Einklang mit dem, wie der Film angepriesen wurde – den Eindruck, man wollte schockieren und nachdenklich machen, war aber nicht hart genug für ersteres und nicht tiefsinnig genug für letzteres.