„Wanted“ von Mark Millar & JG Jones
Amerikanische Originalausgabe von Top Cow Productions, 2008.
Durch die mir noch unbekannte Verfilmung wurde ich auf jene Mini-Serie aufmerksam gemacht, die als das letzte Wort in Sachen Superschurken gilt. Eine Welt, die unserer gleicht, weil das Böse gewonnen und alle Erinnerungen an die Existenz der besiegten Helden ausgelöscht hat? Also die Übertragung des, bei großen Comicverlagen beliebten Prinzips des „Retcons“ in die Handlung selbst? Klingt gut!
Tatsächlich glänzt das Werk auch sonst mit einigen schrägen, Grenzen sprengenden Ideen: So ist der ehemals größte Superheld (ein schwarzhaariger Typ mit Stirnlocke) an den Rollstuhl gefesselt, während der weltbeste Detektiv und sein jugendlicher Helfer alte dicke Schauspieler sind, die ihre früheren Abenteuer nach einer Gehirnwäsche nur als Teil einer albernen TV-Serie erinnern.
Unser Held Wesley ist ein armer Versagertyp (nun, nicht so sehr Versager, dass er nicht eine absolut heiße Freundin hat, auch wenn diese ihn betrügt… so unkonventionell, eine wirklich normal aussehende Frau einzubringen war man dann doch nicht), der übrigens nach dem Rapper Eminem gestaltet wurde und eines Tages erfährt, dass er der Sohn und Erbe eines kürzlich verstorbenen Superschurken ist und nun dessen Platz in der weltbeherrschenden Schurkenorganisation übernehmen soll. Dazu lernt er in hartem Training Schmerz einzustecken, Skrupel und Ekel abzubauen und Freude am Töten zu entwickeln. Das alles ist jedoch schnell abgehakt, eine wirkliche große psychologische Entwicklungsgeschichte ist es nicht und will es auch gar nicht sein.
Interessanter ist eh die Schurkenwelt, in der fast alle Gestalten zwar absolut überzogen sind (etwas Shithead, ein Wesen aus den Fäkalien der 666 bösartigsten Menschen der Geschichte), aber in sich funktionieren und durchaus die mythische Ausstrahlung haben, die in diesen Kreisen nötig ist. Die Haupthandlung dreht sich folglich um deren innerpolitische Angelegenheiten, da man sich uneins ist, ob man weiter im Verborgenen agieren sollte, oder an die Öffentlichkeit treten und seine Herrschaft offiziell machen soll – was natürlich das Risiko mit sich brächte, die Abertausenden von Helden aus anderen Dimensionen anzulocken.
Eine wirklich tolle Grundidee also, die übrigens auf einer Geschichte basiert, mit der Millar in Kindheitstagen von seinem gehässigen Bruder schockiert wurde. Auch gefällt der Kompromiss, dass die Schurken zwar Kostüme haben, diese aber meist nur bei ihren Versammlungen tragen (und natürlich im offenen Krieg, in dem ihre Führungsstreitigkeiten selbstverständlich enden), dazu gibt es ordentlich Gemetzel (Geballer, genauer gesagt – die Superfähigkeit unseres Antihelden ist nämlich… äh… ballern!), viele schräge Gestalten, derbe Sprüche („Only difference between a dream and a nightmare ist how big your balls are“) und ein gerade noch die Lächerlichkeit vermeidender Überschwang an Kraftausdrücken.
Das gewaltige Problem, an dem „Wanted“ meines Erachtens aber scheitert ist, dass es längst nicht so böse ist, wie es sich gibt und für seine Prämisse sein müsste. Zwar zeigt es Wesleys Aufstieg und Glück in den Reihen der Schurken, lässt ihn reichlich morden und (das natürlich nur offscreen) vergewaltigen, bricht am Ende sogar die vierte Wand für eine gehässige Moral, aber abgesehen von diesem Beiwerk liest es sich wie eine normale Geschichte über Superwesen untereinander. In der Schurkenorganisation herrsch Loyalität und Freundschaft, die Gegenspieler unseres Helden sind deutlich als „echte Böse“ gezeichnet, während seine Freunde zurückhaltender sind. Obwohl er am Anfang reichlich aufräumt, was ihn in seinem alten Leben missfiel, so lässt er doch seine erpresserische, ihn betrügende Freundin am Leben und auch seine gehässige Chefin wagt er gerade als „afro-american bitch“ zu bezeichnen… mag er auch morden, wie er will, aber das N-Wort traut man sich dann doch nicht zu, der Inkarnation des Bösen in den Mund zu legen. Dazu passend sind die obligatorischen Supernazis natürlich ebenfalls die bösen Bösen, statt der guten Bösen, zu denen Wes zählt. Seine neue Freundin „The Fox“ erschießt zwar auch grundlos namenlose Passanten in rauen Mengen, aber ansonsten kommt fehlt ihr jede weitere Schurkigkeit von seinem Mentor dem Professor ganz zu schweigen. Genau das also, was „Wanted“ aus der Masse der Superheldencomics hervorheben sollte, fehlt also im Grunde.
Zudem ist die Auflösung am Ende ziemlich billig, indem (Achtung, SPOILER) Wesley halt schlicht und ergreifend alle „bösen Bösen“ abknallt. Sie stehen ihm zu Massen gegenüber, er zückt seine Knarren und schießt all die vielen, ihm theoretisch gleichrangigen und schon länger im Dienst stehenden Superwesen über den Haufen; da fiel Millar wohl einfach kein Ende ein. Irgendeinen besonderen Pfiff, mit dem unser Antiheld sich seinen Sieg verdient, bleibt auch aus. Dann ist es halt irgendwann mal vorbei. Es gibt noch eine letzte Prüfung seiner Härte, die aber in der vorliegenden Form vollkommen verkorkst wird. Da hätte man mit etwas mehr Kaltblütigkeit durchaus was draus machen können, aber so weit, WIRKLICH gegen Familienwerte zu gehen, traut sich Millar dann doch nicht. Schade.
(Dirk M. Jürgens)
#1 (KW 15) Frohe Ostern! - Weird Fiction
11. April 2009 @ 14:57
[…] solche somit nicht nötige sei. Ob die Rechnung für ihn aufgeht, verrät Dirk in seinem Review! Gelesen hat er für uns die US-Comic-Serie “Wanted”! Die letzten Wochen hat man nicht an qualitativem Zelluloid gespart – doch wo die Möglichkeiten […]