James Morrow: „Das Gottesmahl“
„Towing Jehovah“, 1994 (dt. Ausgabe/Heyne) Science Fiction/Fantasy/Satire
Ein Roman, bei dem schon die bloße Inhaltsangabe ausreichen müsste, viele Leser anzulocken, oder absolut abzuschrecken:
Gott ist tot, seine nackte, mehrere Kilometer große Leiche treibt im Meer und sein Himmelreich zerfällt. Die sterbenden Engel fordern nun den Vatikan auf, den Leichnam des Schöpfers zu bergen und zu seiner letzten Ruhe im ewigen Eis zu betten, in der Hoffnung, ihn dort gefroren zu halten, bis man ihn eines Tages reanimieren kann.
So zieht der, durch eine von ihm verursachte Ölkatastrophe traumatisierte Kapitän Anthony Van Horn mit einem Supertanker los, um so die einzige Chance auf göttliche Erlösung zu nutzen, die es im Anno Postdomini 1 noch geben wird. Doch eine Gruppe von Atheisten hat von der Geheimaktion erfahren und setzt alles daran, den Corpus Dei zu zerstören, auf dass der Umstand, dass die Gläubigen nun zufällig recht hatten, nicht wieder den Aberglauben stärken mag.
Man merkt: Morrow hat keine Scheu, sich zwischen alle Stühle zu setzen. Auch der liberale, an muntere ketzerische Spötteleien gewohnte Leser könnte schockiert sein, wenn ein Priester mit dem Jeep eine Expedition auf die Leiche unternimmt, um die Genitalien zu begutachten. Das System der, den deutschen Titel begründenden „umgekehrten Eucharistie“, zu dem man greift, als die Lebensmittel an Bord ausgehen, ist dabei noch ein ganz anderes Kaliber…
Bewundernswert ist vor allem, wie konsequent Morrow sein Konzept eines toten, fleischlichen Gottes umsetzt und die daraus entstehenden Folgen bedenkt. Wie soll die Kirche reagieren? Beweist die Leiche doch einerseits, dass sie zweitausend Jahre lang recht hatten… nun allerdings keinen Gott mehr haben, auf den sie sich berufen können. Und wie soll man sich als wissenschaftlich, rationaler Skeptiker verhalten, wenn man erfährt, dass all die lückenlosen Theorien über Kontinentalverschiebungen falsch sind, da die Erde tatsächlich von riesigen Händen geformt wurde? Und nebenbei, wieso hat Gott eigentlich einen Bauchnabel?
Ebenso stellen sich natürlich die moralischen Fragen: Wenn es kein Nachleben mehr gibt, warum sollen dann die Regeln des Verstorbenen befolgt werden? Kann der Kant’sche Kategorische Imperativ die Lücke stopfen?
Dabei schont der Autor keine Seite: in Kirchenkreisen zeigt sich nun, wer wirklich den Willen Gottes erfüllen und wer bloß Macht aus seinen Symbolen ziehen will, doch auch im Kreise der Skeptiker trennt sich nun die Spreu vom Weizen. Denn nicht jeder, der sich brüstet, rein auf der Grundlage von Fakten vorzugehen, ist frei davon die Fakten zu leugnen, die nicht in sein scheinrationales Weltbild passen, das oftmals nicht weniger aus dem Wunsch nach Überlegenheitsgefühlen (also quasi Erwähltheit) entspringt, als es in offen strenggläubigen Kreisen der Fall ist. Wer dies für Verleumdung hält betrachte so manchen einfältigen Jünger des ja an und für sich ganz vernünftigen Richard Dawkins, welcher die Thesen seines Vorbildes nicht versteht, sondern nur einige Schlagwörter herauszieht, mit denen er seinen Hohn über Andersdenkende möglichst oft verkünden kann. Die Parallelen zu „herkömmlichen“ Religionsstiftern, deren „Seid doch mal friedlich“-Botschaften schon innerhalb weniger Jahre zu „Tötet jeden, der wegen der gleichen Botschaft eines anderen Propheten friedlich ist“ umgedeutet wurden fallen auf. Wie Lessing schon beklagte: Anstatt auf gemeinsamen Grundlagen miteinander auszukommen, messen die Leute lieber den, diesen Kern umkreisenden Lebensgewohnheiten Bedeutung zu, um derer Willen sie die Botschaft selbst unter den Tisch fallen lassen.
Soweit zur Philosophie, zurück zur Literatur.
Es liegt nahe, Parallelen zu Philip Pullmanns „His Dark Materials“-Trilogie zu ziehen, in welcher ja ebenfalls der Tod Gottes behandelt wurde. Ebenso wie Pullmann ist auch Morrow dafür zu loben, dass er am Ende den Tod des Allmächtigen tatsächlich plausibel begründen kann (übrigens nicht, wie ich erwartet hatte, mit dem Nachlassen des Glaubens, auch die gängige Theorie Nietzsches trifft es nicht ganz, auch wenn sie natürlich angesprochen wird), anders als dieser ist er jedoch konsequenter darin, die Folgen zu behandeln. Konstruierte der bekennende Atheist in seinem Werk trotz allem eine, am griechischen Hades inspirierte Unterwelt, in der die Seelen der Verstorbenen weiterleben, so bietet sein satirisch orientierter Kollege keinen solchen Trost. Überraschend versöhnlich dann jedoch das Ende, welches offen lässt, ob der Glaube (ob rational oder irrational) nun als generell positiv oder negativ zu werten ist. Die Beisetzung Gottes ist dann tatsächlich trotz aller ihrer Absurdität nahezu sentimental ergreifend.
Natürlich weist das Buch auch seine Schwächen auf, so ist manche Figurenzeichnung selbst für eine Farce zu grell oder flach und die Ausführungen um den jüdischen Matrosen Weisinger verbrauchen oftmals unangebracht viel Raum, ohne der Handlung allzu sehr zu helfen und am Ende stehen viele Dinge unbereinigt – doch andererseits ist das alles auch nur konsequent, in einer Welt, die das Absolute soeben verloren hat.
Jedem, der weder ein Problem mit blasphemischen Witzen, noch mit etwas religiöser Sentimentalität, dafür aber eine etwas höhere Ekelschwelle hat, kann ich es wärmstens empfehlen.
(Dirk M. Jürgens)