Kostenlose Weird Fiction im Internet: Kurzgeschichten von Lewis Shiner, Kelly Link und Neil Gaiman
Zum Leidwesen der Leseratten unserer Welt ereilte das Kurzgeschichtenmagazin, gedruckt und frei verfügbar, schon im Laufe der letzten zwanzig Jahre das selbe Schicksal wie den Tasmanischen Beutelwolf, den Dodo oder das megafaunische Riesenfaultier Megatherium: Ausgestorben! (Obwohl jedes der drei Genannten sicher dann und wann einmal auftauchen mag, um das genaue Gegenteil von sich zu behaupten.)
Aus eben diesem Grunde kommen viele Autoren zu dem Schluß, daß der Kurzgeschichte im Speziellen auf den Weg geholfen werden muß! Dabei geht es nicht immer nur darum, die Menschen für die klassische Kurzgeschichte zu begeistern, sondern auch einfach darum, daß sie überhaupt erst mal gelesen werden sollen. Als Autor schreibt man ja sogennanten Lesestoff und keine Füllung für manilafarbene Briefumschläge, die auf dem Schreibtisch irgendeines Herausgebers auf die Wiederauferstehung der Kurzgeschichtenhefte warten.
Eine Lösung bietet da natürlich das Internet: Nicht nur wir kleinen Lichter publizieren einige unserer Werke für den kostenlosen Lesegenuss, sondern auch einige wahrhaft namhafte Autoren stellen ihre Geschichten ins Netz. Einige davon haben wir hier zusammengetragen. In zukünftigen Updates dieses Artikels fügen wir hier weitere Fundstücke hinzu, um eine Anlaufstelle für all Diejenigen zu bieten, die ihre Weird Fiction in den deutschen Bibliotheken und Zeitungskiosken vergeblich suchen.
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Lewis Shiner kennen wir als einen der bekannten Vertreter der Cyberpunk-Bewegung der 80er Jahre und wer Bruce Sterlings Kurzgeschichtensammlung „Mirrorshades“ gelesen hat, erinnert sich sicherlich an seine Kurzgeschichte „Till human voices wake us“ und an seine in Kooperation mit Bruce Sterling geschriebe Story „Mozart in Mirrorshades“, mittlerweile legendär in den Kreisen der Cyberpunk-Fans. In seinen späteren Geschichten und Büchern wendet sich Shiner den sanfteren Tönen der Fantasy und des Magischen Realismus vor dem Hintergrund alltäglicher Subkulturen zu. Auch Comics hat er in den 90er Jahren verfasst und schreibt heute noch eine Kolumne über Comics für „The News & Observer“ in seinem Heimatstaat North Carolina.
Im Internet hat sich Lewis Shiner einen revolutionären Akt geleistet: Auf seiner Website gründete er die Fiction Liberation Front, eine Seite, die einen Teil seiner Werke kostenlos zum lesen, drucken und kopieren ambietet. Shiner hob die FLF aus der Taufe um seinen Geschichten neue Aufmerksamkeit zu verschaffen. Ein Besuch lohnt sich! Die Geschichten werden unter der Creative Commons License angeboten, welche bsagt, daß der Stoff frei kopierbar ist und bleibt, solange der Name des Autors genannt und der Text nicht verändert wird. Als ob das nicht genug wäre, gibt es sogar eine Auswahl an Non-Fiction und zwei vollständige Drehbücher auf seiner FLF-Website.
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Warum gibt es eigentlich so wenige weibliche Autoren in der Weird Fiction? Keine Ahnung, aber dafür fallen ihre Arbeiten oftmals umso deutlicher ins Auge: Kelly Link ist eine tolle Autorin und ich bin erstmals einer ihrer Geschichten in Michael Chabons „McSweeney’s Mammoth Treasury of Thrilling Tales“ begegnet: „Catskin“ war der Name der Geschichte und in den ersten Zeilen erfuhr ich, daß Hexen generell Probleme mit ihren Kindern haben, da sie sie entweder rauben oder mit Magie erschaffen müssen, schliesslich weiss doch jeder, daß Hexenbäuche voller Stroh und Ziegelsteine sind und daß sie aus diesem Grund nur Katzen und Häuser und ähnliches auf die Welt werfen können… der Rest der Story war pure Magie und meiner Meinung nach eine der besten Geschichten im Band. Und das neben Stories von Stephen King, Neil Gaiman, Elmore Leonard und Nick Hornby!
Kelly Link arbeitet mittlerweile an der Publikation einiger bedeutender Fantasy-Anthologien mit, bleibt aber mit ihrem Small Beer Press Label immer noch im Selbstverlag. Ihre erste Kurzgeschichtensammlung trägt den Namen „Stranger Things Happen“ und wurde von Fans und Kritikern schnell zum Favoriten des Jahres 2001. Sie ist Preisträgerin u.a. des Hugo und des World-Fantasy-Awards. Ihre Bücher gelten trotzdem immer noch als Underdogs. Nicht nur deshalb, sondern weil sie der Meinung ist, daß Geschichten, die geschrieben wurde auch gelesen werden sollten, hat Miss Link ihr Buch seit 2005 zum kostenlosen Download und Druck angeboten, ebenfalls unter der Creative Commons License. Danke dafür! Ihr neues Buch, erschienen 2006, heißt „Magic for Beginners“ und wurde mit dem Locus Award ausgezeichnet. Auf ihrer Seite gibt es weitere Kurzgeschichten, auch als Audiobooks!
(Am Rande sei bemerkt, daß ich voller Vorurteile bin: Deutsche Übersetzungen haben ja eine gewisse Titel-Krankheit, die leider auch „Stranger Things Happen“ betrifft, das analog zur enthaltenen Short-Story „The Faery-Handbag“ in deutschen Landen „Die Elbenhandtasche: Erzählungen“ genannt wurde. Oh my pizza! – der Titel bringt den verkaufsmäßigen Tod. Muss man das Buch in Deutschland so nennen, weil eine Frau es schrieb? Ich hoffe nicht.)
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Kennen Sie Neil Gaiman? Nun, er ist mein Lieblingsautor, ich werde nicht müde das zu betonen. Geboren in England, revolutionierte die Comics mit seiner über tausendseitigen Sandman-Reihe, gilt als einer der bedeutendsten Geschichtenerzähler unserer Zeit und schreibt Fantasy und Horror und hat einen unheimlich guten Draht zu seinen Lesern.
Auf seiner Website gibt es einige Kurzgeschichten, Interviews und Videos zu lesen, hören und sehen. Ganz besonders zu empfehlen: „A Study in Emerald“, Neil Gaimans fantastische Crossover-Story: Sir Arthur Conan Doyles „Sherlock Holmes“ meets Lovecrafts „Cthulhu Mythos“. Die Geschichte gewann 2004 den Hugo Award für die beste Horror-Kurzgeschichte des Jahres. Besonders bemerkenswert ist obendrein der kostenlose Download als Mp3, vom Autor gelesen (und ursprünglich Teil des astronomisch guten Hörbuches zum kosmisch großartigen Kurzgeschichtenband „Fragile Things“). Es lohnt sich!
(Sebastian Kempke)