„Mamma Mia!“ oder Würdelosigkeit – Der Film
„Mamma Mia!“
(2008) von Phyllida Loyd
Ich hatte nicht damit gerechnet, dass er mich sonderlich begeistern würde, aber ich war doch mal gespannt, wie es funktioniert, ein Musical nachträglich um bestehende ABBA-Songs herum zu schreiben.
Kurze Antwort: Gar nicht!
Emotionale Antwort: VERDAMMTE SCHEISSE IST DAS EINE UNGLAUBLICHE ZUMUTUNG AN JEDES HALBWEGS FUNKTIONIERENDE GEHIRN UND WIE KÖNNEN SICH MERYL STREEP UND PIERCE BROSNAN DANACH NOCH IM SPIEGEL BETRACHTEN?!?
Also ernsthaft… ich habe schon viele, viele schlechte Filme gesehen, aber dieser, der ja nun gar nicht als Trash verschrien ist, schaffte es dennoch, negativ hervor zu stechen. Das Musical umgibt sich ja mit der Entstehungslegende, die Autorin Catherine Johnson habe entdeckt, dass verschiedene ABBA-Songs in einer bestimmten Reihenfolge eine Geschichte erzählen. Nun, wer immer das behauptet, kann sich in der Reihe vertrauenswürdiger Gestalten weit abgeschlagen hinter Baron Münchhausen und Käptn Blaubär einreihen, denn so ziemlich alle Gesangseinlagen sind krampfhaft erzwungen und passen sich eben nicht in die Geschichte ein. – Meryl Streep entdeckt, dass ihre drei Exfreunde in der Gegend sind? Im Titelsong beklagt sie, dass sie ihm/ihnen schon wieder verfällt, nur um ihnen dann relativ ruhig und heiter die Tür zu weisen. Nach einem plötzlichen Gefühlsumschwung heult sie, woraufhin ihr zwei Freundinnen ein zusammenhangsloses Trostlied singen, dessen Text es halt nicht hergibt, dass sie sich auch nur mal nach den Gründen erkundigen. Das tun sie im Dialog danach, in dem sie aber Sprüche klopfend und feixend über ihre Dramatik herziehen und all das eben beschworene Mitgefühl vermissen lassen. Wenn Streep verkündet, keinen Mann zu brauchen und nichts von Heiraten zu halten, ist ihr nächste Song in eben jener Szene „Money, Money“, der damit beginnt, dass sie sich einen reichen Gatten wünscht.
Es fällt mir schwer, die epische, welterschütternde, kosmische, gargantuanische Schlechtigkeit dieses filmischen Holocausts zu vermitteln, da er nicht, wie viele andere Filme, einfach ein großes Grundproblem aufweist (wie etwa „Man of Steel“mit seiner unangenehmen Ideologie) sondern einfach durchgängig auf der Mikroebene versaut ist. Keine Figur, kein Handlungsstrang, kein Dialog und keine Szene folgen irgendeiner Logik oder Struktur. Es scheint fast, als wenn alle Dialogsätze einzeln geschrieben, gemischt und blind in eine beliebige Reihenfolge gesetzt wurden. Motivationen kommen aus dem Nichts und verschwinden auch wieder dorthin, Aktion und Reaktion stehen selten in irgendeinem auch nur assoziativen Zusammenhang. Gefühle werden durch die Musik immer groß ausgestellt, folgen aber in der Regel nicht aus der Handlung oder wirken länger nach. Beziehungen werden eh willkürlich und auch gern rein durch einseitige Behauptung geschlossen.
Schenken wir den Fetzen an Handlung mal etwas mehr Aufmerksamkeit, als es die Macher taten: Amanda Seyfrieds Charakter Sophie will heiraten und schnüffelt im Tagebuch ihrer Mutter herum, was natürlich völlig okay ist. Dort findet sie heraus, dass diese drei mögliche Kandidaten hat, die ihr Vater sein könnte, da sie innerhalb eines Monats drei große Affären reinster Liebe hatte. Also lädt sie alle drei (wie auch immer sie sie gefunden hat) zur Hochzeit ein, ohne ihnen zu sagen, worum es geht, oder ihre Mutter zu warnen. Sie reisen auch alle sofort um die halbe Welt, als dieser One-Night-Stand von vor zwanzig Jahren ruft, argwöhnen aber natürlich nicht, was eine genau danach geborene Tochter bedeuten könnte.
Wie will Sophie ihren Vater herausfinden? Erst hofft sie, es einfach zu fühlen (womit sie ihrer Amoralität auch noch Dummheit beimischt), dann fragt sie sie direkt (was der Dummheit eine zusätzliche Unterstreichung einbringt). Für eine einzige Szene will ihr Bräutigam sie dann nicht mehr heiraten, weil er den recht bizarren Verdacht hat, sie wolle die Ehe nur schließen, um einen Grund zu haben, ihren Vater einzuladen, aber in der nächsten gemeinsamen Szene der beiden geht es dann ungestört zum Altar. – Zu dem soll sie übrigens jeder ihrer drei Väter führen, da sie es jedem der drei einzeln versprochen hat, in der Kirchenszene kommt aber einfach keiner darauf zurück und die Mutter tut es. Das Vergessen löst in „Mamma Mia!“ alle Konflikte. Und das ist auch notwendig, da unsere Hauptfiguren dort, wo sie mal so etwas wie Charakter zeigen, furchtbare Personen sind. So unterbricht die Streep besagte Hochzeit, weil ihre Tochter ja endlich wissen soll, wer ihr Vater ist… nun, sie kann es ihr nicht sagen, wollte aber halt kurz ihre Hochzeit unterbrechen und ihr falsche Hoffnungen machen.
„Ja, aber Musicals guckt man doch nicht wegen der Geschichte!“ mag man jetzt rufen und darauf verweisen, dass die von mir geliebte „Rocky Horror Picture Show“ drehbuchtechnisch auch ein brennendes Wrack voller Leichen ist. „Nun gut!“ rufe ich zurück, „Aber als Musical versagt ‚Mamma Mia!’ ja auch völlig!“.
Die ABBA-Songs an sich sind natürlich gut, aber ihre Inszenierung furchtbar. Pierce Brosnan singt besser als ich und völlig passabel für einen Karaoke-Abend unter Freunden – für einen Film reicht das aber nicht. Meryl Streep hat es stimmlich durchaus drauf, doch wenn sie sich beim Singen in eine hässliche Latzhose gekleidet epileptisch zuckend am Boden wälzt, neutralisiert dieser Angriff auf die Augen alle Freude, welche die Ohren empfinden könnten. Und das ist leider kein Einzelfall: So ziemlich alle Figuren des Films spielen ständig hysterisch kreischend im Grimmassenmodus, als machten sie Werbung für Ritalin. Untermalt gerne vom vorgestrigen Humorunverständnis, bei dem Leitern weggezogen und Leute ins Wasser geschubst werden. Besonders furchtbar die beiden schrulligen alten Tanten, welche Streep fast ständig kreischend begleiten. Tut mir leid, wenn das oberflächlich ist (aber bei einem Film ohne jede Tiefe wie diesem muss das erlaubt sein), aber Songs, die man von den zwei wunderschönen ABBA-Damen kennt, verlieren etwas, wenn sie von augenrollenden Schreckschrauben in Kostümen für Farbenblinde gesungen werden.
Fremdscham überstrahlt den ganzen Film. Respektable Schauspieler machen sich hemmungslos zum Affen, nichts und niemand behält auch nur einen leisen Rest Würde, der gesunde Menschenverstand wird durchgängig beleidigt und jede auch nur rudimentäre Erzählkunst vergewaltigt, gefoltert und in den Hinterkopf geschossen. Fassungslos musste ich mit ansehen, wie mir jeder Hauch guter Laune aus dem Leib gesaugt wurde, während Oscar-Preisträger und James Bond mir Einblick darin gewährten, wie fröhlich man im Altersschwachsinn sein kann. Ein Film, der betroffen macht.
(Dirk M. Jürgens)
comicfreak
27. August 2013 @ 15:52
..danke.
So ging es mir mit „Germanicus“ von Polt.