Suzanne Collins: „Die Tribute von Panem – Tödliche Spiele“
Suzanne Collins: „Die Tribute von Panem – Tödliche Spiele“ (2008)
(dt. Ausgabe/Oetinger. Originaltitel „The Hunger Games“) Science Fiction/Jugendbuch
Wie die meisten Leute hierzulande habe auch ich von Collins’ „Hunger Games“-Trilogie erst erfahren, als sie verfilmt und immer wieder mit „Harry Potter“ und „Twilight“ verglichen wurde.
Als Denis Scheck die Bücher in seiner Sendung „Druckfrisch“ jedoch recht positiv besprach und ich den ersten Band dann in einer Leihbücherei sah, wollte ich mir schließlich ein eigenes Bild davon machen. Und dieses Bild sollte, um das Ergebnis vorweg zu nehmen, nicht überwältigend, aber ebenfalls durchaus angenehm sein.
Die Trilogie handelt von einer Zukunft, in der Nordamerika in zwölf Bezirke eingeteilt ist, die von einer kleinen Elite in der Hauptstadt absolutistisch regiert werden. Als Strafe für eine lang zurückliegende Revolution muss jeder Bezirk jedes Jahr zwei Jugendliche als so genannte „Tribute“ für im Fernsehen übertragene Gladiatorenspiele hergeben. Unsere Heldin ist die junge Katniss aus dem völlig verarmten Bezirk 12, die freiwillig in die Spiele geht, um ihre per Los dazu bestimmte jüngere Schwester zu schützen.
Sie ist einer der Punkte, die für das Buch sprechen, da sie nicht in die Klischees so vieler „Mädchenheldinnen“ fällt und weder eine überkompetente Mary Sue, noch eine hilflose Prinzessin ist, die eines starken Mannes bedarf. Sie ist eine erfahrene Jägerin und meisterliche Bogenschützin und als solche durchaus fähig, sich in den Spielen zu beweisen. Die männliche Hauptfigur Peeta hingegen ist kräftiger als sie, versteht zu planen und zu täuschen, ist damit weder der doofe Junge, noch der überhöhte Traumprinz, mit denen solche Rollen sonst oft besetzt werden. Die beiden ergänzen sich als Team, haben jeder ihre Stärken und Schwächen und retten einander öfters. Keiner von ihnen ist besser oder schlechter als der andere.
So kann man sich gut mit beiden identifizieren und von verkrampften Geschlechterproblemen befreit, mit ihnen mitfühlen. Das allein hebt Collins schon klar über das Niveau einer Stephanie Meyer.
Probleme habe ich allerdings mit dem world building der Autorin. So fordert die Hauptstadt einfach zu klar eine Revolution heraus: Keiner in den Bezirken, sei er noch so loyal oder wohlhabend, kann seine Kinder vor den Spielen schützen, entsprechend würde jeder vom Ende der Herrschenden profitieren. Man will ihnen damit zeigen, dass man alles mit ihnen machen kann, faktisch ist die Hauptstadt aber von den Erzeugnissen der Bezirke abhängig, so dass sie diese zwar in Grund und Boden bomben könnte, anschließend aber verhungerte. Eine so sinnlose Provokation, durch die es überhaupt keinen Nutzen hat, loyal zu sein, ist da gewaltig fehl am Platze.
Andererseits aber fragt man sich, wieso in den armen Bezirken, in denen die Menschen reihenweise verhungern, die Spiele so gefürchtet sind. Warum trainiert nicht jemand das ganze Jahr über, um fit zu sein und meldet sich dann freiwillig? Als Sieger winkt ihm Ruhm und Reichtum und das Leben, das er riskiert, ist hier im Elend eh nicht allzu viel wert.
Solche Freiwilligen kommen aber (bis eben auf die aufopfernde Katniss) aus den reichen Bezirken, um perfekte Schurken abzugeben. Dass sie wesentlich weniger zu gewinnen haben, als die Armen, wird ignoriert.
Und diese moralische Vereinfachung (solche blutrünstigen Freiwilligen darf Katniss natürlich in den Spielen töten, ohne dass der Leser ein Problem damit haben muss) ist das zweite große Problem des Buches. Für die Geschichte einer brutalen Endzeitwelt, in der das schwer schlagbare Grauen zelebriert wird, dass Jugendliche gezwungen werden, einander zu töten, ist die Düsterheit des Romans erstaunlich zurückhaltend.
So kommt Katniss in den Spielen durchgängig glückliche Fügung zugute, die sie davor bewahrt, etwas wirklich Schlimmes tun zu müssen: Weibliche Gegner tötet sie nur indirekt, indem sie etwa mutierte Wespen auf sie lockt, Auge in Auge nur männliche Mitspieler, die entweder besagte reiche Sadisten sind, oder direkt davor die niedliche Zwölfjährige, mit der sie sich verbündet hat, umbringen. So schummelt sich Collins um den eigentlichen erschreckenden Kern ihrer Geschichte herum.
Auch aus dem drohenden Konflikt mit Peeta wird wenig gemacht.
An sich darf am Ende nur ein einziger Teilnehmer überleben (dennoch werden die beiden Tribute eines Bezirkes quasi wie ein Team behandelt, was wenig Sinn ergibt), doch schon mittendrin wird die Regel für sie geändert. – Am Ende für einen kurzen Schreck noch mal zurück geändert, aber das wird dann gleich wieder zurückgezogen. Das echte große Potential des Stoffes bleibt ungenutzt.
Dass auf der Zielgeraden auf einmal Monster auftauchen (die, da ist die Erzählung unklar, eventuell die Augen der Gefallenen haben) schadet der Dramaturgie auch eher, als dass es ihr nützt, da das Setting bislang doch sauber aufgestellt war und solch ein neues Element hier eher holprig wirkt.
Vieles wirkt nur halb angedacht, vieles wird ungeschickt behandelt, aber vieles gelingt auch. Schon die erwähnte, gelungene Geschlechterdarstellung reißt eine Menge heraus, was anderswo hakt und da das Buch ja nur der Auftakt zu einer Trilogie ist, besteht die Hoffnung, dass es alles im größeren Rahmen vielleicht wieder ausgewogener wirkt.
Leider las ich schon, dass es später auf eine Dreiecksgeschichte hinauslaufen wird, was vielleicht archetypisch, aber dennoch furchtbar ausgelutscht ist – hoffen wir, dass sich Collins dabei dann nicht doch noch ihrer Kollegin Meyer annähert.
(Dirk M. Jürgens)
Peroy
17. Juni 2013 @ 0:56
Liest sich wie eine Kritik zum Film…
Udo
17. Juni 2013 @ 13:36
Was sagst du eigentlich zu den Vorwürfen, Collins hätte von Battle Royale abgeschrieben? Ich hab dazu mal ne Analyse geschrieben: http://www.trugbilder.blogspot.co.at/2012/04/die-tribute-von-panem-und-battle-royale.html
Bin mal gespannt, was du zu den Büchern 2 und 3 sagst.
Dirk M. Jürgens
17. Juni 2013 @ 21:04
Kenne nur den BR-Film und da stach mir vor allem die Parallele auf, dass beide unglaubwürdig sind, indem die angebliche Disziplinierung des Volkes durch reinen Zufall entschieden wurde. Will sagen, das Los unterscheidet nicht zwischen treuen Untertanen und Subversiven. Dass, wie du sagst, auch dort eine „Fuchsgesicht“ auftaucht, zählt für mich als Indiz dafür, dass es einer dieser bizarren Zufälle ist, dass beide unabhängig voneinander entstanden sind, denn so eine plumpe Spur hätte Collins wohl nicht hinterlassen, wenn sie klauen wollte.
Aber abgesehen von der Grundidee gehen beide ja auch recht verschiedene Wege. BR (zumindest der Film) mag von der Prämisse noch unglaubwürdiger sein (siehe dein Text), macht aber zumindest wirklich das, was das Konzept verheisst und schummelt sich nicht drum herum, seine Grausamkeiten zu zeigen. Insoweit ist hier wohl für beides Platz.
Suzanne Collins: “Die Tribute von Panem – Gefährliche Liebe” | Weird Fiction
23. Juni 2013 @ 16:10
[…] Dirk M. Jürgens bei Suzanne Collins: “Die Tribute von Panem – Tödliche Spiele” […]
Suzanne Collins: “Die Tribute von Panem – Flammender Zorn” | Weird Fiction
1. September 2013 @ 14:12
[…] mich der erste Teil der Trilogie doch ganz positiv überraschte, sich beim zweiten dann aber meine Bedenken häuften, […]