„Cloud Atlas“ oder Manche mögen’s überdeutlich
„Cloud Atlas“
(2012) von Tom Tykwer/Andy & Lana Wachowski
Gleich vorweg: David Mitchells „Wolkenatlas” ist für mich einer der besten Romane der je geschrieben wurde und ich wollte ihn hier eigentlich schon längst rezensiert haben, verzichtete aber darauf, als ich merkte, dass ich der Kritik Björn Wederhakes (über die ich überhaupt erst darauf aufmerksam wurde) wenig mehr als Fanboygequietsche hinzuzufügen hätte. Einer Verfilmung sah ich aber von Anfang an wohlwollend und hoffnungsvoll entgegen, glaube also, mich vom Verdacht freisprechen zu können, zu festgefahren herangegangen zu sein. Dennoch ist meine Kenntnis der Vorlage hier ein Problem, da ich mir vorstellen kann, dass mir der Film ohne diese wesentlich besser gefiele.
All die Ideen und Querverweise wären dann neu für mich und ich könnte mich vielleicht einfach an den Inhalten erfreuen und formale Mängel leichter verzeihen. Gewissermaßen das Gute Mitchells im Schlechten Tykwers/der Wachowskis sehen.
Die Handlung besteht aus sechs verschiedenen Geschichten, die zu verschiedenen Zeiten (von der Kolonialzeit bis zur Postapokalypse) spielen und deren Figuren immer wieder durch kleine Zeichen und Gemeinsamkeiten miteinander in Kontakt kommen. Im Roman wurden diese Geschichten nacheinander erzählt, wobei jedoch jede in der Mitte für die nächste unterbrochen wurde, im Film werden alle Geschichten gleichzeitig erzählt. Und schon daran scheitert er.
Gefühlt dauert keine Szene länger als eine Minute, ehe ungeachtet aller Dramaturgie (auch wenn man immer wieder Parallelen zu erzeugen versucht) gewechselt wird. Hat man begonnen, sich für Halle Berrys Flucht vor einem Auftragskiller zu interessieren, darf man sich danach erstmal medizinische Probleme von Sklavenhändlern, sowie die Abenteuer eines älteren Herren in einem Altersheim ansehen, ehe man das Ende der Jagd zu sehen bekommt. Eine echte emotionale Verbindung kann man so nur schwer aufbauen, so man nicht auch bei Werbespots mitfiebert.
Doch mag das vielleicht sogar gewollt sein, weil man hier kein emotionales Überwältigungskino machen, sondern den Intellekt ansprechen wollte? Wohl kaum! Denn dazu wurde die Vorlage einfach zu sehr heruntergedummt. Wo Mitchell andeutete, wird hier klar und laut herausposaunt. Wo er überall philosophische Häppchen verteilte, es dem Leser überließ, welche davon er aufnimmt und zur Deutung des Werkes nutzen wollte und sich durch den Mund seiner Figuren sogar darüber lustig macht, wird hier klar und deutlich gesagt, dass es alles Reinkarnation geht. Punkt!
Die zusätzliche Ebene, das menschheitsgeschichtliche Gesamtbild geht dabei auch verloren, weil man sich selbst bei einem so unkonventionellen Film ganz nach Hollywoodregeln darauf beschränkt, heteronormative Liebesgeschichten in den Mittelpunkt zu stellen. Heteronormativ betone ich gerade deshalb, weil die einzige homosexuelle Beziehung (die ich, wie ich gestehen muss, im Buch als bloße Freundschaft verstand, so zurückhaltend war sie, falls denn vorhanden, dort erzählt) hier enorm erweitert wurde, aber mit dem Selbstmord des Protagonisten endet. – Ein Selbstmord aus finanziellen und sozialen Gründen, im Roman vollkommen plausibel, hier jedoch von jemanden begangen, der sich angeblich inmitten einer wundervollen Liebesbeziehung befindet. Das geht nicht wirklich auf.
An Effekten und Schauwerten gibt es natürlich einiges zu sehen, aber dass sowohl die Wachowskis, als auch Tykwer tolle Bilder entwerfen können, wollte wohl von vornherein niemand bestreiten. Dass die wenigen Actionszenen der Seoul-SF-Geschichte dann schon gleich wieder im Stile von „Matrix“ überzogen werden, passt jedoch nicht herein und wirkt erzwungen. Fataler jedoch, was mit dem Make up gemacht wurde, da man die verschiedenen Inkarnationen der Figuren durch Mehrfachbesetzungen illustrierte – unabhängig von Alter, Geschlecht und Rasse. Zugegeben, so gelungene Altersmasken wie hier sieht man selten und tatsächlich habe ich nicht alle der Stars in allen Verkleidungen erkannt, aber wo es nicht klappte, da missriet es katastrophal.
Der gallig-komische Tonfall der Altersheim-Story ließ sich auch sonst schon nicht in den Film übertragen, so dass dieser Handlungsstrang eher zu plumpem Slapstick verkam, doch mit der absurden Monstrosität einer, vom kantigen Hugo Weaving gespielten Krankenschwester schießt sich der Film vollkommen ab. Noch schlimmer, als er es kurz zuvor mit seinem schwarzen baddass-Tom-Hanks tat und es später mit der koreanischen Version Weavings (im Internet zum Vulkanier erklärt) tun sollte. Ich will um Himmels Willen nicht auf dem Privatleben der Macher herumreiten, wenn es um ihr Werk geht, aber ich kann mich des Wortvogels Verdacht nicht verwehren, dass die ja früher Larry geheißen habende Lana Wachowski hier eigene Philosophie und künstlerisch Funktionierendes vermischte und dabei nicht merkt, wie sie ihrem Film damit schadet. Denn in seinen großen Anspruch, praktisch die Geschichte der Menschheit zu erzählen (und anders als der Roman zu beantworten) scheitert er eh schon, wenn er die simple Antwort „Ist halt alles per Reinkarnation verbunden“ wählt, aber wenn dies durch solch groteske, offenkundig künstliche Gestalten geschieht, macht er es ganz unmöglich ihn so ernst zu nehmen, wie er gemeint ist.
Für Kenner des Romans also eine herbe Enttäuschung und für Freunde subtiler Töne wohl etwas sehr aufdringlich. Könnte also Leuten gefallen, die sich gern eine unverkleidete Esoterikkeule um die Ohren hauen lassen, ohne allzu viel komplizierte Philosophie mitnehmen zu müssen. Mit anderen Worten, ein Film für diejenigen, die „Der kleine Prinz“ tatsächlich für ein tiefsinniges oder zumindest kluges Buch halten.
(Dirk M. Jürgens)
heino
8. Februar 2013 @ 11:40
Oha, ein harsches Urteil. Ich liebe den Roman ebenfalls und war rechtschaffen skeptisch, als ich mir den Film mit meiner Freundin und einem Kumpel (die beide das Buch nicht kannten) ansah, aber ich fand ihn trotz aller Änderungen und Kürzungen nicht so schlimm und verhunzt wie du. Mag vielleicht an einer niedrigeren Erwartungshaltung gelegen haben, denn den Wachowskis traue ich eh keinen guten Film mehr zu. Natürlich ist es ärgerlich, dass alles auf möglichst plumpe Art aufgelöst wird, damit auch wirklich jeder versteht, um was es geht. Und die Kürzungen -besonders in der Südpazifik- und der Frobisher-Episode – verhindern z.T. auch tatsächlich, dass man die Geschichte wirklich verstehen kann (ich hatte die „schwule“ Beziehung auch nicht so verstanden, aber mehr geärgert hat mich, dass Frobisher ein Selbstmord wegen der Intrige von Ayers angedichtet wird), aber am schlimmsten fand ich das fürchterliche Happy-go-lucky-Ende, das nun wirlklich gar nichts mit dem Buch zu tun hatte. Trotzdem hätte der Film noch weit schlimmer werden können, man denke z.B. an die Verfilmung von „Die schwarze Dahlie“
Dirk M. Jürgens
8. Februar 2013 @ 14:46
Oja… „Die schwarze Dahlie“ war wirklich eine herbe Enttäuschung… ein Film, der von den einzelnen Elementen (Brian dePalma! Film Noir! Hillary Swank!) eigentlich hätte gelingen müssen und dann so egal ist.
Aber zu „Cloud Atlas“: Falls es dich tröstet, halte ich es durchaus für legitim, dem Film wohlwollender zu begegnen, als ich (selbst mit Kenntnis der Vorlage). 😉
Denn gerade weil der Roman so eine Fülle an Inhalten bietet, sucht sich wohl jeder eigene Vorlieben heraus und bei mir war das gerade die Subtilität. Die Möglichkeit, es nicht nur in den Zukunftshandlungen, sondern komplett als fantastisch zu lesen, aber es eben nicht zu müssen. Und gerade das fiel im Film ja vollkommen flach.
Auch der „Glücklichkeitsgrad“ des Endes hing ja davon ab: Chronologisch endet das Buch furchtbar, aber die angedeutete Möglichkeit, dass alles gleichzeitig geschieht und so die (später erzählte) Vergangenheit tatsächlich die Gegenwart verändern kann (also das esoterische Element, was man weggelassen hat) so doch wieder Hoffnung schafft. Stattdessen hier eben die Glückliche Auswanderung auf einen anderen Stern.
Aber beruhigend zu hören, dass die Homosexualitätskiste nicht nur mir nicht aufgefallen ist. Ich fürchtete schon, die hätte ich mit Hetero-Scheuklappen herausgefiltert. 😉
Aber umso unglücklicher, dass gerade die im Film zu schwach ist, um die Hoffnung zu erhalten, wie es alle Heteroliebesgeschichten des Films vermögen. Das in Verbindung mit der peinlichen Weaving-Transe macht es wohl zum homophobsten Film, den je ein Transsexueller gedreht hat.
heino
11. Februar 2013 @ 20:05
He, du kannst ihn natürlich so fürchterlich finden, wie du willst, das kann ich absolut verstehen. Ich hatte nur mit einem noch viel grösseren Debakel gerechnet:-)
Und ja, die Kürzungen in der Frobisher-Episode haben wirklich fatale Auswirkungen. Während die anderen Stories „nur“ an Tiefe verlieren, wird hier tatsächlich eine völlig andere Aussage getroffen als im Buch. Vor diesem Hintergrund ist dann auch verständlich, dass Mittchell den Film für misslungen hält.
Die Masken waren zum Teil echt grässlich, teilweise aber auch genial (Hugh Grant war Beispiel für beides. Negativ in der Altenheim-Story, äußerst positiv in der Endzeit-Episode) und Weaving hat es da am schlimmsten erwischt.
Bei „Black Dahlia“ passte IMO so ungefähr gar nichts. Mieses Casting (Hartnett, Eckhart), miese Schauspielerführung (Scarlet Johannson, die ohne einen guten Regisseur immer aufgeschmissen ist), am Ende übelstes Overacting und dazwischen gähnende Langweile. Ein Film, den wirklich niemand braucht