„Mutter muss weg“ (2012) oder Rückkehr ins Kabinett des Dr. Caligari
„Mutter muss weg“ (2012) von Edward Berger
Als ich hörte, dass ausgerechnet das biedere ZDF eine Komödie um das Thema Muttermord wagt, war ich erst einmal erstaunt. Doch mein simples Weltbild ist inzwischen wieder hergestellt, da sich der Film als hundertmal konservativer herausstellte, als ich es mir je hätte träumen lassen.
Bastian Pastewka spielt Tristan, der von seiner übermächtigen Mutter (einer ehemaligen Pornodarstellerin gespielt von Judy Winder) unterdrückt wird und darum ihren Mord in Auftrag gibt. Als er erfährt, dass sie aufgrund eines Herzleidens eh nicht mehr lange zu leben haben wird, versucht er verzweifelt, den Auftrag rückgängig zu machen, was dadurch erschwert wird, dass er den Killer nicht kennt.
So weit, so wenig originell, aber in Ordnung. Schon bald fällt auf, dass der Film zwar schön mit seinen Bildern arbeitet (von der Mutter dominierte Szenen grundsätzlich in kälterem Licht, als die Tristans), aber keinen richtigen Ton entwickelt. Für ein echtes Drama fehlt der Konflikt, für einen Krimi nimmt die Mörderhandlung wenig Raum ein und für eine Komödie ist der Humor etwas spärlich eingestreut und auch was die Charakterisierung der Mutter angeht, findet man zu keiner klaren Linie. So wirkt sie zumeist nicht etwa wie eine wohlmeinende, aber ignorante Übermutter, wie in Loriots legendärem „Ödipussi“, sondern einfach nur boshaft – ob Flashbacks in die Kindheit, oder Gegenwart, wann immer möglich fährt sie Tristan über den Mund, lässt ihn im Stich oder beleidigt ihn offen, heftig und direkt. Wenn es dann vereinzelte Momente gibt, in denen sie Tristan versichert, ihn zu lieben, wirkt es nicht glaubhaft und auch seinen Konflikt kann man nicht mitfühlen. Das liebenswerte, mütterliche Element fehlt ihr völlig.
So, das wären die normalen handwerklichen Dinge, mein großes Problem mit dem Film liegt bei seinem Ende, welches ich hier entsprechend SPOILERN werde, wer das nicht möchte, steige hier aus.
So, ab hier geht es auf eigene Gefahr weiter.
Nachdem der Film lange so vor sich hinplätscherte, gibt es einen erstaunlich blutigen Showdown, in dem sich herausstellt, dass die Mutter von Tristans ursprünglichen Plänen erfahren hat und nun ihm nach dem Leben trachtet. Es kommt zu einem Kampf zwischen ihnen, bei dem dann beide draufgehen… Und dann macht der Film einen Caligari. Einen hundertprozentigen.
Wir erinnern uns: Der Zensur missfiel, dass das Böse in Robert Wienes Stummfilmklassiker von 1920 Teil des staatlichen Systems war, weshalb man ihm einen Epilog verpasste, in der sich der Held als Geisteskranker in der Anstalt des herzensguten Dr. Caligari befand und nur zusammenfantasierte, die Mächte der Ordnung könnten böse sein. Der Film wird oft als Vorausdeutung des Dritten Reiches gesehen, wodurch der Zensureingriff umso verlogener wirkt. „Mutter muss weg“ stellt ihn fast vollständig nach: Der ganze Film war nur eine Fantasie Tristans bei seiner Psychotherapeutin. Kaum ist er weg, telefoniert diese mit der Mutter darüber, dass seine Gewaltfantasien immer heftiger würden und man überlegt, ob man ihn nicht einweisen lassen sollte.
Auch hier zeigt uns der Filme eine berechtigte Revolution gegen ein System, das seine Macht missbraucht, zieht dann aber ganz am Ende die Notbremse und wischt alles vom Tisch. Die Revolution, der Zweifel an der Herrschaft ist auch hier nur Symptom eines kranken Geistes. Reaktionärer kann ein Film eigentlich nicht sein.
(Dirk M. Jürgens)
comicfreak
30. Oktober 2012 @ 12:58
..jetzt bin ich froh, ihn verpasst zu haben