„Tatort: Die Ballade von Cenk und Valerie“
„Tatort: Die Ballade von Cenk und Valerie“ oder: Wie „Cobra 11“ den „Tatort“ überholte
(2012) Matthias Glasner
Bevor ich mich zu diesem letzten „Tatort“ um Undercover-Ermittler Cenk Batu auslasse, erst ein paar allgemeine Worte zu der Figur. Anfangs, als sein erster Film angekündigt wurde, war ich sehr erfreut, da man doch offenbar etwas befolgte, was ich schon lange propagierte. Denn die bisherige Integrationspolitik des deutschen Films schien mir schon immer vollkommen verfehlt, indem sie in ihrer Vorliebe für unansprechende Problemfilme die Türken (hier im Sinne von „türkischstämmige Deutsche“) ausschließlich entweder als Gangster, oder als moralisch überlegene Winnetous darstellte und dabei einfach mit zwei Extremen an der Realität vorbei schoss.
„Wir brauchen einfach eine normale, sympathische Heldenfigur, die nur eben zufällig türkischer Abstammung ist“ sagte ich wieder und wieder in Gesprächen zum Thema. „Ein türkischer ‚Tatort’-Kommissar, das wäre es. In diesem etabliertesten aller deutschen Fernsehformate könnte eine solche Figur einer breiten Masse aus unterschiedlichen Schichten unverkrampft nahe gebracht werden. Nicht, indem sie von ihrem Migrationshintergrund erzählt, sondern einfach, indem sie ihren Job macht.“
Doch leider hatte man bei der ARD nun doch nicht so gedacht, wie ich. Batu, so erklärte man, werde ein völlig anderer „Tatort“-Kommissar. Er werde gefährliche Undercover-Missionen führen und dabei abgründigeres treiben, als irgendeiner seiner Kollegen. Mit anderen Worten: Weil er sich als Gangster tarnt, können wir den Türken auch als Gangster inszenieren. Wie gehabt. Entsprechend bekam er es dann auch mit Ehrenmorden und Terrorismus zu tun und man gab sich große Mühe, eben KEINE Normalität einkehren zu lassen und seine Herkunft nicht etwa als unwichtig zu akzeptieren, sondern als wichtigster Mittelpunkt allen seines Seins zu betonen. Dass die Filme meist albern oder langweilig waren, half auch nicht gerade.
Doch wie dem auch sei, nun also wollte man mit der „Ballade von Cenk und Valerie“ das Kapitel beenden (und den Job an Til Schweiger weitergeben, dessen Ego schon im Vorfeld mit der Tradition der Reihe kollidierte) und ging dazu mit dem letzten Film wirklich neue Wege, indem man sich storytechnisch bei der ersten „24“-Staffel bedient, die sich selbst wiederum bei dem John-Badham-Film „Gegen die Zeit“ bediente: Eine Profikillerin (Valerie) entführt Batus Freundin Gloria und droht sie zu töten, so er nicht vor laufender Kamera den Bundeskanzler erschießt. Hintermänner sind – hach, wie zeitgemäß – böse Spekulanten, die mit dem Tod des Kanzlers Milliardenverdienste erhoffen.
Nun, das ist kein schlechter Ansatz, doch bringt es gleich wieder das Problem der „Andersheit“ dieses Ermittlers: Um Gloria zu retten, bricht Batu Finger, schlägt Polizisten zusammen, schießt auf Freunde und trachtet am Ende tatsächlich dem Regierungschef nach dem Leben. All das Dinge, die noch kein „Tatort“-Kommissar vor ihm getan haben dürfte, aber der Türke ist wieder da, wo man ihn kennt. Der BILD-Leser kann zustimmend nicken, wenn er wieder mal sieht, dass die Zivilisation doch nicht wirklich zu denen vorgedrungen ist. Schön, wenn man die Fernsehgebühren in so eine Botschaft investiert!
Doch diese unglückliche Darstellung ist nicht das einzige, vielleicht auch nicht einmal das größte Problem. Denn nachdem es recht spannend losgeht, stürzt unser Held plötzlich in einen Abgrund der Dummheit, der nicht zu ihm passt, aber eben den Plot in die gewünschte Richtung treibt und so alles Interesse an ihm zunichte macht. Denn nachdem er strategisch klug erst verheimlichte, dass er der Attentäter sein soll, ist Batu zum Kanzler vorgedrungen und schildert ihm den ganzen Fall. Er bittet ihn, seinen Tod zu inszenieren, um so Glorias Freilassung zu bewirken (woraus er schließt, die gewissenlose Schurkin würde ihr Wort halten, bleibt offen), doch der Kanzler hat Zweifel an dem Plan, weil der wirtschaftliche Schaden und das internationale Chaos damit trotzdem angerichtet wären.
Mitten in dieser Diskussion klingelt Batus Handy – es ist Gloria gelungen, ihn anzurufen, so dass er mithört, wo die Entführerin sie gerade hinbringt. Das wäre eigentlich die Lösung des Problems: Batu müsste nun einfach nur sagen, was er gerade erfahren hat, und wenn Valerie dann am Zielort angekommen ist, würde sie dort schon ein SEK erwarten. Einen finalen Rettungsschuss später wäre Gloria frei und der Kanzler klopft ihm auf den Rücken für diesen guten Job.
Nix da! Stattdessen geht Batus südländisches Temperament mit ihm durch, er zieht seine Pistole und bedroht den Kanzler. Es gelingt ihm zu fliehen und Valerie (nachdem er ein Auto geraubt hat) selbst einzuholen, scheitert aber bei dem Versuch, sie zu stoppen. Nun sieht er keine andere Chance mehr, als tatsächlich den Kanzler zu töten.
Es ist also nicht der lückenlos böse Plan der Schurkin, es ist nicht die Grausamkeit göttlichen Schicksals, es ist einfach nur die unendliche Blödheit des Helden, die zur Katastrophe führt. Kein kleiner Fehler, wie ihn die Tragödien der Aufklärung schätzten, sondern dämliche, unplausible und unentschuldbare Idiotie bahnt den Weg zu einem höchst unbefriedigenden Ende.
Der zweite Punkt sind die Hintermänner, nämlich besagte böse Spekulanten. Hier kommt wieder die dick aufgetragene Sozialkritik, die man beim „Tatort“ so schätzt zu tragen: Denn offen und direkt erklären diese (jungen, multikulturellen) Schurken, wie sehr sie Altruismus verabscheuen: „Warum glauben immer alle, dass man im Leben anderen helfen soll?“
Zudem werden sie inszeniert, wie ein Affenrudel, welches ständig durcheinander kreischt und springt und sich im Rahmen eines obskuren Ohrfeigenrituals stundenlang gegenseitig in die augenrollend verzerrten Gesichter schlägt. Sie treten als Masse auf und sind bar jedes individuellen Zuges durch und durch böse und nicht einmal in der Lage, sich auch nur vorzustellen, wieso jemand Mord für falsch halten könnte. Zudem haben diese bösen Weltverschwörer sich auch die Originale der wertvollsten Kunstwerke der Welt unter den Nagel gerissen und speisen etwa den Louvre mit Imitaten ab. Ich bin mir sicher, sie kontrollieren auch die Medien und backen mit dem Blut christlicher Babys. Es ist also nicht nur plump, sondern es sind also klassische Methoden der Entmenschlichung, mit der sie dargestellt werden und das halte ich – selbst bei einer auch real so unsympathischen Gruppe – für höchst bedenklich und verwerflich und vor allem ebenfalls nichts, wofür Fernsehgebühren ausgegeben werden sollten.
Damit endet das Experiment eines „Tatorttürken“ schlecht geschrieben, ideologisch fragwürdig und unbefriedigend – vielleicht wollte man Schweiger kein zu schweres Erbe aufbürden. Musterbeispiel einer unverkrampften medialen Integration bleibt damit ausgerechnet „Alarm für Cobra 11“ auf ausgerechnet RTL, das seinen Helden Semir Gerkhan ungeachtet dessen Herkunft schon seit 1996 als normalen Menschen zu inszenieren versteht. Reife Leistung, ARD, dagegen zu verlieren!
(Dirk M. Jürgens)