„Gone Home“ oder Handlung und Handeln in der digitalen Narrative
Da das Internet vor Spielereviews, Let’s Plays und Gamergates nur so aus den Nähten platzt, tue ich mich immer wieder schwer, überhaupt etwas über Spiele zu schreiben. Warum also lassen ich mich nun dazu hinreißen, doch ein paar Zeilen über Gone Home zu verlieren?
Der Rest… ist Geschichte.
Mich persönlich interessieren eigentlich immer die Geschichten egal ob es um Romane und Kurzgeschichten, Filme und Fernsehserien oder Artikel und Sachbücher geht. Auch meine Lieblingsspiele bleiben mir oft weniger mechanisch oder haptisch in Erinnerung (wenn man mal von der frühen Nintendo-Prägungsphase absieht) sondern mehr in Form von Erinnerungen an interkative Geschichten, an Figuren und Orte. Nun sind aber Spiele, die sich selbst als interaktive Filme verkaufen oftmals die frustrierendsten, weil sie Feinfühligkeiten im Gameplay vermissen lassen und durch hektische Quick-Time-Events negativ auffallen. Seit David Cages Fahrenheit drücken sich Spieler in aller Welt die Daumen wund, um die storytechnische Sackgasse zwischen zwei Levels oder Mutationsphasen eines Post-Resident-Evil-4-Bosses zu überleben. Um den Spieler aufzuwecken vielleicht? Der bemerkenswerte Gegensatz von „Handlung“ als Narrative auf der einen Seite und „Handeln“ als hirnlose Tastendrückerei der QTEs auf der anderen Seite stellt die große Frage, ob Spielemacher wie Cage wirklich verstanden haben, wie ein Spiel beides in sich vereinen kann. Als spielbare Narrative.
A Quick-Time-Match made in heaven…
Yu Suzuki prägte in Shenmue den Begriff Quick-Time-Event. Shenmue hat sich seine Fans seit der Veröffentlichung vor 16 Jahren bewahrt, sogar, obwohl die beiden Spiele schon seit langem nicht mehr neu aufgelegt wurden, das Orginal erschien nur für SEGAs letzte, kurzlebige Konsole Dreamcast. Vor einigen Tagen kündigte Suzuki den dritten Teil an und räumte innerhalb nur eines Tages 2,5 Millionen Dollar via Kickstarter ein, eben weil Shenmues Handlung die Fans seit jeher gefesselt hat. Eine meiner intensivsten Spielerfahrung war es, in Shenmue durch die japanische Hafenstadt Yokosuka zu spazieren und nach dem Mördern von Ryu Hazukis Vater zu suchen. Alltägliche Szenen waren es, die sich am meisten einprägten: ein Mädchen, das ein kleines Kätzchen am Schrein deiner Nachbarschaft pflegt und auf deine Hilfe angewiesen ist, dein Herzblatt im Blumenladen zu besuchen, gleich hinter dem zwielichtig unauffälligen Firmensitz der örtlichen Yakuza. QTEs in den kurzen, intensiven Martial-Arts und Actionsequenzen bildeten hier einen Gegenpol zum ZEN des Suchens, Fragens, Erlebens in einer exotischen, insbesondere westlichen Spielern exotisch anmutenden Welt. Mehrere Gameplay Strategien im Einklag erweckten so eine Geschichte zum Leben, die sich keinem Videospiel-Genre beugte und so seiner Zeit voraus zu sein schien.
… and in hell.
Warum aber David Cage seine Spiele derart mit QTEs überfrachtet, darüber kann ich nur mutmaßen. Degradieren QTEs ein narrativ reichhaltig angelegtes Spiel nicht zu einer Art Film mit Pop-Quiz? Eine DVD-Fernbedienung an die man eines von diesen blinkenden Reaktionspielen geklebt hat? Sei es Rebel Assault, seien es die unheiligen Interactive Movie Games, die alle Konsolen mit überflüssigem CD-Laufwerk Mitte der Neunziger heimsuchten… wer seine Narrative mit schlechtem Gameplay erschlägt, dem bleibt letzten Endes nichts als eine traurige Randnotiz in der Geschichte der Computerspiele. Was dem Spieler im Gedächtnis bleibt, ist der Frust. Und Handeln im Spiel, als Gameplaymechanik, wird auf die Funktion eines Futterspenders reduziert. Handle, um Handlung zu bekommen. Dass Handeln und Handlung aber nie zusammenfinden, da man von schlechten QTEs eher aus der Handlung heraus- als in sie hineingerissen wird, das müsste auch den Spielentwicklern mittlerweile bekannt sein. Dass QTEs sich immer noch halten, mag einfach dem Umstand geschuldet sein, dass manche Entwickler es als eine Art Mischung aus Story und Rythmus-Game ansehen, die es auch Casual Gamern erlaubt, komplexe Sachverhalte in vier Knöpfe und mittels grobmotorischem Affekt zu meistern. „Das kannst du auch spielen, da musst du immer nur rechtzeitig den Knopf drücken.“
Gone Home
Nun, wie passt Gone Home in dieses Bild? Offenbar zählt das First-Person-Adventure der Fulbright-Company zu den umstrittenen Titeln der letzten Jahre. So sehr die einen das Spiel lieben, so sehr strafen es die anderen mit Verachtung. Damit ich es an dieser Stelle schon einmal klarstelle: Ich liebe dieses Spiel sehr und es zählt zu einigen wenigen, die mich in den letzten 10 Jahren wirklich angesprochen haben. Es hat eben diese starke Geschichte und genau die richtige Form gefunden, diese zu erzählen. Warum gibt es so viele Spieler, die das Spiel nicht mögen? Nicht schwer zu erklären: Es werden keine Lebenwesen erschossen, es gibt keine QTEs, es ist ein kurzes Spiel. Damit hätten wir einen Großteil der Konsumenten der Statistik nach bereits zurückgelassen, die letzten schieben sich gerade noch aus der Tür und fragen sich, warum man denn für „sowas“ bitteschön etwas bezahlen soll. Es ist kurz, ja. Es ist eine Kurzgeschichte. Also etwas für die Leseratten und Filmfans da draussen! Es ist aber kein Thriller, sondern eine Art Teenager-Drama. Es ist nicht schreiend komisch und nicht erschröcklich spannend sondern leise und alltäglich. Oh, wo sind die ganzen Leseratten und Filmfans hin? Well, ich glaube, jetzt sind wir unter uns. Unter uns gesagt: Wenn du noch mitliest und dieses Spiel nicht gespielt hast, dann besorg es dir günstig irgendwo und spiele es. Wenn du Angst hast, dass man dir das Ende bereits verraten hat, dann zaudere nicht. Du öffnest dir ja auch nicht die Pulsadern, nur weil du schon weißt, dass du eines Tages sterben wirst. Es geht um das Leben an sich. A Slice of Life. Das ist eine Genrebezeichnung und passt im weitesten Sinne perfekt zu Gone Home.
Die Geschichte des Spiels erklärt seine Grundlagen bereits in den ersten Minuten: Als Studentin kommst du eines Tages aus dem Ausland nach Hause zu deinen Eltern, doch weder die noch deine kleine Schwester sind daheim. Du findest Notizen und Hinterlassenschaften, kleine Spuren, Hinweise und versuchst dir ein Bild zu machen von dem, was vorgefallen ist. Sorge, Angst, Hoffnung, Ärger über die Fundstücke waschen über dich hinweg und du bemerkst, dass dieses Spiel etwas schafft, was selten gelingt: Es fasst in einem kurzen Kunstwerk unzählige Facetten des Lebens zusammen. Das Leben einer Familie in den 90ern, holographisch gespeichert in einem einzelnen Zeitpunkt des Aufbruchs, in diesem leerstehenden Haus. Das Spiel spielt tatsächlich mehr mit dem Spieler als andersherum, verlässt sich auf seine Empathie und seine Neugier, auf sein Menschsein, und wie ein gutes Buch lässt es ihn mit neuen Erfahrungen zurück. Als reicheren Menschen. Und ab einem gewissen Punkt erscheint jedes vorsichtige Öffnen einer Schublade, jedes Entfalten einer privaten Notiz als Handlung mit großen Konsequenzen. Handlung und Handeln werden unisono erlebbar.
Ich habe in Shenmue auch leidenschaftlich nach Details gesucht (und nach Musikkassetten in den Schubladen mit der Unterwäsche). Dear Esther präsentierte vor einigen Jahren ein visuell atemberaubendes aber derartig totes Kunstwerk, dass einem fast übel wurde. Mit fast identischem Gameplay bildet Gone Home einen Meilenstein der Spielegeschichte. Aber sicher nicht für jeden. Aber seien wir mal ganz ehrlich: Wir würden auch nicht jeden allein in unser Haus lassen, nicht wahr?
Aljoscha
24. Juni 2015 @ 14:47
Schöner Artikel. Gone Home fand ich auch sehr angenehm zu spielen. So schön unspektakulär.. „The Vanishing of Ethan Carter“ kann ich auch nur empfehlen. Schlägt in eine ähnliche Kerbe. Da war das Gameplay natürlich in das Setting integriert. Die drei Ms: Mord, Memory und Mystery. Spiel und Geschichte gingen da Hand in Hand. Meistens habe ich die Videospiel Geschichten am Besten in Erinnerung, die meiner eigenen Kreativität am Meisten Platz lassen. Dark Souls ist da zu nennnen, Demon Souls, Journey, Flower, Papers Please, Ico, Shadow of the Collossus das sind so Spiele die genau an den richtigen Stellen dem Spieler ein perfekt proportioniertes Puzzleteil hinwerfen. Und mit diesem Puzzleteil kann ein jeder sich seine individuelle Welt erbauen, die unendlich größer ist, als das was im einzelnen Puzzleteil angedeutet wurde. Ich denke, da liegt das größte Potential interaktiver Geschichten. Das aktuelle „Übererklären“, damit der Spieler ja nicht überfordert wird, zerstört den „Sense of Wonder“. Eine virtuelle Welt kann nur im Herzen der Spieler zum Leben erweckt werden. PS: Vieler meiner kleinen Schüler zwischen acht und zehn Jahren spielen leidenschaftlich Minecraft. Sie nutzen den Sandkasten und entwerfen darin bereits ihrer eigenen Geschichten. Spontan, so wie das Cowboy und Indianer spielen im Garten. Ich bin echt gespannt, welche Art von Stories diese Generation für uns entwerfen wird.