„Der Babadook“ oder Der beste Horrorfilm seit was-weiß-ich-wann
„Babadook“ (2015) von Jennifer Kent
Mit vielleicht sechs Jahren schockierte mich der Bunyip-Song außerordentlich, jetzt hat Australien mit dem Babadook ein weiteres Monster auf mich losgelassen. Zusammen mit meinem Abenteuer mit Phil Fox hat sich dieser Kontinent damit eindeutig von der Liste der Orte, die ich je besuchen werde gestrichen. Sorry, Koalas, ihr seid nette Kerle, aber ihr habt die falschen Mitbewohner!
Soviel zum persönlichen Vorgeplänkel, mit dem ich versuche, menschlicher zu erscheinen. Kommen wir zum Thema.
Stephen King wird gemeinhin als Weltmeister des Horrors betrachtet und wenn ich ihn zwar spannend, aber zumeist auch nicht sooo gruselig finde, hat er eine Sache wunderbar erkannt: Auch sein stark fantasylastiger Horror mit all seinen Monstern funktioniert am besten, wenn er ihn mit den Schrecken der Realität kombiniert. Ja, das von „Carrie“ telekinetisch angerichtete Inferno ist schlimm, aber die Misshandlung durch ihre religiös-fanatische Mutter ist schlimmer.
Auch Jennifer Kent weiß das baut gar nicht erst ein Idyll auf, um es von ihrem „Babadook“ zerstören zu lassen. Stattdessen schleicht sich ihr Monster in ein Sozialdrama, welches auch vor Beginn der unheimlichen nächtlichen Aktivitäten wenig Hoffnung verspricht.
Ein weiteres Monster unter dem Bett
Der Film handelt von der Altenpflegerin Amelia und ihren Problemen mit der überschäumenden Fantasie ihres Sohnes Sam, der sich von Monstern verfolgt glaubt. Zudem scheint sie den Unfalltod ihres Mannes noch immer nicht verarbeitet zu haben.
Doch dann taucht von irgendwo das verstörende Pop-up-Buch „Mister Babadook“ (als Gimmick zum Film erhältlich, doch leider inzwischen vergriffen) auf, welches die Ankunft des titelgebenden Monsters ankündigt. Und nachdem erst nur Sam die Kreatur zu sehen meint, kommen schließlich auch Amelia Zweifel, ob sie nicht real ist.
Kindheitsängste werden gern als Grundlage für Horror genommen, hier reichert Kent diese aber pfiffig mit den Ängsten Erwachsener an, indem sie Amelia in einem freudlosen Job und erzieherisch überfordert zeigt. Dabei geht sie recht geschickt vor, indem sie wenig idealisiert, sondern ihre beiden Hauptfiguren durchaus kantig sein lässt. Wir verstehen Amelias schwere Lage, dennoch wird sie nicht geschönt, sondern auch ihre Erziehungsdefizite recht deutlich. Und Sam, der ständig um Aufmerksamkeit bettelt und mit seinen selbstgebauten Waffen andere Kinder gefährdet, ließ mich anfangs hoffen, dass er baldiges Babadook-Futter werden möge. Doch das ist keinesfalls ein Fehler in der Sympathienlenkung, sondern Absicht: Der Zuschauer soll sehen, wie hart Amelia es hat und Sam wie ein reales Kind betrachten und nicht für dessen aufpolierte Hollywoodversion, die er zumindest unbewusst als Kunstfigur erkennt. Wenn dann später das Grauen in den Film einbricht, sind alle Macken vergessen, doch das Gefühl von unglamouröser Echtheit bleibt.
Die Kunst des Maßhaltens
In seinem sehr empfehlenswerten Video „The Problem with Horror Movies Today“ lobt Chris Stuckmann „The Babadook“ als ein Musterbeispiel, wie gute Horrorfilme sein sollten und Björn Wederhake fühlte sich auf Twitter sogar an die kindheitstraumatisierende „Ghostbusters“-Folge „Angst vor dem bösen Mann“ erinnert. Und Teufel auch, sie haben recht!
„The Babadook“ ist einer der gruseligsten Horrorfilme, die ich je gesehen habe. Ohne billige Jump-Scares oder ähnliche Tricks, versteht Kent es meisterlich, mit Andeutungen zu arbeiten.
„Was man nicht sieht, ist doch viel gruseliger“ ist ein ausgelutschter Allgemeinplatz, der schon zu vielen Filmen geführt hat, in deren Mitte ein Loch klaffte, in dem ein Monster zumindest ein Schauwert gewesen wäre. Dieser Film jedoch bestätigt, wie wahr das Prinzip trotz allem ist.
Man darf nicht mit der Erwartung herangehen, einen Monsterfilm zu sehen. Einige kurze Bilder im Dunkeln sind alles, was man vom Babadook zu sehen bekommt. Und so schwer es mir Monsterfan fällt, das zu sagen – ganz ohne diese wäre er noch besser gewesen.
Ich feiere die herzlosen Produzenten, die Jacques Tourneur 1957 zwangen, seinen „Fluch des Dämonen“ mit dem furiosen Auftritt besagten Unholds enden zu lassen, doch der Babadook ist als schwarzweiße Bilderbuchfigur tausendmal unheimlicher als das Kostüm, welches uns später angedeutet wird.
Ich weiß nicht, ob es sich verallgemeinern lässt, aber sehr wirksam erschien mir auch, wie der Film mit den Gesichtern seiner Protagonisten arbeitet (vergleichbar den Nahaufnahmen von Augen in Hoopers „Texas Chainsaw Massacre“). Wo die des Babadook verborgen bleiben, weidet er sich förmlich an den angstverzerrten Zügen von Mutter und Sohn und auf einer sehr urtümlichen Ebene übertrugen sich ihre Gefühle auch auf mich. Es ist nicht die ästhetische Angst des altmodischen Grusels, sondern blanke, kreatürliche Furcht, welche die Schauspieler Essie Davis und Noah Wiseman spielen. Gelobt sei auch Andrea Solter, welche Amelia in der deutschen Fassung spricht und ganz beachtliche Verzerrungen ihrer Stimme hinbekommt.
Richtungswechsel im dritten Akt
Diese Exzesse der Angst steigern sich bis zu einem frühen Höhepunkt, dann wechselt der Film jedoch den Kurs. Was bisher das irrationale Grauen war, wird nun zu einer geschickt konstruierten Metapher. Doch leider lässt damit auch der Horrorgehalt recht schlagartig nach.
„The Babadook“ bleibt ein spannender Film, doch mit der allmählichen und durchaus subtilen Enthüllung, dass die Dinge nicht so sind, wie wir bislang geglaubt haben, gibt er dem Zuschauer soweit die Macht in die Hand, dass diesem freigestellt ist, ob er die Ereignisse des Films natürlich oder übernatürlich deuten möchte. Damit haben wir ein Musterbeispiel für Todorovs Definition des Fantastischen, aber sind im Bereich des Intellekts angekommen, in welcher der Spuk schlechte Karten hat.
Zwar lässt also gegen Ende zwar das Ausmaß des Schreckens, welches „The Babadook“ verbreitet, nach, doch der Ersatz dafür ist – trotz einzelner Momente unfreiwilliger Komik – auch nicht schlecht. Die Auflösung mag nicht beeindrucken, das ambivalente Ende jedoch umso mehr.