Gesammelte Gedanken zum CHARLIE HEBDO-Anschlag
Fangen wir gleich mal ehrlich an: Ich habe CHARLIE HEBDO nie gelesen und auch den Namen beim Abdruck der dänischen Mohammed-Karikaturen das erste Mal gehört. Ich will also gar nicht so tun, als hätte ich wirklich Ahnung, was CHARLIE HEBDO ist.
Ebenso spare ich mir die Ausführungen, dass der Anschlag durchweg falsch und verwerflich war, denn das ist so selbstverständlich, dass es Verschwendung wäre, sich weiter dazu auszulassen. Völlig unabhängig davon, wie geschmacklos, unsensibel oder vielleicht sogar rassistisch das Blatt war – nichts davon rechtfertigt Mord. Überhaupt geht es beim Buddelfisch um Popkultur, nicht um Politik, aber da es hier (zumindest vorgeblich) um Cartoons ging und ja auch wir schon zuweilen Dinge zeichneten, die manchen Leuten missfielen, ist es thematisch nahe genug dran.
– Außerdem war mein Solidaritätscartoon so ziemlich der erfolgreichste Beitrag, den wir je hatten. Und wenn wir nun schon Kriegsgewinnler à la Guido Knopp sind, können wir gleich auch noch was zum Thema machen.
Ist Solidarität angebracht?
Mir geht es erst einmal um die Kritik, die bald von verschiedenen Seiten am Hashtag #JeSuisCharlie laut wurde.
Einige betrachteten es als anmaßend, dass sich Leute hier den Namen von Mordopfern anhängen, ohne ein entsprechendes Opfer erbracht zu haben, andere kritisierten, dass CHARLIE HEBDO auch nicht wirklich ein Saubermann war, sondern des öfteren die Grenze zum Rassismus überschritt.
Zu letzterem verweise ich auf diese harsche Kritik eines ehemaligen Redakteurs aus dem Jahr 2013, der tatsächlich ein paar unrühmliche Sachen über die Politik des Blattes sagt, betone aber wieder meinen eigenen Mangel an Einsicht. Zumindest dieses Cover erscheint mir aber auch mit Erläuterungen wenigstens brutal missverständlich. – Ohne Kontext hätte ich es in einem Naziblatt verortet.
Doch für wirklich bedeutsam halte ich die moralische Qualität hier nicht.
Es geht nicht um die konkreten Menschen, die konkreten Opfer und die konkrete Zeitschrift CHARLIE HEBDO – es geht ums Prinzip.
Die Freiheit der Rede ist immer die Freiheit, das Falsche zu sagen, die Freiheit der Kunst immer die, verwerfliche Kunst zu machen. Denn was richtig ist und was verwerflich ist, wandelt sich immer wieder und wird von den Herrschenden und der Mehrheit festgelegt – es müssen also gerade die Freiheiten von Schwachen und Minderheiten geschützt werden. Wo die Grenze zur Hetze liegt, die niemanden gestattet werden kann, muss im Einzelfall geprüft werden, aber geschützt werden muss eben gerade nicht das, was niemanden stört.
Auf dieser prinzipiellen Ebene jedoch halte ich auch die Verwendung des Hashtags für zulässig. Weder sagt der Buddelfisch damit, wirklich CHARLIE HEBDO zu sein, noch segnet er alles ab, was diese Publikation je gemacht hat. Wir meinen den Hashtag als Zeichen, dass wir für die Freiheit sind, die der CHARLIE HEBDO-Redaktion genommen wurde.
Auch die Freiheit zum Falschen.
Denn ich persönlich bin, wie ich hier sagen möchte, auch kein Freund von Mohammed-Karikaturen.
Mohammed und Schockhumor
Ehe man mich falsch versteht: Ich bin nach wie vor für das Recht darauf und auch sonst auf böse Satire in alle Richtungen. Doch nur, weil man etwas dürfen muss, muss man es nicht unbedingt auch machen. Wer meint, einen guten Witz über Mohammed zu haben, soll ihn gerne bringen! Aber ein schlechter Witz wird nicht besser dadurch, kontrovers zu sein.
Nur etwas zu schaffen, weil damit neben Millionen friedlicher Muslime auch eine ganze Menge brutaler Unsympathen ein Problem damit haben, halte ich für eher ungut.Ich plädiere nicht für Selbstzensur aus Angst vor Extremisten, ich plädiere für Rücksicht auf Gemäßigte.
Ich selbst liebe Geschmacklosigkeiten und Schockhumor, (ach tatsächlich?) und weiß, dass ich damit auch zuweilen schon Leute vor den Kopf gestoßen oder verletzt habe. Das tut mir leid, aber ich halte es nicht für möglich, Kunst komplett „kindersicher“ zu machen – wer nach einem Sturz auf einer Bananenschale im Rollstuhl sitzt, wird auch von harmlosem Slapstick getriggert.
Der Punkt, auf den es mir aber ankommt ist, dass eben klar ist, dass es schockierend, da falsch ist. Der Tabubruch gewissermaßen das Ziel ist und ein entsprechendes Tabu voraussetzt. Ein Holocaust-Witz etwa wäre im 3. Reich wertlos (da bloße Bestätigung, wie richtig man doch drauf sei), unter Menschen, deren Konsens die absolute Falschheit der Shoah ist, hat er aber komisches Potential.
Es sollte die künstlerische, nicht die politische „Notwendigkeit“ im Mittelpunkt stehen.
Zudem: Wenn wir uns nur danach richten, was unseren Feinden missfällt, bestimmen sie indirekt doch wieder unsere Kultur. Um es mit dem Kollegen Fil zu sagen:
„Wenn wir uns genötigt sehen, krasse breitbeinige Mohammed – Karikaturen zu zeichnen, dann haben sie gewonnen.“
Zum Kollateralschaden hier zudem noch ein paar Worte von Joe Sacco (dessen Haltung zum Nahost-Konflikt uns jetzt bitte nicht kümmert; eine fruchtlose Diskussion dazu hilft jetzt keinem). Es ist kein Manifest, es sind nur ein paar Gedanken. Und ich glaube, Gedankenaustausch ist eine gute Sache.
Die Redakteure von CHARLIE HEBDO müssen keine Helden gewesen sein, damit man achten kann, wofür sie gestorben sind. Das ihnen widerfahrene Unrecht wertet ihre Arbeit an sich nicht auf. Wenn darunter etwas rassistisches war, ist es noch immer rassistisch, das beeinträchtigt aber nicht die Bedeutung dessen, was passiert ist.
#JeSuisCharlie ist ein Symbol und sollte nicht zu wörtlich genommen werden. Die Opfer waren Individuen, entsprechend kann niemand anderes wirklich sie sein. So gelten weder ihre Verdienste, noch ihre Verfehlungen für jemand anderen, nur, weil er mit einem uneindeutigen Hashtag Stellung bezieht.
(Und hallo Robert Crumb – ich war schneller!)
Horst
19. Januar 2015 @ 19:25
Auch der Postillion war schneller als Robert Crumb: http://www.der-postillon.com/2015/01/terroristen-haben-gewonnen-wir-sagen.html