#ComicGate und die Sexismusdebatte in der Comicwelt
Leider geht es hier nicht um die sympathische Website Comicgate.de, sondern wieder mal einen Skandal. Wie beim Nachbarskandal #GamerGate geht es auch hier wieder um Sexismus und mir nicht um eine Aufdröselung, wer genau was getan hat, sondern mehr einen allgemeinen Kommentar.
Aufregung um ein Manara-Cover
Es begab sich vor einiger Zeit, dass Marvel eine alternative Version des Heftes „Spider-Woman“ #1 mit einem Cover des Erotikzeichners Milo Manara herausbrachte. Das Covermotiv – Spider-Woman erklettert in verdrehter Haltung auf allen Vieren ein Dach, wobei ihr Hintern recht überdeutlich hervorgehoben ist – löste recht bald sowohl Erheiterung, als auch Empörung aus. Die Pose sei albern, der Fall des Kostümstoffes falsch und die Heldin biete sich dem Betrachter unterwürfig dar, wie es männliche Helden nie täten, hieß es. Marvel entschuldigte sich, jemandes Geschmack nicht getroffen zu haben und Meldungen, bereits weitere mit Manara vereinbarte Cover seien gecancelt worden, wurden verlautbart und zurückgerufen und sollen uns hier nicht kümmern.
Sexismus im Superheldencomic
Das Thema Sexismus im Superheldencomic ist durchaus eines, welches Betrachtung verdient. Gern wird vergessen, dass sich auch in der Realität Frauen meist körperbetonter kleiden als Männer (man der Kunst also kaum verbieten darf, sich daran zu orientieren). Auch beachte man hier die große Zahl weiblicher Cosplayer, die sich gern in solch enthüllende Kostüme werfen als Indiz dafür, dass es keine reine Männerfantasie ist, die hier bedient wird. Im Übrigen halte ich es für herablassend und frauenverachtend, diese zeigefreudigen Damen, zu hohlköpfigen Opfern patriarchalischer Puppenspieler zu erklären, wie es ja gern in diesem Zusammenhang geschieht.
Wo wir schon dabei sind: Viele Leute halten es für einen enthüllenden Kunstgriff, Frauenposen mit Männern nachzustellen und dann triumphierend auf die albernen Ergebnisse als Beweis von Sexismus zu deuten. Kleiner Tipp: Besagte Frauenposen sind auf weibliche Körper ausgerichtet. Dass sie mit männlichen Körpern nicht funktionieren, heißt nicht allzu viel. Eine Rambo-Pose mit Eric Idle nachzustellen sieht auch albern aus, aber heißt das, dass Muskelmänner diskriminiert werden?
Der Punkt liegt meines Erachtens woanders. Es ist die schlichte Menge und vor allem der Anteil von sexualisiert auftretenden Heldinnen, mit dem es problematisch wird. Ein paar Cheesecake-Heldinnen im Kampfbikini wird es immer geben und das ist auch okay. Kritisch wird es aber, wenn es kaum andere gibt – was leider der Fall ist. Wenn die Sexualisierung des Körpers nicht nur wichtiger ist, als die Charakterisierung, sondern dieser sogar widerspricht.
Wenn Vampirella in einem Hauch von Nichts agiert, passt es zur Figur: Sie stammt aus einer ungezwungenen Welt, strotzt vor Selbstbewusstsein und lebt ihre Sexualität offensiv und selbstbestimmt. Aber leider tragen auch Figuren wie Supergirl, die ausdrücklich als schüchtern oder unsicher charakterisiert werden möglichst kurze Röcke, während sie über die Stadt fliegen. Diese Kombination sagt „Egal, wer sie ist – geil muss sie sein!“ und das ist tatsächlich ignorant und zeigt ein generelles Desinteresse an weiblichen Figuren.
Ja, sobald jemand etwas verbessern will (wir denken an den löblichen Schritt, Wonder Woman Hosen zu gestatten) regt sich irgendwer auf. Aber irgendwer regt sich immer auf und wenn man an Nerdheiligtümern herummacht sowieso. Die Gefahr jener Hysteriker, man nehme jetzt alle Sexyness aus Comics, ist natürlich vollkommen absurd und ich wage zu behaupten, die Mehrheit der Comicleser hat keine Probleme mit etwas mehr bekleideten Heldinnen in normaleren Posen.
Zweierlei Maß?
Hysterisch sind aber leider auch viele der Ankläger in der aktuellen #ComicGate-Affäre. Und wie bei #GamerGate weigern sich auch hier viele Leute, gemischte Positionen zu akzeptieren – in dieser Schwarzweißwelt werden entsprechend auch Argumente weiterverwendet, die keine Ansichtssache, sondern schlicht und ergreifend falsch sind.
Die Behauptung etwa, niemals würde Spider-Man in einer solchen Haltung wie sein weibliches Gegenstück abgebildet, wurde inzwischen von Maddoxx (ja, an sich nicht unbedingt jemand, den ich in einer Geschlechterdiskussion zitieren würde) widerlegt, der den Spinnenmann in fast exakt der gleichen Pose aufspürte und noch andere, ähnlich körperbetonte Cover des Helden präsentierte (hier zur Auflockerung ein NSFW-Artikel, der Spider-Mans geheime Pornovergangenheit aufdeckt). Trotzdem ist die Behauptung nicht tot zu kriegen. – Hilfsweise heißt es dann, bei ihm sei es unproblematisch, da Männer ja generell nicht auf ihren Körper reduziert werden. Das ist an sich natürlich falsch (Seele und Geist von Stahlarbeitern, Soldaten und anderem menschlichen Verbrauchsgut unserer Gesellschaft interessiert herzlich wenig), aber nun bringe ich doch mal einen anderen Punkt ein, den ich so noch nicht gehört habe:
Superheldinnen SIND Objekte!
Klingt schockierend? Ist aber so. Doch ehe man mich falsch versteht: Superhelden männlichen Geschlechtes auch. Ebenso wie Superschurken. Und Mordopfer im Krimi. Und Ermittler im Krimi. Und die sensibel und dreidimensional gezeichneten Figuren einer Coming-of-Age-Story.
Sie alle sind keine Menschen, sondern Fiktionen. Sie haben keine eigenen Rechte, keine Würde und kein eigenes Leben, sie sind Objekte, geschaffen zum Zweck der Unterhaltung. Ob sie das dadurch tun, Reizwäsche zu tragen, dadurch, sich zu prügeln, oder dadurch, ihre familiären Konflikte zu lösen, ist für sie unerheblich. Manara kann Spider-Woman darum hier schwerlich zum Objekt machen, da sie schon ein solches ist und immer bleiben wird. Selbst, wenn sie in einem Film auftritt, wird sie vielleicht von einem Menschen verkörpert, wird jedoch selbst keiner. Ich habe oben gesagt, dass die Übersexualisierung von Superheldinnen lächerlich und peinlich ist und das ist sie nach wie vor. Das ist ein Vorwurf, den man erheben kann – aber nein, es reicht natürlich nicht. Es muss gleich Objektifikation sein und es muss rape culture dahinter stehen. Schwingen wir diese großen Keulen, mit denen sich schon Frederic Wertham lächerlich gemacht hat und wir können uns sicher sein, dass keine produktive Diskussion, sondern nur ebenso überzogene Gegenreaktion entstehen wird. Dem berechtigten Anliegen tut man damit nichts Gutes.
Auch, darauf hinzuweisen, wie unrealistisch sich das Kostüm über Spider-Womans Hinterbacken spannt, oder wie unpraktisch diverse Reizwäscheuniformen sind, ist zutreffend, aber bedeutungslos. In der Superheldenwelt zählt Coolness, nicht Realismus. Wer das nicht glaubt, höre sich an, was „Watchmen“ oder die „Incredibles“ zum Thema Cape zu sagen haben.
Sonderfall Manara?
Der Kernpunkt ist also real und schon länger bekannt – warum löst also nun gerade dieses Cover so eine Affäre aus? Ich kann hier nur spekulieren, glaube aber, dass mehr strategische, denn moralische Ursachen hat. Comic- und Gamingszene sind einander verwandt und nachdem sich gerade in der einen gezeigt hatte, wie hoch ein Sexismusskandal schwappen kann (und was für Chancen auf Bekanntheit er bietet), schien der Zeitpunkt passend, einen Ableger zu bauen. Und Manara war der optimale Anlass, denn was unterscheidet ihn von all den anderen Zeichnern, die ähnliche Posen zeichnen? – Dass er ein Erotikzeichner ist.
Der Fairness halber möchte ich (der ich ehrlich gesagt kein sonderlicher Manara-Fan bin) hinzufügen, dass man tatsächlich anmerken kann, dass seine weiblichen Figuren alle das gleiche Gesicht zu haben scheinen, was man durchaus als eine Ignoranz gegenüber weiblicher Individualität deuten kann. Andererseits gleichen sich auch viele von Hayao Miyazakis toughen und selbstständigen Heldinnen (Nausicaa, Mononoke, Kiki…) wie Mehrlinge.
Doch in jedem Fall ist Manara hier einfach jemand, auf den sich gut mit dem Finger zeigen lässt. Jemand, der schwer zu verteidigen ist, wenn man Vorwürfe der Unsittlichkeit gegen ihn erhebt. Zudem zieht die berechtigte Kritik an der Übersexualisierung leider regelmäßig auch die momentan wiedererstarkende Strömung des sexnegativen Feminismus an. Für diese ist es eine generelle Chance für ihren Kampf gegen die sexuelle Befreiung des Menschen. Und wenn der Anstoß erst einmal gegeben ist, finden sich immer Leute, die auf den Zug aufspringen.
Darum gemahne ich noch mehr, als in der #GamerGate-Sache zur Gelassenheit. Das Thema ist real und sollte diskutiert werden, aber dieser Anlass ist nicht der beste. Und vor allem sollte man ihm nicht durch Übertreibung und Hysterie schaden: Niemand wird zum Schluss kommen, alle Frauen seien Huren, weil Mary Marvel einen Minirock trägt und niemand will alle Comicfiguren in Burkas hüllen. Tun wir nicht so, als ginge es bei der Frage von Superheldenkostümen um das Schicksal der Welt, nur weil es das ist, um welches besagte Kostümträger regelmäßig kämpfen.
abgelehnt83
4. Oktober 2014 @ 14:02
Alter, lasst die doch labern!
Nicht mal ignorieren diese politisch korrekten, die haben doch am allerallerwenigsten Ahnung von der Welt, noch krasser als ein Vorgartenzwerg polierender Blödzeitungsleser mit Socken in den Sandalen (warum eigentlich nicht?) …
Dirk M. Jürgens
4. Oktober 2014 @ 15:05
Ich fürche, bei mir sprechen drei Gründe dagegen, Leute einfach labern zu lassen:
1) Dann bleiben Dinge unwidersprochen und können am Ende Einfluss gewinnen.
2) Ich sehe ja durchaus Veränderungsbedarf und mache mir entsprechend auch Sorgen um die richtigen Teile ihres Anliegens.
3) Ich bin recht zwanghaft. 😉
abgelehnt83
4. Oktober 2014 @ 16:25
Na dann, Feuer frei! )))
aber apropos politisch-korrekt, gibt es eine Fortsetzung vom „revolutionären Alltag“; wahlweise auch mit diesem alten Sack der sich in die eigene Hose pisst im Kampf gegen die, die gegen die westlichen Werte wettern.
Dirk M. Jürgens
4. Oktober 2014 @ 20:38
Ich will es nicht ausschließen. Das ergibt sich immer recht spontan. 😉
Robin
4. Oktober 2014 @ 17:41
Das Cover ist grausig. Ob man deswegen einen Mega-Shitstorm anleiern muss, ist eine andere Sache – aber das Cover IST grausig. Ich weiß nicht, wie ich es anders formulieren soll, darum leider so: In diesem Kostüm und in dieser Haltung könnte man im Prinzip von hinten jede einzelne Runzel ihres Arschlochs zählen. Sorry. Und daher kann ich verstehen, weshalb man sich darüber aufregen kann.
Ob der Shitstorm was mit Manaras Status als Erotikzeichner zu tun hat weiß ich nicht – ich weiß nur, dass ich das Cover auf den ersten Blick scheiße fand, also bevor ich davon wusste.
Was du über Vampirella schreibst, kann ich nachvollziehen. Ich glaube, kein Fangirl will alle sexy Darstellungen verbannen, aber man muss auch dazu erwähnen, dass Fangirls solche Comics üblicherweise eher nicht kaufen. Mich haben solche Charaktere, deren hervorstechenste Eigenschaft Sexiness ist (ob jetzt Vampirella, Witchblade oder ähnliches) abgeschreckt. Umso schöner, dass es auch noch andere gibt – und umso schlimmer, wenn diese dann versaut werden. Eine mehr-nackt-als-angezogene Vampirella interessiert mich gar nicht, eine Wonder Woman in einer übertrieben sexualisierten Pose allerdings schon!
Der Einwand, die Figuren seien eh Objekte, halte ich dagegen für relativ bedeutungslos.
„Es muss gleich Objektifikation sein und es muss rape culture dahinter stehen. Schwingen wir diese großen Keulen, mit denen sich schon Frederic Wertham lächerlich gemacht hat“
Du verlinkst „Seduction“, also wendest du dich an jene, die mit dem Namen Wertham nichts anfangen können. In dem Fall wäre ich allerdings vorsichtig mit solchen Vergleichen. Die Formulierung impliziert, der gute Doktor hätte Objektifizierung und Rape Culture beklagt, dabei ist gerade letzteres einfach Unsinn. Lächerlich hat er sich mit einigen anderen Thesen gemacht, wobei ich nach intensiver Beschäftigung im Frühling mit dem Thema geneigt bin zu sagen, dass einige Argumente nicht VÖLLIG haltlos waren.
Dirk M. Jürgens
4. Oktober 2014 @ 20:47
Dagegen, das Cover grauslich zu finden, habe ich überhaupt nichts. Finde es auch nicht sonderlich toll, die anatomischen Einwände dagegen sehe ich voll und ganz ein und will es künstlerisch bestimmt nicht verteidigen.
Entsprechend kann man es natürlich auch ohne jedes Hintergrundwissen mit voller Berechtigung scheiße finden – ich hoffe, in dem Absatz klang ich nicht zu verschwörungstheoretisch. 😉
Bezüglich des Unterschieds zwischen Vampirella und Wonder Woman sind wir ja so ziemlich einer Meinung und du hast auch recht, dass die kontextlose Erwähnung Werthams hier tatsächlich missverständlich rüber kam. Es ging mir halt nur um die Gemeinsamkeit „Comics machen die Gesellschaft pervers“, aber ansonsten gehen die Vorwürfe des Dottore und der ComicGate-Hysteriker (Achtung, nicht zu verwechseln mit Sexismuskritikern in diesem Bereich allgemein, sonst würde ich mich ja selbst mit erwischen) ja in der Tat in unterschiedliche Richtungen.
Das der Mann irgendwo auch mal was richtig gedacht haben wird, schließe ich nicht aus, aber wir sind uns wohl einig, dass er sich mit der Hierarchisierung, kommende Comicleser wären schlimmer als Hitler (ehe Hitlervergleiche trendy waren) halt generell ins Abseits geschossen hat.
Die „Objekt“-Nummer ist auch eher eine Spitzfindigkeit gegen die Angewohnheit, immer gleich den schlimmsten Vorwurf zu erheben. Denn wie gesagt: Was die meisten weiblichen Superheldenfiguren angeht ist da durchaus einiges im Argen und darauf weist man halt besser hin, wenn man den Fans nicht gleich erzählt, ihre Zeichner würden Frauen hassen oder verachten, nur weil sie sich unfreulichen Konventionen beugen. Halt mein altes Mantra, man möge versuchen, es nicht zu hoch zu kochen und lieber miteinander, als gegeneinander zu reden.
gast
4. Oktober 2014 @ 22:30
Sehr interessanter Artikel, vielen Dank, mich würde interessieren ob du Maddox video zu dem Thema gesehen hast.
Übrigens würden die Personen die in der gamer variante involviert sind vermutlich widersprechen und sagen dass es um journalismus geht.
Dirk M. Jürgens
5. Oktober 2014 @ 11:12
Maddox‘ Video habe ich gesehen. Es ist in seinem Artikel eingebettet, so dass ich lieber auf den, als auf das Video direkt verlinkt habe.
In der Frage, worum es im Kern geht, unterscheiden sich ja #Gamer- und #ComicGate trotz thematischer Ähnlichkeiten voneinander. Ersteres dreht sich ja tatsächlich primär um die journalistische Ethik der Medien: Nicht, was Sarkeesian sagt, ist das Problem, sondern dass es kritiklos und einseitig übernommen wurde. Hier bei der Comicversion hingegen geht es ja primär um künstlerische Aspekte – weshalb es hier wohl auch weniger Wellen schlägt, da das nun einmal weniger moralisch bedeutsam ist.