Mittelalter im Gamingjournalismus
Anita Sarkeesian und #GamerGate in der Landeszeitung
An sich habe ich mich ja sowohl zu Anita Sarkeesian, als auch der noch immer laufenden #GamerGate-Affäre bereits ausführlich geäußert, da die Themen mich aber von unerwarteter Seite anfielen, gibt es diesmal noch einen Einzelfall dazu.
Dass die Schleswig-Holsteinische Landeszeitung (Ausgabe vom Montag, 15. September 2014, Seite 24) eine ganze Seite auf Videospiele verwendet, ist an sich löblich. Doch leider hat man neben verschiedenen Artikeln auch einen Kommentar des Netzreporters Gerrit Hencke mit der Überschrift „Mittelalter in der Gamingbranche“ hinzugefügt, in welchem dieser einseitig die Geschichte der heiligen Anita erzählt. Wie diese nur ihre dringend notwendige Meinung äußerte und seitdem böse bedroht und beleidigt wird, wie sie für ihre Leistung den Game Developers Choice Award für ihre angebliche Botschaftertätigkeit für die Videospielbranche erhielt (wie ja auch die BILD als Botschafter des Islams auftritt, da sie ja alles auf die Titelseiten packt, was ein Moslem je Falsches getan hat) und der Hass dann nur noch zunahm.
Kein Wort davon, dass Sarkeesian polemisiert (was sie darf, was dann aber auch den Fortgang der Diskussion beeinträchtigt). Kein Wort von den sachlichen Fehlern und der fragwürdigen Kommentarpolitik. Kein Wort davon, welche Beleidigungen und Beschimpfungen auch ihre Anhänger über Andersdenkende ausschütten. Kein Wort, von #GamerGate, den Fine Young Capitalists oder feministischer Kritik an der gut verdienenden Damsel in Distress. Ja, nicht einmal ein Wort vom Kickstarter-Vermögen selbst. Nur die Geschichte einer mutigen Frau, deren Meinung man nicht hören will.
„Sachliche Kritik wäre ja ganz in Ordnung“ billigt Hencke Andersdenkenden zwar großzügig zu, doch dass abgeschaltete Kommentare und eine mit Beschimpfungen gespickte Mauerpolitik der großen Websites diese draußen halten, verschweigt er. Zudem beachte man den recht infamen Konjunktiv, mit dem er quasi die unzähligen Videos und Artikel leugnet, die eben genau diese sachliche Kritik äußerten, von Sarkeesian und ihren Anhängern jedoch ignoriert werden.
Die (natürlich auch genannten) Diversity-Defizite der Videospielwelt bestehen nach wie vor, man darf diese auch ruhig dringlicher betrachten, als es viele Gamer tun. Nur sollte man auch in einem Kommentar nicht die journalistische Integrität missachten, wie es #GamerGate anprangert und wie es hier auch wieder vorgeführt wird. Nein, gelogen hat Hencke nicht. Doch gelogen wäre es auch nicht, die Geschichte des Nahostkonflikt als eine Reihe militärischer Aktionen Israels zu schildern und die Existenz von Hamas, Hisbollah & Co wegzulassen – doch das Ergebnis wäre verfälscht. Ich glaube nicht, dass Hencke fälschen wollte, doch ich argwöhne, dass er schlicht nicht wirklich recherchiert hat, sondern auf die nächste, oberflächliche Schilderung zurückgegriffen. Wikipedia etwa lässt in ihrem Artikel zu Anita Sarkeesian nicht einmal die Erwähnung von Kritik an ihr zu (und behandelt #GamerGate lediglich als Unterthema im Absatz „Harassment“). Wer sich darauf verlässt, geht in die Irre. Doch ein Journalist sollte da kritischer sein.
Hier geht es nicht nur um richtig und falsch in der Videospieldebatte, hier desinformiert der Autor über sein Thema, die Netzwelt.
Mittelalterlich, ist damit also wohl vor allem Hencke selbst, der wie ein höfischer Herold zwar von der Verwüstung durch die Aufständischen berichtet, nicht aber, dass diese ihren Grund in der Hungersnot haben, die durch die Misswirtschaft des Königs verursacht wurde.
TomHorn
15. September 2014 @ 23:35
Herr Jürgens, unterlassen Sie doch bitte diesen fiesen Sexismus, dass es ein König sein muss, der diese Misswirtschaft betrieben hat…
…der Arme hört doch bestimmt nur auf das, was ihm seine herrische Frau ins Ohr flüstert. 🙂
Camazotz
16. September 2014 @ 13:55
Wenn wir es korrekt halten wollen, war es wohl eher eine selbsternannte Königin, deren Hofnarren und die daraus resultierende Misswirtschaft, die zu diesem einzigen „Clusterfuck“ führte :D.
Udo
16. September 2014 @ 19:37
Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang ein neuer Artikel, den Zoe Quinn für Cracked geschrieben hat: http://www.cracked.com/blog/5-things-i-learned-as-internets-most-hated-person/
Dirk M. Jürgens
16. September 2014 @ 20:00
Autsch, von dem halte ich mich lieber fern.
Kann ihn entsprechend nicht beurteilen, abe die Entscheidung, ausgerechnet demjenigen eine Plattform zu bieten, der eh schon die komplette Presse hinter sich hat, ist ganz generell fragwürdig. – Will ich nicht mit einem weiteren Klick unterstützen.
Zudem es wie gesagt bei #GamerGate ja längst nicht mehr um Quinn geht, auch wenn ihre Anhänger daran festhalten, um so bloß nicht auf das eigentliche Thema zu kommen.
Udo
16. September 2014 @ 21:51
@Dirk: Es geht in dem Artikel nur indirekt um GamerGate (sie erwähnt nur ein paar Mal, dass natürlich alle Vorwürfe gg. sie Bullshit seien), sondern vielmehr darum ,wie es ist, im Zentrum eines solchen Riesenshitstorms zu stehen. Es ist aber dennoch bemerkenswert, dass die Frau es mühelos schafft, es so hinzustellen, als wäre sie allein das Zentrum der Geschichte, was sie (wie du ja sagst) längst nicht mehr ist.
Dirk M. Jürgens
17. September 2014 @ 13:20
Ah, danke für die Zusammenfassung!
So in der Art hatte ich es auch erwartet: Bloß nicht den Gesamtzusammenhang zeigen, sondern immer bei emotionalen Einzelperspektive bleiben, auf dass alles, was jemand anschließend wahrnimmt, dadurch gefiltert ist.
Hier speziell traurig, da dadurch wie im Fall Sarkeesian die Opferrolle der Frau, welche doch angeblich bekämpft werden soll, gestärkt und zu PR-Zwecken bestätigt wird.
derdiebuchstabenzählt
20. September 2014 @ 15:53
„Diversity-Defizite“ Was ist das bitte und warum sollte das ein Problem sein? Weiter, wenn es diese Diversity-Defizite geben sollte, wann wäre denn das Problem gelöst und ab wann hätten die zuviel Diversity?
Dirk M. Jürgens
20. September 2014 @ 19:23
Das ist natürlich keine präzise Wissenschaft, aber die Mainstream-Spielewelt ist schon sehr überdurchschnittlich männlich und weiß und wenn weiblich, dann kaum bekleidet.
Das ist nicht falsch, nicht böse, nichts, was zu ändern irgendjemand „entitled“ ist, aber künstlerisch wäre es schon schöner, wenn da eine größere Vielfalt herrschen würde. Auch ganz außerhalb jeder Genderdiskussion (und entsprechend friedlicher) wurde ja schon öfters das Übermaß an „grizzled Space Marines“ bemängelt und über die vielen Metallbikinis gelacht. Da eine größere Abwechslung wäre für das Medium und seine Akzeptanz sicher gut.
derdiebuchstabenzählt
20. September 2014 @ 19:35
„Da eine größere Abwechslung wäre für das Medium und seine Akzeptanz sicher gut.“
Schön, schön. Nur was macht Dich da so sicher und wer entscheidet was diese Vielfalt denn nun ist? Die Diversity der Meinungen scheint ja von Teilen der sich als Meinungsführer.I.nnen aufspielenden Vielfältigerinnen gerade nicht gewünscht. Die befördern doch gerade bei Meinungen zu dem Thema „Diversity-Defizite“! Fällt das denn wirklich keinem auf?
Dirk M. Jürgens
20. September 2014 @ 20:48
Da muss man eben die Spiele selbst und die Diskussion darüber trennen. Deren unterschiedliche Lage sorgt ja für noch mehr Verwirrung und böses Blut: Die Spielewelt ist tatsächlich eine muskulöse Männerwelt, die nach der großen männlichen Zielgruppe geht, in der Diskussion aber herrschen in den Medien (pseudo)feministische Positionen.
So kommen Frauen in den Spielen, Männer in der Diskussion darüber zu kurz und beide haben (nicht ganz zu unrecht) das Gefühl, benachteiligt zu werden. Daraus schließen sie dann aber oftmals gleich auf eine große böse Verschwörung gegen ihr Geschlecht und gehen auf einen kompromisslosen Kriegspfad, ohne zu sehen, wo sie ganz gut bedient werden. Aus dieser Perspektive bekämpfen die selbsternannten Social Justice Warriors dann eben tatsächlich Vielfalt und Diversity, da sie sich in die Ecke gedrängt glauben.
Würde jeder anerkennen, wo er Vor- und der andere Nachteile hat, könnte man gelassener miteinander umgehen, aber das wollen die lauten Stimmen, die auf dem Geschrei ihre Karriere aufbauen (allen voran eben Anita Sarkeesian) nicht. Denn in einer Welt ohne die angeblich von ihnen bekämpften Probleme, bräuchte man sie ja nicht mehr und sie hätten ihren Anführerstatus verloren.