„Ziemlich beste Freunde“ oder Scheiß auf andere!
„Ziemlich beste Freunde“ (2011) von Olivier Nakache
Dieser Film, der die Leute begeistert und mit Lebensfreude füllt, hat mich wütend und frustriert gemacht. Warum? Nun, sein enormer Erfolg und die absolute Begeisterung von Kritikern wie Publikum gleichermaßen lässt mich vor meiner Spezies erschauern, die, mit einigen Oberflächenreizen zufriedengestellt, jedes kritische Hinterfragen vermissen ließ.
Ja, wir sind wieder in der schönen Welt der Ideologieanalyse.
Haken wir den Rest also schnell ab: Der gelähmte Aristokrat Philippe bekommt den schwarzen Kleinkriminellen Driss als Pfleger, sie werden supergute Kumpels und lernen voneinander Kultur, bzw. Dinge leicht zu nehmen. Dass im Kern eine wahre Geschichte drin steckt, mag als Entschuldigung für mangelnde Originalität genommen werden, doch das ist auch nicht mein Problem.
Das große Problem ist, dass Driss nicht etwa unkomplizierte Lebenslust und die einfachen Freuden verkörpert, sondern pures Arschlochtum.
Hey, auch ein Arschlochheld kann Spaß machen, aber das Problem ist, dass der Film ihn nicht als solchen versteht, sondern wir ihn ins Herz schließen sollen – teils, gerade wegen seiner Arschlöchrigkeiten.
Bevor jetzt jemand protestiert, dass seine raue Art mit Philipp doch gerade das ist, was dieser, ermüdet vom ewigen Mitleid seiner Umwelt, will, bitte ich, abzuwarten und meinen Ausführungen zu folgen, denn darum geht es mir hier tatsächlich nicht.
Medias in res beginnt der Film damit, dass unsere Helden, von der Polizei verfolgt, mit dem Auto durch die Stadt rasen, als sie eingeholt werden, empört einen medizinischen Notfall behaupten, zum Krankenhaus eskortiert werden, dort aber lachend wegfahren, als man ihnen zu Hilfe kommen will. Der Schnitt achtet darauf, die Polizisten (die komplett im Interesse der Verkehrssicherheit handeln) nur mit gezogenen Waffen und das Krankenhauspersonal gar nicht (bzw. nur als undeutliche Schemen) zu zeigen, damit wir die Helfer und Retter nicht etwa als Menschen wahrnehmen. Denn dieses Gesocks kümmert uns nicht, es geht nur darum, dass unsere Helden Spaß haben.
Die Szene ist eine Miniatur dessen, was der Film auch sonst predigen wird: Antisoziales Verhalten, Egoismus und das absolute Ignorieren anderer Menschen.
Ganz in Ghetto-Tradition erfordert Driss gern empört Respekt von seiner Umwelt, aber leider hält er es in eben dieser Tradition nicht für nötig, ihn anderen zu erweisen: Als Philipps Tochter ohne anzuklopfen in seine Räume eindringt und sich tatsächlich äußerst unhöflich gemahnt, führt das zu einem wütenden Monolog unseres Sympathieträgers, wie notwendig physische Gewalt gegen diese, von ihrem Vater den kompletten Film durch ignorierte Halbwaise ist. Mit seiner Unterstützung staucht Philippe sie dann auch erst mal zusammen, was die einzige Zuwendung ist, die er ihr in unserer kleinen Geschichte je zukommen lässt.
Ich will nicht über Erziehung streiten und die Tochter ist auch keine wirklich ausgearbeitete Figur, doch diese Szene beißt sich furchtbar mit der vorher stattfinden, in welcher unser Apostel schwarzer Pädagogik seinen Arbeitgeber in die Oper begleitet. Dort schüttet er sich lauthals vor Lachen über die Schwachsinnigkeit einer, ihn nicht interessierenden Kunstform aus und es wird als warme, menschliche Szene gesehen, dass auch Philippe amüsiert ist, wie sein Gegröle die anderen Opernbesucher und den Sänger auf der Bühne stört. Respekt für den Künstler, anyone?
Ein weiteres Puzzleteil liefert eine Szene, in welcher Driss andere väterliche Aufgaben übernimmt. So egal sie als Figur auch ist, bietet die Tochter ihm Gelegenheit zu glänzen, als ihr Freund sie verlässt. Da ja männliche Wesen bekanntlich kein Recht haben, eine Beziehung zu beenden, fängt Driss ihn nach der Schule ab und bedroht den weichlichen, langhaarigen Brillenträger. Er zwingt das unmännliche Nichts zur Erniedrigung und Knechtschaft im Dienste der Ex, der er künftig täglich Frühstück zu bringen hat – wobei er sich natürlich die Gaudi nicht nehmen lässt, ihn auch dabei etwas zu erschrecken, um ihn an seine Ketten zu gemahnen.
So ekelhaft diese Szene ist, sehe ich sie übrigens nicht als speziell männerfeindlich. Denn es geht hier offensichtlich nicht darum, der egalen (und danach auch nie wieder vorkommenden) Tochter zu helfen, sondern unser toughes Alpha-Männchen zu bestätigen. Andere niedermachen fühlt sich gut an, wie jeder Schulhofschläger bestätigen kann und der Beliebtheit beim anderen Geschlecht schadet es auch nicht gerade. Der echte Mann (rasiert, kräftig und gewaltbereit) verweist den schwachen Mann (langhaarig, intellektuell und gewaltlos) auf seine Plätze, damit das Publikum, das auch gern Täter wäre, sich mit ihm identifizieren kann. Hey, es ist ein Behindertendrama! Das zu sehen MUSS moralisch korrekt sein, da braucht man sich nicht zu hinterfragen!
Es bleibt jedoch nicht bei diesem einen, nahezu psychotischen Fall von protagonist-centered morality zuungunsten von Nebenfiguren, sondern spielt auch in die Haupthandlung herein: Philippe hat nämlich eine Brieffreundin, mit der er Lyrik austauscht. Diese Unmännlichkeit kann Driss nicht mit ansehen und zwingt ihn zum telefonischen Kontakt, sowie dem Austausch von Fotos. Er verweist auch darauf, dass man die Gefahr, versehentlich etwa mit einer Übergewichtigen zu kommunizieren, nur so ausschalten könne.
Beim ersten geplanten Date bekommt Philippe nicht nur steife, sondern auch kalte Füße und lässt sie sitzen. Auch das in direkter Nachbarschaft zur Unterwerfung seines Schwiegersohns, hier aber natürlich kein moralisches Problem. Schließlich ist die Brieffreundin auch bisher gesichtslose Unperson und er ja zumindest monetär ebenfalls ein Alpha-Männchen und damit über den Gesetzen der Schwachen stehend.
Ebenso wird dann auch das glückliche Ende erzwungen: Unsere Helden sitzen in einem Restaurant und Driss hat einfach die Frau (die ohne eigenen Willen offenbar immer abrufbereit ist) dazu bestellt. Was Phillippe davon hält, kümmert ihn nicht – der ist ein Krüppel, kann seinen Willen nicht durchsetzen, dann kann er auch nicht beachtlich sein.
Aus diesem erzwungenen Date, welches die Fortsetzung eines erzwungenen Telefonkontaktes war, entsteht laut Schrifttafeln am Ende dann eine glückliche Ehe. Wie gut, dass sich der Gesunde über den Willen seines Freundes ebenso hinweggesetzt hat, wie über den jedes anderen Menschen in diesem Film!
Tu was du willst und wenn du anderen Menschen (aus welchen seltsamen Gründen auch immer) etwas Gutes tun willst, dann zwinge sie zu ihrem Glück. Das ist der Handlungskern des Films.
Dass das so ziemlich niemanden aufgefallen ist, schockiert und frustriert mich.
Die Leute sehen, wie der Schwache unterdrückt und schikaniert wird und gehen dann inspiriert und gerührt aus dem Kino in dem Glauben, einen tollen, menschlichen Film gesehen zu haben. Dass der Menschenstatus dabei nur dem Vertreter des Zuschauers gewährt wird, andere Leute lediglich dahingehend zählen, wie sie sich auf dessen Wohlbefinden auswirken merkt keiner.
Ich nenne das übrigens das Dwayne-Hoover-Syndrom, nach dem Helden von Kurt Vonneguts „Breakfast for Champions“, der schließlich dem Wahn erliegt, er selbst sei der einzige echte Mensch, alle anderen bloße Roboter, programmiert, ihm eine Umwelt zu schaffen. „Ziemlich beste Freunde“ propagiert exakt diese Weltsicht und lässt mich an ein anderes, hier besprochenes Werk denken, welches uns erst kürzlich zeigte, wohin so eine Einstellung führen kann…
Udo
10. Juli 2014 @ 14:21
Na dann wollen wir doch einmal alles richtig stellen, was der Dirk so „vergessen“ hat.
„Ein weiteres Puzzleteil liefert eine Szene, in welcher Driss andere väterliche Aufgaben übernimmt. So egal sie als Figur auch ist, bietet die Tochter ihm Gelegenheit zu glänzen, als ihr Freund sie verlässt. Da ja männliche Wesen bekanntlich kein Recht haben, eine Beziehung zu beenden, fängt Driss ihn nach der Schule ab und bedroht den weichlichen, langhaarigen Brillenträger. Er zwingt das unmännliche Nichts zur Erniedrigung und Knechtschaft im Dienste der Ex, der er künftig täglich Frühstück zu bringen hat – wobei er sich natürlich die Gaudi nicht nehmen lässt, ihn auch dabei etwas zu erschrecken, um ihn an seine Ketten zu gemahnen.“
In der Szene geht es nicht darum, dass deren Freund mit der Tochter Schluss gemacht hat. Es geht darum, dass dieser die Tochter dabei erniedrigt und sie eine Schlampe genannt hat. Das wollte Driss so nicht stehen lassen und da Philippe so sehr mit seinen eigenen Problemen beschäftigt war, wollte er die Sache selbst in die Hand nehmen. Über die Art wie er das gemacht hat, kann man sicher diskutieren, aber als Knechtschaft, so wie du sie schilderst, hat das der Film in meinen Augen nicht gezeigt.
„Beim ersten geplanten Date bekommt Philippe nicht nur steife, sondern auch kalte Füße und lässt sie sitzen. Auch das in direkter Nachbarschaft zur Unterwerfung seines Schwiegersohns, hier aber natürlich kein moralisches Problem. Schließlich ist die Brieffreundin auch bisher gesichtslose Unperson und er ja zumindest monetär ebenfalls ein Alpha-Männchen und damit über den Gesetzen der Schwachen stehend.“
Erstens: Schwiegersohn?? Die zwei gehen noch zur Schule, also lass‘ die Kirche mal im Dorf.
Zweitens: Philippe hatte einfach riesige Angst davor, wie die Frau reagieren würde, wenn er tatsächlich im Rollstuhl vor ihr sitzt. Der war da ALLES ANDERE als ein Alphamännchen und vor allem hatte die Szene nichts damit zu tun, dass Philippe sich über irgendjemanden stellen wollte, sondern einfach darum, dass hier seine Angst das Ruder übernommen hat. Und was tun wir, wenn das bei uns so ist? Wir handeln irrational. Das hat aber nichts mit Egoismus zu tun.
„Ebenso wird dann auch das glückliche Ende erzwungen: Unsere Helden sitzen in einem Restaurant und Driss hat einfach die Frau (die ohne eigenen Willen offenbar immer abrufbereit ist) dazu bestellt. Was Phillippe davon hält, kümmert ihn nicht – der ist ein Krüppel, kann seinen Willen nicht durchsetzen, dann kann er auch nicht beachtlich sein.“
Das wäre dann, bitte sei mir nicht böse, der Punkt, an dem ich mich Frage, ob du mit Absicht alles verstehen willst in dem Film. Erstens: Was heißt hier „ohne eigenen Willen immer abrufbereit ist“? Es gab genau zwei Treffen, von denen das erste nicht geklappt hat. „Ohne eigenen Willen immer abrufbereit“ stelle ich mir anders vor.
Punkt zwei: Philippe hat sehr wohl einen eigenen Willen, nur geht es hier nicht darum, dass Driss diesen Willen ignoriert. Es geht darum, dass Driss Philippe helfen will, wieder zurück ins Leben zu finden und deshalb eröffnet er ihm diese Möglichkeit. Ja, er gibt ihm einen kleinen Schubser, aber ob Philippe diese Chance ergreifen will, entscheidet er immer noch selbst.
Übrigens finde ich es interessant, dass du in dem Zusammenhang die Paragliding-Szene nicht erwähnst. Oder passt dir eine Episode, in der Philippe seinen Willen durchsetzt und Driss, obwohl es ihm höchst unangenehm ist, mitmacht, gerade nicht in dein Konzept? Und falls du jetzt damit anfangen möchtest, dass hier eben Philippe auf Driss geschissen hat: Nein, hat er nicht. Echte Freunde tun so etwas füreinander und geben deshalb auch Sachen eine Chance, von der sie vorher nie geglaubt hätten, dass sie das tun würden. Was in meinen Augen mitunter auch ein Grund dafür ist, dass Philippe dem Date doch noch eine Chance gegeben hat.
Ich lese deine Analysen sonst sehr gerne, aber hier liegst du meiner Meinung nach ziemlich weit daneben.
Dirk M. Jürgens
10. Juli 2014 @ 14:56
„Es geht darum, dass dieser die Tochter dabei erniedrigt und sie eine Schlampe genannt hat.“
Weitere Erniedrigungen oder Details wissen wir nicht. Wir haben nur das Wort der Tochter (die uns sonst ständig als unsympathisch, grob und damit eher wenig vertrauenswürdig präsentiert wurde), dass er sie so bzeichnet habe. Das ist wenig Kontext, um davon zu gewaltsamen Maßnahmen zu greifen. Hier hat man eben die Umstände so gestaltet, dass der Zuschauer nicht hinterfragt: Wie man früher im Süden der USA nur andeuten musste, irgendein Schwarzer habe irgendeine Weiße vergewaltigt, um gleich ein paar Lynchmorde zu veranlassen.
“ Das wollte Driss so nicht stehen lassen“
Schließlich weiß er, dass ihr eine zu kleben, wie er es kurz zuvor gefordert hatte, die richtige Antwort gewesen wäre. Auch hier beachtlich der Zusammenhang: Er ist nicht die überfürsorgliche Vaterfigur, der bei Bedrohung seiner Prinzessin schnell mal die Drähte durchglühen (gerade in der Szene lacht er sich über ihren untauglichen Selbstmordversuch kaputt), sondern jemand, der weiß, was für eine Unsympathin sie ist und bereits härtere Maßnahmen als eine solche Titulierung gegen sie forderte. Doch das ist das, was ER darf…
„wollte er die Sache selbst in die Hand nehmen“
Wie die aufrechten Südstaatler in meinem obigen Vergleich. Dass Recht und Ordnung oder auch nur Wahrheit keine Punkte sind, die Driss (und den, mit ihm sympathisierenden) Zuschauer kümmern, passt in das egoistische Gesamtbild: Der Starke muss sich nicht um die Werte der schwachen Welt kümmern.
„Schwiegersohn“ diente jetzt nur als griffige Kurzform, da ich den Namen des Typen nicht hatte, aber das war auch nie der Punkt. Mir geht es darum, dass (wie in der Opernszene und dem Eindringen der Tochter in Driss‘ Räume) an zwei Figuren ein ähnliches Verhalten gezeigt, aber verschieden gewertet wird.
– Der eine ist nicht für eine Frau da (Gründe kümmern uns nicht, er ist keine Hauptfigur) und muss entsprechend unterworfen und gedemütigt werden. Der andere ebenso… na ja, sehen wir es ihm nach. Schließlich ist er behindert und die kann man nicht wie normale Menschen… oh halt! Unsere Botschaft war ja eigentlich das komplette Gegenteil… Egal, merkt schon keiner, denn wer hinterfragt schon die Führung?
„“Ohne eigenen Willen immer abrufbereit” stelle ich mir anders vor.“
Auch hier natürlich eine sarkastische Überspitzung. Wir wissen natürlich die Umstände ihrer erneuten Kontaktierung nicht, aber ihre Seite wird halt komplett ignoriert. Sie ist bloße Funktion. Nebenbei: an Phillippes Bartwuchs sehen wir, dass ordentlich Zeit vergangen ist. Dass sie also noch immer gerade in der Stadt ist, ist zumindest nicht selbstverständlich.
„Ja, er gibt ihm einen kleinen Schubser“
Er ruft die Frau eigenmächtig an, er arrangiert das Treffen im Restaurant. Phillippe ist vor Ort, als sie eintrifft, könnte also nur noch versuchen, verzweifelt blasend wegzurollen, wenn er das ihm aufgezwungene Treffen nicht wollte. Nicht wirklich eine Möglichkeit, scheint mir.
„Übrigens finde ich es interessant, dass du in dem Zusammenhang die Paragliding-Szene nicht erwähnst.“
Stimmt, die hatte ich komplett vergessen, da ich mir meine Notizen erst nach dem Film machte, aber sie fiel mir auch schon auf: Auch da wird wieder jemanden der Wille aufgezwungen. Wie gesagt: Ein Teil der Botschaft ist die Gleichheit der so verschiedenen Protagonisten – einer Alpha, da stark, der andere, da reich. Wenn Phillipe nicht diese, hier vorgeführte Macht hätte, wäre sein Wohlergehen ja uninteressant, denn dann wäre er einer der kleinen, für die Knute bestimmten Menschen, wie der Ex-Freund und jetzige Sklave seiner Tochter.
Sebastian Kempke
13. Juli 2014 @ 16:12
Erstaunlicherweise habe ich weder vor während oder nach dem Film (den ich vor etwas ’nem Jahr gesehen habe), auch nur ansatzweise etwas ähnliches wahrgenommen. Bemerkenswert! Ich glaube da muß ich Udo beipflichten 😀
Dirk M. Jürgens
13. Juli 2014 @ 16:53
Dann sieh ihn dir nochmal an und achte auf die beanstandeten Szenen. Wie gesagt – der Film ist nicht schlecht oder dumm, er jubelt es einem schon heimlich und geschickt unter. 😉
Udo
17. Juli 2014 @ 14:03
Sorry, aber du bist mit deiner Argumentation so neben der Spur, dass ich gar nicht weiß, wo ich da einsteigen soll. Kann es sein, dass du unbedingt irgendwo etwas finden wolltest und du deshalb hier ein komplett verzerrtes Gesamtbild des Filmes präsentierst?
Dass du ständig darauf herumreitest, dass Driss sagte, dass der Tochter der Hintern versohlt werden soll, ist da ein gutes Beispiel: Hast du noch nie sowas gesagt wie „Den oder den würde ich am liebsten umbringen!“ und es (hoffentlich) nicht ernst gemeint? Das ist doch dasselbe.
Dirk M. Jürgens
17. Juli 2014 @ 14:31
Ehrlich gesagt ging ich wirklich optimistisch an den Film heran – alle Welt hatte ihn gelobt, darunter auch viele Leute, auf deren Meinung ich etwas gebe. Ich ging nich davon aus, er werde mich umhauen, erwartete aber einen netten, unaufgeregten und unterhaltsamen Film. Tat ich auch, nur eben drängte sich mir da ein sehr unschöner ideologischer Zug auf.
Dass Driss ihr so direkt eine kleben wollte, wie er es verlangt, nehme ich auch nicht an (sonst, so stehen die Chancen gut, hätte er es wohl einfach getan). Aber er ist eine Filmfigur, was er sagt ist also kein reiner Zufall und kommt nicht aus dem Augenblick. Und wenn er da eine aufs Maul für sie fordert, jemand anderen, der ihre näher steht und sie besser kennt, in ihm unbekanntem Kontext nicht zubilligt, sie Schlampe zu nennen dann ist das schon ein auffälliger Kontrast. Hätte es ein paar Szenen gegeben, in denen die beiden freundlich miteinander interagieren, hätte ich zumindest anerkannt, woher eine Sorge für sie käme, aber im Anschluss daran, über ihr Leid (und, wenn auch untauglichen, doch immerhin Selbstmordversuch) zu lachen und DANN loszuziehen, jemanden zu unterdrücken, den er von Anfang an unprovoziert nicht mochte, zeigt keine Spuren von Fürsorge oder Mitgefühl. Da kommt einfach Status- und Clandenken durch, nach dem selbst das niederste Mitglied gegen ANDERSARTIGE verteidigt werden muss, ungeachtet von Recht oder Unrecht.
Udo
17. Juli 2014 @ 14:51
„Aber er ist eine Filmfigur, was er sagt ist also kein reiner Zufall und kommt nicht aus dem Augenblick.“
Wieso sollte eine Filmfigur nicht „aus dem Augenblick“ heraus interagieren können? Wenn in einem Film eine Überraschungsparty für eine Figur geschmissen wird, dann hast du doch auch nichts dagegen, wenn diese Figur aus dem Augenblick heraus überrascht ist, oder?
„in ihm unbekanntem Kontext“
Auch wenn er die Tochter nicht gut kennt – dass sie nicht mit der halben Stadt herumvögelt, dürfte er zu dem Zeitpunkt schon mitbekommen haben. Dass ihr Ex sie eine Schlampe genannt hat, um sie zu erniedrigen, erschließt sich übrigens auch ohne Kontext. Driss‘ Reaktion hat mit Clandenken gar nichts zu tun.
Eines noch zu deiner vorherigen Antwort:
„Er ruft die Frau eigenmächtig an, er arrangiert das Treffen im Restaurant. Phillippe ist vor Ort, als sie eintrifft, könnte also nur noch versuchen, verzweifelt blasend wegzurollen, wenn er das ihm aufgezwungene Treffen nicht wollte. Nicht wirklich eine Möglichkeit, scheint mir.“
Ihr höflich zu sagen, dass er das Treffen nicht wollte, oder es hinter sich zu bringen und danach den Kontakt abzubrechen (oder als Brieffreundschaft weiter zu führen) wäre demnach keine Alternative?
Ich denke, bei der Bewertung dieses Filmes kommen wir nicht zusammen. 😉
Udo
17. Juli 2014 @ 15:06
@Sebastian: Wo kann ich auf „Like“ klicken? 😉
Dirk M. Jürgens
17. Juli 2014 @ 19:37
Eine Filmfigur in einem nicht improvisierten Film (solche gibt es natürlich zuweilen auch) handelt nach einem Drehbuch. Sie ist schlagfertig, weil der Autor ihre Dialoge in Ruhe hat schreiben können, ihre Monologe sind sauber aufgebaut, weil der Autor Zeit hatte, sie zu überarbeiten. Film ist eine zeichenhafte Kunstwelt, in der zwar durchaus zuweilen noch immer Zufälle geschehen können, nicht aber auf einer grundlegenden Dialogebene.
Eine Filmfigur ist immer eine Kunstfigur – selbst wenn ihr etwas „rausrutscht“, dann SOLLTE es ihr rausrutschen. Entsprechend haftbar ist der Film auch für sie.
Aber die Stelle ist jetzt tatsächlich nicht mein großer, zentraler Punkt, sondern nur eine schöne Spitze, die ich gern gegen Driss abschieße.
Es bleibt dabei, dass weder er noch wir die Situation kannten, in welcher der Ex die Tochter Schlampe genannt hat bzw. genannt haben soll. Wir wissen nur, dass es von einer unfreundlichen, aggressiven, selbstsüchtigen und damit nur begrenzt glaubwürdigen Quelle genannt wurde. Nun weiß ich nicht, was der Begriff im Original war, aber „Schlampe“ ist zumindest im Deutschen recht von recht breiter Bedeutung, muss sich also nicht auf Promiskuität beziehen. – Wobei ich auch nicht sagen könnte, inwiefern Driss ihr Beischlafverhalten beurteilen kann. Er ist der Assistent ihres Vaters, also in der Regel in dessen Nähe und das ist nicht gerade der Ort, an dem sie, so sie es tun sollte, rumvögeln würde.
Ich erinnere auch an seinen, vom Film nirgendwo begründeten Unwillen, als er das junge Paar zuerst bemerkte. Das in Verbindung mit seiner, einzig destruktiv wirkenden Schutzfunktion ergibt für mich nun einmal das eher unangenehme Bild eines repressiven Patriarchen.
Und natürlich ist Phillippe beim Treffen nicht VÖLLIG ausgeliefert (er hätte auch die Chance, die bestellte Dame nach dem Versetzen jetzt gleich wieder abzuwimmeln, was auch nicht die netteste Art gewesen wäre), aber es bleibt dabei, dass ihm die Fäden hier aus der Hand genommen wurden und das das Mittel ist, mit dem der Film zum Glück führt.
Zusammenkommen müssen wir in der Sache ja nicht. Ich sage ja auch nicht, dass niemand den Film mögen oder genießen darf – ich selbst amüsiere mich ja auch mit Fitkionen, die nicht meiner eigentlichen Moral entsprechen. Nur eben weise ich darauf hin, was für Probleme sie bieten.
Und selbst wenn man da all den Rest ignoriert, sollte man mit der Unterdrückung des Freundes ein Problem haben. Humor kann, wie so oft beschworen wird, dem Schwachen ein Mittel gegen den Starken sein. Hier wird er aber dazu angewendet, den Schwachen vom Starken (legitimiert durch Vorurteile) erniedrigen zu lassen und darauf komme ich recht schlecht klar.
Und der Like-Button für Sebs Posting befindet sich gleich im nächsten Küchenmixer. 😉