Hintergrund: Kurzgeschichte „Was bleibt“ von Gunnar Sadlowski und Sebastian Kempke
Update 21.09.2014: Der Comic ist nun beim Buddelfisch online.
Wie entstand die Geschichte „Was bleibt“?
Sebastian: Im Winter 2013/14 grübelte ich eine recht lange Zeit darüber nach, welche Geschichte ich für das Jazam #9 zeichnen würde. Das Jazam ist eine Kurgeschichtensammlung deutscher Zeichner und Autoren, die einmal im Jahr erscheint und sich immer einen speziellen Thema widmet, und das Thema der neuesten Ausgabe sollte „Helden“ sein. Ich fragte Gunnar, ob er vielleicht Lust hätte, eine Geschichte zu schreiben, die sich auf „Helden des Alltags“ konzentriert. Ausgerechnet dieser Winter war jobmäßig einer der anstrengendsten, die ich jemals erlebt hatte, ein Umzug und ein Jobwechsel kamen mir noch dazwischen, mittendrin starb noch meine Großmutter und in all dem Chaos kam dann Gunnars Skript.
Worum geht es in der Geschichte?
Sebastian: Auf fünf Seiten wird in einem gleichbleibenden Rythmus vom Leben einer Frau erzählt, die sich nach dem Tod ihres Mannes allein um ihre Tochter kümmert, sich trotz aller Widrigkeiten in ihrer Gemeinde engagiert und Kraft findet, indem sie ihren Mitmenschen und ihrer Familie hilft. Die Geschichte zeigt sie als Mutter, Großmutter und als Renterin bis zu ihrem Tod. Die Geschichte wertet das Gezeigte nicht, aber ich finde, sie stellt ein paar bedeutende Fragen über Einsamkeit und den Sinn des Lebens. Und sie spielt mit den Heldenbilder der verschiedenen Jahrzehnte. Egal ob im Radio, Kino oder auf den Zeitschriften, überall sind Helden zu sehen, letzten Endes ist die grösste Heldin unserer Kurzgeschichte die unscheinbarste. Dieser Gegensatz war eine der Ideen, die wir von Anfang an vor Augen hatten. Im Comic lässt sich sowas ja kommentarlos zeigen, und das ist eine Sache, die ein Comic besser kann als eine Prosageschichte.
Wieviel Persönliches steckt in dieser Geschichte?
Gunnar: Eine ganze Menge sogar. Im Grunde ist es die Geschichte meiner Oma, die 2012 verstorben ist. Sie war über 40 Jahre lang schwer aktiv in der Gemeindearbeit unserer Kirche und hat in der Zeit, als meine Mutter arbeiten ging und ich noch zu klein für die Schule war, auf mich aufgepasst. Sie ist jetzt schon zwei Jahre nicht mehr da, aber die Lücke, die sie hinterlassen hat, schließt sich nur sehr zaghaft. Erst letzte Woche musste sich eine der alten Damen vom Kaffeekränzchen noch eine Träne verdrücken, als sie erzählte, wie schön meine Oma immer alles hergerichtet hat und wie lebenslustig sie war. Und wenn Waffeln gebacken werden und eine mal recht dunkel gerät, dann sagen die Frauen immer noch: „Das ist die Waffel von der Frau Dreger.“
Eine ganze Lebensgeschichte ohne Worte zu erzählen ist eine spannende Idee. Wie kam es dazu?
Gunnar: Mir gefällt seit jeher das „Show, don’t tell“-Prinzip. Wenn ich ein Hörspiel schreibe, dann versuche ich auch immer den Erzähler so sparsam wie möglich einzusetzen und die Geschichte über die Dialoge und Geräusche zu erzählen. Andersherum setzt ein Comic ja auf Bilder, und gerade bei einer Geschichte wie dieser, in der es vor allem um Gefühle und Assoziationen geht, bietet sich die Bildsprache ja geradezu an – vom Inhalt der Sprechblasen bis zu deren Form spielt alles mit hinein.
Der Stil ist ein anderer als in deinen bisherigen Geschichten, richtig?
Sebastian: Wenn ich an einer Geschichte zeichne, dann möchte immer ein wenig dazulernen, was die Technik betrifft. Gruselige und lustige Dinge habe ich wohl bisher am meisten gezeichnet und das passte für diese Geschichte eben gar nicht. Der Stil sollte recht klar sein und deswegen habe ich mich an den berühmten Vorbildern Jaimi Hernandez und Daniel Clowes orientiert. Da die Beiden oft mit sehr sehr genauen und meisterlichen Strichen einen trotz der Vereinfachung realistisch anmutende Szenen zeichnen, musste ich auch bei den Hintergründen über meinen Schatten springen. Ich bin echt schlecht und verkrampft, was Architektur berifft, also habe ich mal das praktische neue Perspektivenlineal in der Software Manga Studio ausprobiert. Ein beeindruckendes Werkzeug! Letzten Endes war mir wichtig, dass die Zeichnungen die Geschichte stilistisch in keine bestimmte Richtung lenken, es sollte nicht automatisch lustig oder traurig sein, sondern eben im besten Sinne neutral und in sich geschlossen.
Wie zufrieden bist du mit der fertigen Geschichte?
Gunnar: Ich glaub Ridley Scott hat mal gesagt: Ein Kunstwerk kann man nie vollenden, man kann nur aufhören, daran zu arbeiten, oder so ähnlich. Im Nachhinein fallen einem natürlich immer noch Dinge ein, die man anders hätte machen können oder die vielleicht auch besser funktioniert hätten. Aber letztendlich bin ich mit der fertigen Geschichte sehr zufrieden. Ich denke, jeder wird verstehen können, was wir den Leuten näherbringen wollten.
Das Jazam #9 mit vielen weiteren Geschichten kann man beim Kwimbi Shop bestellen.
JAZAM! wurde 2011 mit dem ICOM Independent Comicpreis „für eine bemerkenswerte Comicpublikation“ ausgezeichnet. Ausgabe 9 enthält übrigens auch einen Cartoon vom Buddelfischkollegen Gregor Schenker.
Beteiligte Künstler: Chris Alicke, Bastian „Lapinot“ Baier, Adrian vom Baur, Jeff Chi, Sascha Dörp, Erkan, Said Omar Eshaq, Marco Felici, Till Felix, Frajo, David Füleki, Tim Gaedke, Sascha Gallion, Gannet, Piers Goffart, Regina Haselhorst, Felix Herzog, Alex Hese, Maximilian Hillerzeder, Martina Hils, Uwe Höck, Marcel Hugenschütt, Albert Hulm, JARoo, Mo Kast, Sebastian Kempke, Stefanie Kick, Manuel Kilger, David Koslowski, Christiane Krause, Johannes „Beetlebum“ Kretzschmar, Eva Lamberty, Doris Lettmann, Joachim Lipski, Jo Lott, Beni Merk, Veronika Mischitz, Christian Nauck, Katharina Netolitzky, Norma Neumann, Lisa Neun, Oli-G., Paranoid-Polly, Armin Parr, Frank „Spong“ Plein, Martin Rathscheck, Gunnar Sadlowski, Gregor Schenker, Schlogger, Martina Schradi, Marco Schüller, Frederik Schulz, Nico Simon, Ralf Singh, Florian Steinl, Sarah Stowasser, Dimitar Stoykow jr., Sunny-Ray, Maja Verfondern, Annelie Wagner, Dominik „Pete“ Wendland, Tristan Wilder, Andrea Williams, Moritz von Wolzogen, Yinfinity, Zwen