#21 Hannibal, Fringe & Meltzer
Liebe Leser,
warum ich die Weird Week eigentlich Weird Week nenne, wenn ich ohnehin nur alle Jubelmonate mal etwas in der Kategorie schreibe, will mir auch nicht so recht in den Sinn, wisset aber, daß ich eigentlich jede Woche zu schreiben beabsichtige. Nun haben wir in den letzten Monaten sehr viel an neuen Dingen für unseren Verlagsstart gearbeitet, zum Beispiel an der Printausgabe von Grundkurs Mord, den man ja bereits vorbestellen kann. Unsere Kollegin Vanessa Drossel freut sich schon jetzt über EUREN Einsatz. Nicht zaudern, mitmachen! Danke auch an alle, die das schon gemacht haben.
Aber nun wieder zurück in die Weird Week. Es bleibt ja zunehmend seltsam, was da draußen so passiert.
HANNIBAL Staffel 2
Für mich war ja aus dem ganzen Hannibal Lecter Mythos spätestens seit „Hannibal“ (2001) die gesamt Luft raus, da alle Figuren irgendwie kräftig über den Hai sprangen und insbesondere die großartigste und sympathischste Instanz der 90s FBI Agents, Clarice Starling, völlig out-of-character entgleiste. Clarice Starling, 1991 brilliant gespielt von Jodie Foster, war ja, da braucht man gar nicht lange diskutieren, die Vorlage für Agent Dana Scully (o lala, gespielt von Gillian Anderson) in den X Files, wie auch die Käferspezialisten die Inspiration für Chris Carters „Lone Gunmen“ in den den X Akten gewesen sein dürften. Nachdem sowohl Akte X als auch die Hannibal Lecter Reihe fast zeitgleich vor etwa 15 Jahren über den Hai sprangen, bin ich ja umso erstaunter, daß mit „Hannibal“, der aktuellen TV-Serie mit Mads Mikkelsen und Hugh Dancy, sowohl Lecter als auch Gillian Anderson zurück ins Rampenlicht meines Fernsehers ziehen.
Zugegeben, ich war skeptisch und es war einzig Mads Mikkelsen, der mich in und durch die erste Staffel rettete, zumal diese einige arge Stolpersteine in der Halbzeit platzierte und mit mauen Murder-of-the-Week Darbietungen Geduld und Nerven strapazierte. Klar, in Manhunter und Silence of the Lambs ging es auch immer um Killer, die eben nicht Lecter waren, aber den Focus auf derart viele schaurige Serienmorde nacheinander zu lenken, überspannt den Boger der Glaubwürdigkeit bis zum Splittern. Doch dann fängt sich die Serie wieder und wir bleiben mit einem Kammerspiel zurück, bei dem Graham (Dancy), Lecter (Mikkelsen) und FBI Special Agent Crawford (Laurence Fishburne) klar im Zentrum stehen. Die zweite Staffel ist fast frei von Ablenkungen und konzentriert sich aufs Trefflichste auf die tatsächlichen psychologischen Konflikte und Spannungen zwischen Therapeut Lecter und Patient Graham. Und immer wieder verschieben sich die Grenzen, falsche Fährten werden gelegt und immer wieder werden altbekannte Figuren der Lecter-Reihe neu ins Spiel gebracht, darunter Lecters eigene Therapeutin Du Maurir (Anderson), Dr. Chilton, Leiter des „Baltimore State Mental Hospital for the Criminally Insane“ und ganz zum Schluß sogar schon der menschenfressende-Schweine-züchtende Millionär Mason Verger (man erinnere sich an den völlig entstellten Verger im „Hannibal“-Film (damals Gary Oldman)).
Wer spielt gegen wen, wer weiss was, wer täuscht vor und wer steckt mit wem unter einer Decke? So simple Fragen, vermischt mit einigen der grauseligsten (und kunstvollsten) Schockeffekte der letzten Jahre und einer wasserdichten, tiefdunklen Inszenierung voller künstlerischer und athmosphärischer Höhepunkte, machen die gesamte zweite Staffel von „Hannibal“ aus – und selbst kurz vor Schluß, als ich befürchtete, die Serie könnte (wie damals die Filme) ins Belanglose abgleiten, brillierte sie weiter und liefert ein blutiges Gericht zum Finale, bei dem der Kannibale sein wahres Gesicht zeigt.
Applaus für die Macher von „Hannibal“, denen es trotz der derzeit überstrapazierten Prequelformel gelingt, mit der zweiten Staffel ein Stück Lecter abzuliefern, mit dem sich nur die ersten beiden Kinofilme, Manhunter und Silence of the Lambs, messen können. Und wie auch andere große Figuren wie Sherlock Holmes oder Dracula von großen Schauspielern neu belebt werden können und sollen, so darf jetzt auch Mads Mikkelsen – ohne Zweifel – als einer der großen Darsteller gefeiert werden, die in der Rolle Hannibal Lecters Filmgeschichte schrieben.
Extrem empfehlenswert!
FRINGE vs The Mothman Prophecies
Ich tendiere dazu, mit Serien immer erst dann anzufangen, wenn sie abgesetzt oder beendet wurden, und das trifft bei mir auch im Falle von Fringe zu. Als großer Freund moderner Mythen und übernatürlicher Begebenheiten im Rahmen von Pop- und Subkultur war ich anfangs skeptisch, da Fringe ja auf dem Konzept von Experimenten beruhte und weniger auf den seltsamen Begebenheiten zwischen Himmel und Erde. Da ich erst frisch in die erste Staffel gestartet bin (motiviert durch den Consulting Producer Credit von Darin Morgan ) kann ich mir noch kein echtes Bild machen, bin aber schon begeistert auf ein paar Details gestossen, die es so nur durch geschicktes Taktieren in die finale Fassung einer Fernsehserie bringen: Der erste Auftritt eines Man in Black, bei Fringe „Observer“ genannt. In Folge 4 taucht der schwarzgekleidete Beobachter das erste Mal auf und wie auch immer sich seine Rolle weiter entwickeln mag, diese eine Szene ganz am Anfang, die ist es wert, hervorgehoben zu werden. Der noch unbekannte Mann in schwarz, der weder Haare noch Augenbrauen hat, beobachtet mit einem aus der Mode gekommenen Klappfernglas eine Baustelle in Brooklyn. Er sitz in einem Diner und bestellt bei der Kellnerin Pfefferschoten und würzt sein Sandwich mit unendlich viel Pfeffer und Tabasco, bewegt sich dabei seltsam zielstrebig und notiert geheimnisvolle Zeichen in sein Notizbuch. Er strahlt eine überirdische Stimmung aus und scheint nicht von dieser Welt zu sein.
Dieser Auftritt ist bemerkenswert, denn er bezieht sich nicht auf die modernen Men in Black wie man sie aus den gleichnamigen Sci-Fi-Komödien von Barry Sonnenfeld kennt, sondern auf John Keels Buch „The Mothman Propehecies“ (1975), einem exzellenten Gruselroman, der lediglich darüber stolpert, dass er behauptet, tatsächliche Vorkommnisse zu dokumentieren. Da „The Mothman Prophecies“ einer meiner All-Time-Favorites ist, fiel mir direkt die Parallele zum ersten Auftritt von „Mr. Tiny“ auf, einem unheimlich Besucher, der (wie bei Men in Black üblich) den Kontakt zu Zeugen von UFO oder in diesem Fall „Mothman“-Sichtungen suchte und wie ein Regierungsbeamter auftritt, allerdings seltsam orientierungslos oder wie aus einer anderen Welt oder Zeit zu stammen scheint. Auch wenn es deutliche Unterschiede in den beiden Szenen gibt, so sind sie einander doch so nah, dass man von einer konkreten Anspielung ausgehen darf. Der unheimliche Gast, der Orientierungsprobleme zu haben scheint, sich mit den Gepflogenheiten des Hier und Jetzt nicht auszukennen scheint und der seltsame kulinarische Vorlieben zu pflegen scheint und verdutzte Blicke auf sich zieht. Unheimlich!
Darin Morgans Akte X Episode „Jose Chung’s From Outer Space“ enthielt übrigens ebenfalls klassische Men in Black – kein Wunder, sind sie doch fester Bestandteil der bemerkenswert seltsamen Subkultur der Ufologie. American Heritage! Schade nur, daß man genau diese Elemente in der Kinoverfilung „The Mothman Prophecies“ von Mark Pellington (2002) nicht wiederfindet.
So, und nun übergebe ich an den Kollegen Dirk M. Jürgens, denn der hat auch noch was zu vermelden!
DAS BUCH DER LÜGEN von Brad Meltzer
In der Tat, Kollege Sebastian!
Ein wahres Kuriosum in der Welt der Thriller ist der Roman „Das Buch der Lügen“ von Brad Meltzer. Ersteinmal sagt die Rowohlt-Taschenbuchausgabe viel über den deutschen Markt aus, wenn es im Autorenportrait nur vage heißt, Meltzer sei „einer der prominentesten Comic-Autoren Amerikas“, aber keine Titel – wie etwa die DC-Story „Identity Crisis“ – genannt werden. Weil, ja nur Comics und darum EIGENTLICH nicht wichtig.
Wer weiß, ob es überhaupt genannt worden wäre, ginge es nicht auch im Roman zum großen Teil um sie. Denn „Das Buch der Lügen“ ist eine recht unverschämte Kopie von Dan Browns „Sakrileg“ (wenn auch nicht so ranschmeißerisch): Held gerät überraschend unter Mordverdacht und folgt, von einem exzentrischen Killer gejagt, Spuren im Werk eines großen Künstlers bis hin zu einem finsteren Geheimbund und ein biblisches Geheimnis, welches am Ende auf reine recht platte Alltagsmoral hinausläuft. Statt des Heiligen Grals ist es hier die Waffe, mit der Kain seinen Bruder erschlagen hat.
Der Clou hier ist, dass, wo Brown auf Hochkultur machte, Meltzer sich für die Welt der Comics entschieden hat. Statt eines da Vincci ist es hier Superman-Erfinder Jerry Siegel, in dessen frühen Comics Hinweise auf die Reliquie versteckt sind. Das ist trotz vieler Schwächen des Romans (vor allem äußerst uninteressanter Figuren) eine pfiffige und gerade für Comicinteressierte sehr unterhaltsame Idee. Wer also etwas Comicgeschichte und Thule-Geheimbünde mag, soll ruhig zugreifen, wenn ihm das Buch in die Hände kommt.
STAY WEIRD!