„Noah“ oder Film unter falscher Flagge
„Noah“ (2014) von Darren Aronofsky
Da die Studiobosse, die „Noah“ in Auftrag gaben, natürlich keineswegs hätten ahnen können, dass ein Exzentriker wie Aronofsky einen exzentrischen Film abliefern würde, gab es bekanntlich schon einige Konflikte, wie der Film aussehen sollte Man einigte sich wohl auf den Kompromiss, dass Aronofsky künstlerisch seine Vision verwirklichen konnte, dafür aber die PR vollständig irreführend auf eine komplett falsche Zielgruppe angesteuert wird. Die momentane IMDB-Wertung (6,5 von 10) deutet darauf hin, dass der Plan aufgegangen ist und der Film inzwischen vor allem von Leuten gesehen wird, die etwas anderes erwarten. Tolle Arbeit, Jungs und Mädels!
Das ist besonders deshalb bedauerlich, weil der Film für verschiedene Gruppen ganz verschiedene Dinge bereithält. Mit fiktiven Lebewesen und epischen Schlachten ist er auch als „richtiger“ Fantasyfilm zu genießen, die Konflikte der Figuren taugen (so man damit klar kommt, dass sie durch metaphysische Dinge ausgelöst werden) auch als Drama. Die Effekte sind keine neue Dimension an Großartigkeit, aber durchgehend gelungen, die Bilder so monumental, wie es sich gehört. Ob man ihn jetzt als auf irgendeiner Ebene wahre Geschichte sieht, ob man Gott darin als grausam oder im Recht begreift, ist für den Filmgenuss auch zweitrangig. Zu bekehren versucht er jedenfalls niemanden.
Der Irrtum, eine normale Bibelverfilmung vor sich zu haben wird bereits in der ersten Filmminute durchbrochen, wenn nach Schöpfung und Sündenfall der Brudermörder Kain mit gefallenen Engeln das Geschlecht der „Riesen auf Erden“ (Genesis 6,4) zeugt. Diese (die jeder Kreationist nutzen sollte, um sich mit der Existenz von Dinosauriern anzufreunden, nur so als Tipp) sind gewaltige, verwachsene Steinriesen, die nicht nur, wie in der Bibel selbst, kurz am Rande erwähnt, sondern wichtiger Bestandteil der Handlung werden.
Etwas weit geht er mit seiner Harmonisierung von Mythologie und Filmkonventionen vielleicht mit dem, von Ray Winston gespielten Tubal-cain. Dieser ist ein etwas sehr klassischer Hollywood-Antagonist, der sogar Noahs Vater getötet hat. Zu loben ist aber auch an ihm, dass ihm immer wieder menschliche Momente gestattet werden, in denen er damit hadert, vom Schöpfer nie eine Chance bekommen zu haben und betont, lediglich überleben zu wollen.
Wo die kürzlich erst besprochene TV-Serie wie so viele Bibelfilme (und wie gesagt „Sin Reaper“) das Problem hat, die inhaltlich so wichtige Sünde nicht zu zeigen, geht dieser Film einen eigenen Weg. Nicht sexuelle Ausschweifungen oder ähnliches, sondern die Zerstörung der Natur ist es, die den Zorn des Schöpfers hervorruft. Mit Hilfe der Engel erschaffen die Stämme Kains Städte und Fabriken, erfinden Feuerwaffen und töten Tiere, um ihr Fleisch zu essen. Auch ich, als Nichtvegetarier (hey… ich reduziere doch schon!) kann nicht leugnen, dass das durchaus logisch ist.
Darin liegt auch die Bedeutung Tubal-cains: Dieser tritt für den unbedingten Willen des Menschen ein, der auf nichts außer sein eigenes Wohl achtet. Der die Erde knechtet, statt sie zu bewahren und der auch keine Solidarität mit seinen Mitmenschen kennt. Man könnte dem Film hier vorwerfen, die Selbstbestimmung des Menschen zu diffamieren, aber dagegen spricht meines Erachtens das Ende, welches von gerade dieser handelt. Was „Noah“ propagiert ist eine Selbstbestimmung auf der Grundlage von Rücksicht, während Tubal-cain eher egoistischer Ayn-Rand-Anhänger sein dürfte.
Was Rüdiger Suchsland als Biederkeit und zumindest in der Nachbarschaft des Fundamentalismus‘ missversteht, scheint mir jedoch vielmehr ein Zeichen vom Ambivalenz (etwas, was man natürlich in religiösen Filmen selten sieht). Russell Crowes Noah ist kein netter Kerl, sondern Mitwisser eines göttlichen Massenvernichtungsplans, der unter seiner Aufgabe leidet, sie aber gnadenlos zu vollziehen bereit ist. Der Film euphemisiert und verschleiert nicht: Wir werden daran erinnert, dass die Sintflut die Unschuldigen mit den Schuldigen tötet, dass Noah sie hätte retten können und dass die göttliche Reinigung zuerst einmal ein Blutbad ist.
Der Schöpfer (übrigens durchgängig als solcher bezeichnet, nie als Gott, Herr oder Vater vermenschlicht) ist kalt, fern und distanziert. Er hat seinen kosmischen Plan und nimmt auf den Menschen keine Rücksicht, die Leiden auch seines Erwählten Noah kümmern ihn wenig.
Hier geht es nicht um eine Gottheit, die sich um Gebete von Fußballern, Speise- und Kleidungsvorschriften oder Theologien kümmert, hier geht es um ein kosmisches Überwesen, das seinen Willen selbst vollzieht.
Um Realismus oder gar eine Beachtung archäologischer Erkenntnisse geht es in dem Film nie. Gott lässt in wenigen Minuten einen Wald wachsen, um Noah Bauholz zukommen zu lassen, der Archenbau wird mit Hilfe besagter Steinengel vollzogen und als wir einen Blick auf Adam und Eva werfen können, sind sie haar- und geschlechtslose Leuchtwesen. „Noah“, dessen Stoff sich neben der Bibel ja unter anderem auch bei Ovid und dem Gilgamesch-Epos findet, spielt nicht in der realen Vergangenheit und nicht in der Vorstellung eines Bibellesers sondern in Reich des Mythos.
Daher teile ich auch die Klage darüber nicht, dass alle Figuren weiß sind. Ja, das Kino braucht mehr Diversität, auch hier hätte man sich durchaus darum bemühen können, um eine reale Nahostregion geht es aber nicht und genetische Fragen, wie die wenigen Überlebenden eine neue Menschheit gebären sind auch fehl am Platz. Der Mythos ist unlogisch und gehorcht eigenen Regeln. In einem Film, in dem der vielhundertjahrealte Methusalem (Anthony Hopkins) ein Flammenschwert schwingt, während Fabeltiere die Sintflut nicht überleben, ist es lächerlich, gerade in Sachen Hautfarben Realismus zu verlangen.
Der zentrale Punkt des Films liegt ganz woanders.
Er zeigt, warum „Noah“ es bei der, mit irreführender Werbung angelockten konservativen bibeltreuen Zielgruppe schwer haben wird und wieso er auch für die, von eben dieser Werbung ferngehaltenen Atheisten genießbar ist. Denn seine Aussage ist am Ende nicht die Unterordnung unter einen Gott, sondern die Selbstbestimmung des Menschen.
Die Erde, die Schöpfung soll er heil lassen (und ja, Sibylle Lewitscharoff würde das sicher auf so einiges beziehen), doch das Schicksal der Menschheit liegt in der Hand der Menschen. Noah steht schließlich vor der Entscheidung, ob er weiterhin den gnadenlosen Willen des fernen Gottes ausführt, oder ob er sich ihm zugunsten von Menschlichkeit verweigert. Und der Film heißt letztere Variante gut. Er wirft selbst die Frage auf, ob nicht gerade das die eigentliche Intention des Schöpfers war (was man als verdientes „Fuck you!“ in Richtung Abraham deuten könnte) und spricht sich letztlich für friedliche Koexistenz aus. Des Menschen mit dem Menschen und des Menschen mit der Natur.
Und egal, ob man es nun tut, um dem Willen eines metaphysischen Wesens zu gehorchen, oder um die Welt für spätere Generationen zu bewahren, ist das doch ein Ziel, dem eigentlich jeder zustimmen können müsste.