„Die Bibel“ oder Die Serie zum Bestseller
„Die Bibel“ (2013) von Crispin Reece, Tony Mitchell & Christopher Spencer
Ostern! Während sich jeder andere Internetbewohner bemüht, neue Variationen des alten Zombie-Jesus-Gags zu finden, sehe ich mir doch tatsächlich die komplette TV-Serie „Die Bibel“ an, welche Vox zu den Feiertagen brachte.
Ich betone ja immer wieder die Notwendigkeit, sich mit Mythologie auseinander zu setzen, da der Mensch trotz aller Wissenschaft und Vernunft noch immer zu großen Teilen in diesen Kategorien denkt. Entsprechend kämpfte ich mich schon vor Jahren tatsächlich durch die vollständige Bibel von Schöpfung bis Offenbarung, da diese nun einmal Herzstück der einflussreichsten Mythologie der westlichen Welt ist. Egal, was man von ihr, dem Christentum oder der Metaphysik allgemein hält, ist sie eine der zentralen Grundlagen unserer Kultur und schon daher der Betrachtung wert.
Bei jedem Bibelfilm steht am Anfang eine Grundentscheidung: Was genau verfilmt man? Die historischen Erkenntnisse über die Zeit? Eine inhaltliche Deutung? Oder direkt das Buch? Jede Folge hier beginnt mit einer Schrifttafel: „Diese Serie ist eine Adaption der Bibel. Sie versucht, so wahr wie möglich den Geist des Buches wiederzugeben.“ – Das kann eine Menge heißen, experimentelle Herangehensweise sollte man aber eher nicht erwarten. In zehn Episoden werden einzelne markante Geschichten aus Altem und Neuem Testament geschildert. Überraschend dramaturgisch gekonnt ist dabei der Anfang: Wir steigen direkt in der Sintflut ein, während der Noah seiner Familie die Vorgeschichte erzählt und die deftigere Metaphysik so etwas einbettet. Das ist geschickt. – Dass man anschließend eine Highlight-Montage des Kommenden abfeuert wirkt hingegen eher unbeholfen.
Nach diesem Prolog landen wir gleich bei Abraham, dem worst dad ever gleich dreier monotheistischer Religionen. Bei seinen Scharmützeln mit feindlichen Stämmen fließt das Blut so drastisch, wie man es vom modernen US-TV gewohnt ist. Auch später darf Josua tatsächlich anordnen, jeden einzelnen Bewohner Jerichos zu töten, gezeigt wird es (anders, als die Untaten etwa der Römer am erwählten Volk) nicht. Mir stellt sich hier die Frage, was ich davon halten soll: Soll ich anerkennen, dass man die hässliche Vorlage hier nicht schönt, oder soll mich beunruhigen, dass man seiner unkritischen Zielgruppe nichts schönen muss? Unkommentiert legt Abraham mit der Verbannung Ismaels den Grundstock für den Nahostkonflikt, dann geht es nach Sodom, wo sich ein interessanter Kontrast zu besagten Splatterszenen zeigt. Denn ein Problem christlicher Produktionen ist, dass sie meist auf ein sehr konservatives Publikum zielen, diesem entsprechend oft nicht zeigen können, was eigentlich gezeigt werden muss. Wie in „Sin Reaper“ fehlt der Stadt der Sünde so ziemlich die Sünde. Ein Paar knutscht rum, ein dicker Glatzkopf trägt Eyeliner (im Kommenden oft ein Merkmal des Bösen) und auf offener Straße treibt sich ein Jongleur herum. – Ein Jongleur!!! Diese sind ja für ihre Kumpanei mit Clowns und Pantomimen bekannt, so dass Gott seine Engel schickt, um den frommen Lot herauszuholen, bevor er die Stadt atomisiert. Besagter Big Boss selbst wird hier sehr geschickt dargestellt, indem man anscheinend den späteren Jesusdarsteller Diogo Morgado nimmt, ihn aber unscharf filmt oder im Schatten stehen lässt. Das macht durchaus Sinn, hat sich Gott zu dieser Zeit ja noch nicht verkörpert, wird dann aber im Neuen Testament konkretisiert. Gnadenlos zertrampelt wird dieser Pluspunkt dann aber von den Engeln: Einer schwarz, der andere asiatisch und in altertümlichen Rüstungen wirken sie an sich nicht schlecht, doch nachdem Lot natürlich nicht seine Töchter dem Mob auslieferte (sooo treu wollte man der Bibel dann doch nicht bleiben), metzeln sie sich den Weg durch die Sodomiten mit ihren taffen Kung-Fu-Moves frei. Ja… Kung-Fu-Engel. Mit Zeitlupe und stylischem Schwertgewirbel ganz dem zeitgenössischen Actionfilm verpflichtet, zeigen sie den ungesunden Spagat zwischen alter Überlieferung und modernen Sehgewohnheiten, in den die Serie immer wieder verfällt.
Nach dem dicklichen Abraham wendet man sich einem würdelos und irre wirkenden Moses zu, der in einer unfreiwillig komischen Montage vom Pharao jede Menge „Nein!“-Rufe an den Kopf bekommt, was jeweils zu Szenen der Plagen wechselt. Nachdem der unschuldige Sohn des Pharao dann zur Erbauung des Zuschauers sterben durfte und das Rote Meer erstaunlich unspektakulär geteilt wurde, findet unser Held einen Gebotautomaten, der auf Knopfdruck zwei Tafeln mit nie verlesenen Gesetzen ausspuckt. Bevor man sich längere Zeit in der, von zahlreichen Genoziden zwecks Lebensraumgewinnes begleiteten Politik des Reiches Israel verliert, gibt es aber noch die Geschichte Samsons. Mit einem muskelbepackten Schwarzen gut und eindrucksvoll besetzt, sorgte er für eine bizarre Szene, von der ich nicht sagen kann, ob sie Zufall oder Absicht war: Die Philister haben den Erfinder des Selbstmordattentats gefesselt, doch er zerreißt die Ketten mühelos und schlägt mit ihnen um sich, bevor er den biblischen Kieferknochen ergreift und zerbricht, so dass er in jeder Hand eine Art Haken hält. Moment… ein antiker Held mit Ketten an den Handgelenken und hakenartige Waffen? Kratos, altes Haus! Hier vertreibst du dir also die Zeit bis zum nächsten „God of War“-Teil! Sieh dich vor – hier treiben sich Kung-Fu-Engel rum.
Während man solch fragwürdig schräge Szenen inszeniert, verpasst man hingegen nur zu oft die Chance, das bereits vorhandene Potential zu nutzen. Die Raubkatzen der Löwengrube interessieren sich kaum für Daniel, der Riese Goliath ist nicht so groß, wie er sein könnte und Satan (ein graugesichtiger Typ mit schwarzer Kapuze) steht nur lethargisch herum. Einfluss nimmt der Fürst der Finsternis keinen und mit Menschen interagiert er in der Regel auch nicht. Gerade um König Herodes herum hätte ich ihn erwartet, doch der ist nach einem anderen filmischen Vorbild gestaltet: Fett und mit, von Blutegelbehandlung verunstalteter Haut scheint er ein Verwandter von Baron Harkonnen aus David Lynchs „Dune“.
Das Storytelling gewinnt (wie schon in der Vorlage), wenn das Neue Testament erreicht ist und mit Jesus ein durchgängiger Protagonist auftaucht. Hellhäutig und brünett fehlt diesem hier jeder Hinweis auf seine nahöstliche Herkunft, aber das ist nichts, was man der Serie vorwerfen sollte: Es geht, wie ja die Tafel besagt, nicht um historische Wahrheit, sondern den Mythos und die mythologische Figur wird mit diesem Postkartenjesus nahezu perfekt getroffen. Er hat eine salbungsvoll, milde Ausstrahlung, man kommt ihm nahe genug, um ihn als Figur zu inszenieren (nicht, wie andere Filme, die ihn voll unangebrachtem Respekt nur aus der Distanz filmen) und wirkt wie ein netter Kerl. Dass er offenbar nicht allwissend ist, sondern einzelne Visionen hat, wie Lance Henriksen in „Millennium“, ist eher ungünstig. Seine Bekehrungen laufen oft recht schnell und unüberzeugend und das Charisma eines Anführers fehlt ihm oft. Die bekannten Episoden um seine Wundertaten werden zudem meist recht unpointiniert inszeniert. Ein ewiges Problem ist die Darstellung Potius Pilatus‘: Ein grausamer Pilatus ist historisch korrekt, aber ganz ungeachtet davon, dass ihn die Vorlage anders darstellt, ist ein zerrissener Pilatus auch als Charakter interessanter. Hier löst man es geschickt, indem man ihn zwar reichlich Blut vergießen, jedoch aufgrund eines Wahrtraumes seiner Frau um die Besonderheit Jesus‘ wissen lässt. Dass der oberste Pharisäer der semitischst anmutendste Typ der Serie ist, ließ mich erst Böses ahnen, doch dem zentralen Gegenspieler Kaiphas und seinen Priesterkollegen fehlen derartige Züge, so dass ich in der sehr auf Diversität bedachten Besetzung hier von einem Zufall ausgehe (wobei manche Leute die Rollenverteilung kritisieren). Auch Judas kommt relativ gut weg, und wer die Geschichte an sich als antisemitisch betrachtet, der gratuliere sich dazu, gerade eine Theokratie zu verteidigen.
Apropos Ideologie: Viele Leute fühlten sich vom Aussehen Satans an Barak Obama erinnert. Eine gewisse Ähnlichkeit besteht wohl durchaus, mir ist sie aber nicht aufgefallen, so dass ich es nicht überschätzen würde. Zudem ist der aktuelle Präsident ein wesentlich fähigerer Verführer als diese blasse Figur, wie sein Friedensnobelpreis belegt.
Salome fehlt, Maria Magdalena taucht ohne jede Backstory auf, die Kreuzigung schließlich ist zwar unangenehm, aber ergeht sich nicht in einem Splatterfest, wie Mel Gibson, danach gibt es noch ein wenig Auferstehung und Apostelgeschichte. Nach einer deprimierenden Martyriumsmontage darf dann Johannes noch die Offenbarung schreiben, auf die aus Rücksicht auf sensible Zuschauer auch nicht eingegangen wird. Stattdessen erscheint ihm nochmal Jesus und erzählt gleich vom Happy End im Königreich Gottes, ehe man in sein Auge zoomt, in dem sich das Sonnensystem spiegelt. Ein hübscher Kunstgriff, wie ich zugeben muss, welcher das Ende des Buches zwar anspricht, aber wie schon den Anfang nur andeutet. Mir wären natürlich ein paar apokalyptische Ungeheuer lieber gewesen, aber wie gesagt – auch wenn die Serie sauber produziert ist, hält man sich mit Extremen zumeist zurück.
Ich verbleibe jedenfalls etwas ratlos. In fast jeder Hinsicht steht diese Serie irgendwo in der Mitte: Selten ist sie wirklich schlecht, selten glänzt sie wirklich. Weder bemüht sie sich um größtmögliche Vorlagentreue, noch macht sie wirklich etwas markentes oder wagt gar eigene Interpretationen. Ab und an hat sie sehr gelungene Szenen und Deutungen, dann aber traut sie sich ob ihrer christlich-konservativen Zielgruppe nicht, Plot Holes der Bibel zu füllen oder gar die Fragen zu stellen, die das moderne Empfinden stellen müsste. Eine eigene Position, wie in Scorseses „Die Letzte Versuchung Christi“ (meines Erachtens der beste Jesusfilm… und auf dem katholischen Index) kann man hier natürlich nicht erwarten. Auch eine klare Fokussierung oder starke Emotionalisierung wie bei Gibson gibt es nicht. Zum Reflektieren will die Serie einen nicht anhalten, den festen Boden der Bibel verlässt sie nur sporadisch und zögernd. Ihre künstlerischen Qualitäten bleiben eher mau, aber als Bebilderung einiger wichtiger mythologischer Erzählungen funktioniert sie doch ganz gut. Bis auf die Kung-Fu-Engel… die verdammten Kung-Fu-Engel!