„Jud Süß – Film ohne Gewissen“ oder Subversive Geschichtswiederholung?
„Jud Süß – Film ohne Gewissen“
(2010) von Oskar Roehler
Ich bin nicht wirklich ein Fan Oskar Roehlers, zumindest genießt er aber insoweit meine Sympathien, als dass er einer der wenigen exzentrischen deutschsprachigen Filmemacher zu sein scheint. Umso erstaunter war ich, als ich in Ausschnitten aus dem hier besprochenen Werk einen grotesk überzogen spielenden Moritz Bleibtreu eine alberne Goebbels-Karikatur spielen sah.
Ich lehne mich mit dieser Interpretation weit aus dem Fenster, aber während ich den Film selbst betrachtete, kam mir der Gedanke, es nicht etwa mit einer absurden Fehlbesetzung, sondern einem subversiven Scherz zu tun zu haben. Das Drama um den Schauspieler Ferdinand Marian, der die Hauptrolle im künstlerisch so schmerzlich meisterhaften Hetzfilm „Jud Süß“ spielte, ist an sich ganz gelungen, doch sobald die Mächte des Bösen, vor allem eben in Form Bleibtreu-Goebbels auftauchen, versinkt der Film in der Farce. Und ich glaube, das war Absicht.
Der Film beginnt mit einer Theaterprobe Marians, welche von einer Kasperletheaterteufelslache Goebbels‘ gestört wird, auf welche die Kamera mit einem Zoom in dessen böses Grinsen reagiert, als wären wir in einem billigen Kung-Fu-Film der 70er. So einen Missgriff macht ein professioneller Regisseur heutzutage nicht aus Versehen – wer bereits so einsteigt, zeigt damit, dass das Folgende nicht wirklich auf echte Güte ausgerichtet ist.
Spätere Szenen sind ähnlich überzogen, wenn etwa eine Denunziantin Goebbels verrät, dass Marians Frau jüdischer Herkunft ist und der Minister, erfreut über diese wertvolle Information sofort seine Hose öffnet, oder ein dicklicher SS-Mann fast erstickt vor zu lautem Lachen, weil ein Jude mit Nachnamen Deutscher heißt und er dabei den Witz daran noch ausdrücklich erklärt.
Marian nahm die Rolle damals unter Druck des Propagandaministers an und versuchte, wie auch im Film geschildert, diesen entgegen der Aufgabe sympathisch zu spielen, den Menschen hinter dem Propagandaschurken zu zeigen und das Projekt so zu unterlaufen. Darauf bezieht sich auch eine Schlüsselszene meiner Deutung: Der Bleibtreu-Goebbels lobt Marians Spiel mit den Worten „Der Jude muss doch ein Mensch sein und kein Monster. Sonst würde doch jeder sofort denken ‚Was für eine billige Propaganda‘!“ – während er selbst mit durchgetretenem Gaspedal die historische Figur zu eben einem solchen Monster überzieht.
Wollte Roehler hier vielleicht der standardisierten, von künstlerischem Anspruch wie von jeglichem Wagemut befreiten deutschen Filmproduktion den Spiegel vorhalten? Denn zwar näselte und humpelte Goebbels tatsächlich, doch die ständig schreiende, kreischend lachende, wild herumfuchtelnde und jeden begrabschende Comicfigur des Films lässt sich einfach nicht ernst nehmen. Bleibtreu ist ein fähiger Schauspieler und gerade auch, weil Tobias Moretti den Marian so verblüffend überzeugend gibt, mag man bei seinem Widersacher nicht an eine unglückliche Besetzung glauben.
Spätestens obiger Satz wirkt da wie ein deutliches Ironiesignal an den Zuschauer.
Betrachtet man „Jud Süß – Film ohne Gewissen“ unter diesem Gesichtspunkt, häufen sich die Hinweise darauf, dass er gewissermaßen ein Verwandter Tarantinos „Inglorious Basterds“ ist, der weniger vom Dritten Reich, sondern vom Film selbst handelt. Nur wo Tarantino das Medium bejubelte, wird hier dessen hiesiger Zustand beklagt. So wird auch hier buntes Namedropping betrieben, eine positive Premierenkritik Michelangelo Antonionis verlesen und die Freundschaft des Ministers zu Heinz Rühmann betont (also Figuren der Nachkriegsfilmgeschichte hervorgehoben). Wenn das Propagandawerk erfolgreich bei den Filmfestspielen in Venedig gezeigt wird, sind die auch heute noch bekannten goldenen Löwen dabei deutlich neben der Leinwand zu sehen und verknüpfen so Hetze von gestern mit filmischen Ehren von heute.
Eine weitere Schlüsselszene ergibt sich nach der Premiere in Berlin. Während eines Bombenalarms verzieht sich die Gesellschaft routiniert in den Luftschutzbunker, nur Marian wird von einem Groupie abgefangen, welches ihn ins Dachgeschoss führt. Nachdem es über die Vergewaltigungsszene des Films geschwärmt und über die Erektion eines Erhängten spekuliert hat, erregt es offenbar auch die draußen stattfindende Bombardierung. Diese starrt es begeistert an, während Marian es von hinten nimmt und dabei die Schurkentexte seiner Rolle brüllt.
Ist die Dame da nicht das Publikum, welches sich nicht etwa historisch kritisch, sondern mit wohligem Grauen lüstern an den Schrecken der Vergangenheit erbaut? Marian, der dem Alkohol verfallend immer mehr als Süß zu sprechen pflegt stünde dann für den Historienfilm, der eine bloße Parodie einer wirklichen Beschäftigung mit seinen Themen liefert.
Eine gewagte These, ich weiß.
Sollte sie zutreffen, hätte sich die Geschichte zudem auch dahingehend traurig wiederholt, dass auch hier die noble Absicht verkannt wurde. Vielleicht sehe ich darin nur, was ich darin sehen möchte, weshalb ich die subjektive Art meiner Rezension hier noch deutlicher als sonst betonen möchte. Vielleicht ist es tatsächlich nur ein weiterer Nazi-Film, der immer wieder das rechte Maß verliert und in Albernheiten abstürzt. Vielleicht ist es aber auch ein wirklich subversives Werk.
(Dirk M. Jürgens)