„Sin Reaper“ oder Auch niedrige Erwartungen kann man unterlaufen
„Sin Reaper“
(2012) von Sebastian Bartolitius
Dieses Review verlangt nach einem dicken, fetten DISCLAIMER: Ich bin, was diesen kleinen, deutschen Horrorfilm angeht, gewaltig voreingenommen. Ich kenne seinen Drehbuchautor Manuel Johnen, der mir im Vorfeld auch das Skript zu lesen gab (meine Kritik daran aber erwartungsgemäß ignorierte) und der Umstand, dass der legendäre Lance Henriksen mitspielt wurde gerade zu der Zeit bekannt, als der von mir mitgeschriebene Film „Amazon Force: Suburban Jungle“ an der Finanzierung scheiterte. Er ist folglich für mich das Symbol von allem, was in der Welt schief läuft. Kollege Gregor hat sich den Film übrigens drüben bei Badmovies noch näher unter die Lupe genommen und pflückt dort vieles auseinander, was ich hier nur kurz anreiße.
Zur Story: Das charakterlich den ganzen Film über völlig unbeschrieben bleibende Blatt Samantha wird von wiederkehrenden Träumen geplagt, in denen es ein Kloster sieht. Als ihr Therapeut (Henriksen) herausfindet, dass besagter Ort in Deutschland tatsächlich existiert, reist sie zu ihm, auf dass ihr seine Geheimnisse aus dem Nichts zufliegen mögen. Ohne erkennbaren Grund schließen sich ihr andere Pappkameraden an, doch dann taucht ein (zugegeben, wirklich cool gestalteter) Killer auf, um sie nacheinander zumeist sehr unspektakulär umzubringen.
Ein Slasherfilm also. Klassische Sache, die ihre festen Routinen hat, an denen man sich festklammern kann, oder aber, die man seit „Scream“ ebenso bewusst brechen kann, um einigermaßen über die Runden zu kommen. Die drei Autoren (von denen ich selbstverständlich nur einem die Schuld gebe) und der Regisseur haben es dennoch geschafft, auf ganzer Linie zu versagen. In einem bestürzenden Interview schwärmt Bartolitius zwar von den angeblichen Drama-Anteilen, doch im fertigen Film sind diese praktisch nicht vorhanden. Grund dafür ist ein nahezu grotesker Mangel an Interesse und Kenntnis allem Menschlichen. Die Figuren zeigen wenig bis gar keine Persönlichkeit, sind aber dennoch gleichmäßig unfreundlich und unliebsam. Warum sie sich miteinander abgeben bleibt ebenso schleierhaft wie die Frage, warum wir uns für diese, einander grundlos anzickenden Pappfiguen interessieren sollten.
Ein Typ versucht die Heldin anzuflirten, sie erteilt ihm eine arrogante Abfuhr, kommt dann aber wieder, weil sie jemanden braucht, der sie fährt. Dumbo folgt, nur um dann vor Ort wieder von ihr fallen gelassen zu werden. Mit anderen Worten: Er ist dämlich, sie unsympathisch und die beiden sind die meiste Zeit unser zentrales Paar.
Dann gibt es noch Dumbos guten Kumpel, der auch eine zentrale Rolle spielen wird. Der gute Mann keift nach dem hechelnden Abgang seines Kollegen gleich mal seine eigene Begleitung an, um dann in Samanthas Hotelzimmer einzubrechen, um zu sehen, was für eine die denn ist. Wie man es eben so tut, wenn ein Freund sich mit einem unheimlichen Wesen aus dem fremden Geschlecht abgibt.
Dass das Motiv des Killers dann wirr und klischeehaft ist, überrascht wenig. Mehr jedoch, dass man das angebliche Thema des Films („Sünde“) überhaupt nicht wirklich behandelt. Ich wüsste zumindest nicht, dass die Bibel unbefugtes Betreten bereits für todeswürdig erachtet – denn das übliche „Drogen und vorehelicher Sex“-Zeug fehlt hier. Es wäre Klischee gewesen, aber wenigstens etwas Unterhaltsames und hier wird sein Fehlen durch nichts anderes gefüllt.
Samanthas Ermittlungen laufen zufällig und erinnern etwas an das Gameplay klassischer „Resident Evil“-Spiele: Unsere heroische Zimtziege verschafft sich unerlaubten Zugang zur Klosterbibliothek (diese Nazischweine wollten doch tatsächlich ihre wertvollen Originale nicht an eine anonyme Touristin ausleihen, so dass sie zur Selbsthilfe greifen muss), wo sie ja noch nicht einmal weiß, was sie überhaupt sucht, aber weil nur der blinkende Gegenstand angeklickt werden kann, greift sie gleich zum richtigen. Auch später, auf der Flucht vor dem Mörder ist noch Zeit, ein irgendwo herumliegendes Notizbuch einzusammeln und durchzulesen – es ist zufällig das Tagebuch ihrer Mutter und der Schlüssel zum Geheimnis. Zudem hat sie eine psychische Verbindung zum Killer, wie es ja schon Dario Argento gern als Abkürzung nutzte, um sich die Mühe zu sparen, seine Handlung besser zu konstruieren.
Ich weiß, wir sind hier nicht in einem Charakterdrama oder bei Sherlock Holmes – solange die Kills stimmen, ist man doch zufrieden, oder nicht?
Mag sein, doch hier stimmen sie nicht. Es gibt einen einzigen, genauer gesagt, Doppelkill (zu dem furchtbar schlecht hingeleitet wird, da die Macher auch in den Spannungssequenzen nicht in der Lage sind, einzuschätzen, wie sich Figuren verhalten sollten) der optisch wirklich was hermacht, der Rest ist langweilig. Der Sin Reaper hebt seine tatsächlich ganz eindrucksvolle Mordwaffe und schlägt zu – dann klebt Blut daran. Weder erschreckt er durch überraschendes Auftauchen, noch durch spektakuläre Mordmethoden. Mag der Amateurhorrorfilm gern mal jede Dramaturgie zugunsten ewiglangen Blutgeschmodders zerschmettern, gehen die Morde hier förmlich unter in ihrer eigenen Uninspiriertheit. Unmemorable Figuren werden auf unmemorable Art und Weise umgebracht. Der Film fliegt komplett unter dem Radar der Aufmerksamkeit durch.
Man kann durchaus respektieren, dass es den Machern gelungen ist, Henriksen für ihren Film zu gewinnen und ihn international zu vermarkten, wie man auch das organisatorische Talent al Qaidas bei der Zerstörung des World Trade Centers respektieren kann, aber „Sin Reaper“ selbst steht handwerklich tatsächlich nicht allzu weit über dem durchschnittlichen Amateurhorrorfilm. Informationen werden einem selten visuell mitgeteilt, es gibt immer wieder irritierende Schnitte und den Fluss behindernde Schwarzbilder und auch der eintönige Blaufilter und der bisslose Score schaffen keinerlei Stimmung. Ab und an gelingt mal ein hübsch inszeniertes Bild und gerade die Epilogsequenz wäre äußerst gelungen, schlösse sie an einen zu ihr passenden Film an. Doch wirkliche Atmosphäre, wie sie die real existierende Burg eigentlich haben müsste, kommt tatsächlich keinen Moment auf.
Auf Englisch gedreht, verfügt der Film auch über eine deutsche Synchronisation, an der es wenig auszusetzen gibt. Lediglich die Stimme (ausgerechnet) der Heldin Samatha leiert ihren Text recht desinteressiert herunter. Mein Mitseher Lukas fühlte sich an Gaby von TKKG erinnert, die es aber kaum sein dürfte, da inzwischen verstorben. Wobei wir nicht ausschließen wollen, dass sie in der Hölle gelandet sein könnte, wo Filme wie dieser wohl synchronisiert werden.
Ich ging wie gesagt mit gewaltigem Vorbehalt an den Film heran, doch er wurde noch wesentlich schlechter, als ich erwartet hatte. Ich hatte angenommen, aus dem miesen Drehbuch eines schlechten Menschen hätte man einen zumindest handwerklich kompetenten Durchschnittsfilm gezimmert, aber wie es aussieht, beherrschte niemand seinen Job. Nun gut: Lance Henricksen wurde dafür, vermutlich nicht allzu lange am Set gewesen zu sein und alle seine Szenen in einer Wohnung zu haben erstaunlich gut über die Laufzeit verteilt. Die Hingabe des James-Cameron-Veterans scheint sich aber verständlicherweise in Grenzen zu halten.
Wenn man den tausendsten Slasher dreht, muss man sich entscheiden, welcher Schule er angehören soll. Soll er ein echter, funktionierender Horrorfilm sein, oder ein postmoderner ironischer Film ÜBER den Horrorfilm? Diese Entscheidung wurde hier nicht getroffen. Es fehlt sowohl die klassische Härte und Ernsthaftigkeit, ebenso aber jede Distanz. Klischees werden zwar immer wieder mal nicht erfüllt, aber in der Regel auch nicht gebrochen: Ein Typ schreckt vor dem angebotenen vorehelichen Verkehr am heiligen Ort zurück, wird aber dennoch unkommentiert umgebracht, so dass die Abweichung für die Katz ist und dem Zuschauer lediglich eine Sexszene vorenthalten wird. Im bereits verlinkten Interview rühmt sich der Regisseur zwar für seine angebliche Unkonventionalität, Figuren in einem Horrorfilm Angst empfinden zu lassen, statt One-Liner zu kloppen, aber dieses weitere Beispiel für seine Ahnungslosigkeit vom Genre bedarf wohl keiner weiteren Beachtung.
„Sin Reaper“ ist nicht Fisch, nicht Fleisch. Er fügt dem Genre nichts Neues hinzu und beherrscht nicht die Qualitäten, die es überhaupt erst haben entstehen lassen. Ihm fehlt sowohl die Fähigkeit, Figuren zu schaffen, wie auch Handlungsabläufe darzustellen. Und als das Rad der Fortuna sein Entstehen ermöglichte, überrollte es meinen schönen „Amazon Force“.
Ja, letzterer Zusammenhang ist etwas fragwürdig, aber dafür gibt es ja den Disclaimer…
(Dirk M. Jürgens)
Peroy
1. November 2013 @ 19:12
Auf ’ner Skala von 1 bis 10, welche Note würdest du ihm geben… ? 8)
Dirk M. Jürgens
1. November 2013 @ 19:29
Gute Frage!
Jetzt versuche ich mal, meinen persönlichen Groll kurz beiseite zu schieben und überlege, was für Schrott ich sonst schon so gesehen habe… hm… vielleicht knappe 3/10?
Peroy
1. November 2013 @ 19:38
Dann geht’s ja noch…