Anita Sarkeesian und das ganze Geschlechterzeug – Nachtrag
Es ist schon einige Zeit her, dass ich von Bitterkeit erfüllt den zweiteiligen Mammut-Artikel über Anita Sarkeesian schrieb, aber ich muss noch einmal auf das Thema zurück kommen. Wie man mir berichtete, hat sie gerade kürzlich ein neues Video herausgebracht, doch ich habe ehrlich gesagt keine Lust, mich wieder an eine mühsame Einzelanalyse zu machen.
Der Grund für diesen Nachtrag ist also keine neue Entwicklung beim Forschungsobjekt, sondern das befremdlicher Erlebnis, für meinen Artikel vor allem von Leuten kritisiert zu werden, die ihn gar nicht gelesen hatten. Man stimmte Sarkeesian zu, dass es zu viele „Damsels in Distress“ gibt, ergo beschloss man, ihr generell in allem zuzustimmen, ergo musste ich, der ich das nicht tat, ein grundfalsches frauenfeindliches Manifest geschrieben haben, das zu lesen man sich nicht antat.
Dies veranschaulicht ein größeres Problem: Die ganze Diskussion hat sich in festen Lagern gefangen, die einander erbarmungslos gegenüberstehen und nicht akzeptieren, dass jemand nicht klar einem von ihnen angehört.
Darum will ich hier jetzt mal andere Leute aufrufen. Gemäßigte Leute, die zeigen, dass es sehr wohl eine dritte Variante gibt. Es gibt viele Polemiken zum Thema und es gibt auch durchaus gute Polemiken zum Thema, aber ich fürchte, hier bringen uns Polemiken nicht weiter. Sie sind das Mittel Sarkeesians, welches nicht zu einer Verständigung beitragen, sondern Wogen schlagen soll. Dazu sollten wir nicht auch greifen sondern hoffen, sie mit einem vernünftigen Diskurs wieder etwas zu glätten, auch wenn sich Sarkeesian selbst einem solchen nicht stellt..
Ganz generell möchte ich den Blog „The Males of Games“ empfehlen, dessen Autor einfach mal die Gegenposition aufmacht und Männerfeindlichkeit in Videospielen beobachtet und auflistet. Wie immer gilt auch hier, dass er kein Evangelium verkündet, ich nicht jeden seiner Schlüsse und jede seiner Betrachtungsweisen teile, ihm aber in vielen Fällen zustimme. Verlinkt seien hier seine Beiträge zu den bisherigen drei „Damsels“-Videos, die er mit mehr Kenntnissen der zitierten Spiele schreibt, als ich aufweisen kann:
Besonders empfehlen möchte ich dann die Youtuberin Kite Tales, welche ihren Respekt für Sarkeesians Meinung betont, aber eine alternative Betrachtungsweise der Prinzessinnenrolle anbietet:
„Sexism and Stereotypes in Video Games?“
„More than a Damsel in a Dress: A Response“
Ich muss ihr in dem zentralen Punkt widersprechen, dass auch ich meine, dass Backstory nur begrenzt stichhaltig ist. Mögen Peach und Zelda in der Geschichte ihrer Spiele auch wichtig und mächtig sein, im Spielverlauf selbst sehen wir davon nichts und es ist nun einmal in Film und Videospiel so, dass nur das tatsächlich Dargestellte in ihnen real ist. Darum werden etwa auch Richard Gere und Julia Roberts in „Pretty Woman“ erst beim Sex gezeigt, nachdem ihre Beziehung keine geschäftliche mehr ist. So wird der vorherige Kauf der Heldin heruntergespielt.
Bedenken sollte man allerdings ihren Punkt, dass man die Schwäche oder Handlungsohnmacht einer Figur auch nicht überbewerten darf, denn an sich ist Schwäche nichts, was den Wert eines Menschen mindert.
Vor allem aber möchte ich Kite Tales meinen Respekt dafür aussprechen, wie höflich und betont unaggressiv sie ihre Sache darlegt. Es gibt immer hasserfüllte Trolle im Internet, doch ich wage zu behaupten, ginge Sarkeesian ähnlich diplomatisch vor, wären die Shitstorms um sie wesentlich geringer (aber ebenso wohl die Kickstarter-Einkünfte).
Mit diesem Stichwort sind wir dann wieder beim umstrittenen Punkt der gesperrten Kommentare. Nach wie vor sehe ich das nicht als das Kernproblem, dennoch ist und bleibt es ein übler Beigeschmack, wenn gerade jemand, der voller Stolz verkündet, sich nicht zum Schweigen bringen zu lassen, anderen das Wort verweigert.
Ich sagte schon, dass sie damit meines Erachtens ihre eigene Position untergräbt, doch es gibt Hinweise darauf, dass es noch etwas schlimmer stehen könnte. Hier meldet sich ein ehemaliger Unterstützer, der, von den Trollen angeekelt, 25 Dollar zu ihrer Kickstarter-Kampagne beisteuerte, aber später skeptisch wurde:
Er verweist auf Roger Ebert, der – trotz seiner Zugehörigkeit zum männlichen Geschlecht – ebenso mit Hass und Drohungen überschüttet wurde, als er bekanntlich verkündete, Videospiele könnten niemals Kunst sein. Ebert setzte sich jedoch mit seinen ernstzunehmenden Kritikern auseinander, wie man es von jemanden erwarten kann, der Teil des Diskurses sein will. Sarkeesian jedoch reagiert, wenn überhaupt, einzig auf die übelsten und niedersten Trolle, gegen die gut auszusehen es wirklich wenig bedarf.
Dazu merkt er an, dass es einzig und allein ihr Kickstartervideo war, welches offen und unmoderiert für alle Kommentare bereitstand – und auch das nur so lange, wie die Kampagne lief. Es sieht demnach ganz so aus, als wenn sie nicht etwa von all der Bosheit tief getroffen wäre, sondern sie dort nutze, wo sie von ihr profitieren kann.
LeoPirate beklagt, dass sie das ernste und auch ihm am Herzen liegende Thema des Sexismus’ für ihre Karriere und Brieftasche ausnutze. Sie zeige, wie böse man sie behandelt und setze auf die Reaktion, dass hier eine bedrohte Frau zu schützen ist (per Überweisung). Sie nimmt bereitwillig die Rolle einer Damsel in Distress an.
In diese Richtung geht auch der Youtuber Investig8ive Journalism, der in seinem Video „Burqa Beach Party!“ Indizien dafür sammelt, dass der Shitstorm, der ihr soviel Mitleid und Unterstützung einbrachte, teils bewusst aus PR-Gründen von ihr selbst angefächert wurde. Eine zulässige Taktik, wenn man sein Produkt bewerben will, aber für jemanden, der behauptet Ausgrenzung und Unterdrückung zu erleiden und zu bekämpfen, unwürdig und gerade in Kombination mit den monetären Vorteilen höchst zweifelhaft.
Auch der schon erwähnte „Males of Games“-Blog äußert sich dazu, wenn er einige direkte Beispiele dafür bringt, wie höfliche und zivilisierte Kritik unterdrückt wird:
„My Dealings with Feminist Frequency“
Empfehlenswert ist auch Investig8ive Journalisms Vorgängervideo „The College Graduate“, in dem er Sarkeesians wissenschaftliche Technik unter die Lupe nimmt und zu dem Schluss kommt, dass sie Geschlechterstereotypen nicht etwa bekämpft, sondern verfestigt.
Der Punkt fiel mir auch schon vorher auf und selbst von mir geachtete Leute wie Carol Clover (ihr „Men, Women and Chain Saws“ ist zu Recht ein Klassiker der Horrorfilmanalyse) verfallen leicht darauf. Wenn sie nämlich Attribute wie „stark“ auf der einen, beziehungsweise „emotional“ auf der anderen Seite klar und immer als männlich oder weiblich festlegen, nehmen sie damit die Möglichkeit zur Entwicklung. Denn wenn eine Frau, sobald sie physisch stark dargestellt wird, keine echte Frau mehr ist, sondern einer Männerrolle untergeordnet, dann KÖNNEN weibliche Figuren in vielen Genres und Zusammenhängen gar nicht mehr korrekt dargestellt werden und es ist nur folgerichtig, sie außen vor zu lassen. Wie eine solche Kategorisierung auf reale physisch starke Frauen und sensible Männer wirken muss, ist noch ein ganz anderes Thema.
Doug „Nostalgia Critic“ Walker äußerte sich ebenfalls dazu. Ohne sich näher mit Sarkeesian beschäftigt zu haben, war er ihrer Arbeit gegenüber anfangs positiv eingestellt, da auch er die Problematik sah. Mittlerweile ist er ob ihrer fragwürdigen journalistischen Technik jedoch etwas bekümmert darüber, dass sie der guten Sache schaden könnte. Wie auch ich schon, rät er zu positive Ermunterung statt immer nur Aggression.
Ich stieß übrigens auch auf die Theorie, Sarkeesian sei bloße Handpuppe eines gewissen Jonathan McIntosh. Diese scheinen rein auf der Existenz und Bekanntschaft besagter Person zu ihr zu beruhen und dürften paranoides Wunschdenken sein: Offenbar hat McIntosh schon bevor er sie kannte ähnliche Thesen vertreten, wie Sarkeesian jetzt und wer immer hier den Verdacht seines Strippenziehens hat, hält es wohl für vollkommen unmöglich, dass Leute mit ähnlichen Ansichten befreundet sein könnten.
Da es hier an jeglicher Substanz fehlt verlinke ich sie auch gar nicht erst und erwähne sie nur, weil man bei der Beschäftigung mit dem Thema eh früher oder später auf sie stößt und gar nicht erst glauben soll, hier etwas gefunden zu haben.
Dies waren jetzt also ein paar gemäßigte und zivile Stimmen, die zeigen sollen, dass man sich nicht zwischen der Republik „Sarkeesian hat mit jedem Wort recht!“ und den Vereinigten Staaten von „Sexismus gibt es überhaupt nicht!“ entscheiden muss. Wie in praktisch allen Angelegenheiten, sind auch hier die Extremisten auf beiden Seiten wieder kontraproduktiv und wir sollten versuchen, ihnen nicht die Diskussion zu überlassen.
Natürlich predige ich hier wieder nur den Bekehrten und wer weiß, dass ich als Sarkeesian-Gegner Frauenhasser sein muss, wird es eh nicht lesen, aber die Hoffnung stirbt bekanntlich zuletzt.
(Dirk M. Jürgens)