„Alaska Johansson“ oder Mal wieder eine Perle
„Alaska Johansson“
(2013) von Achim von Borries
Tun wir nicht so, als wenn es anders wäre, aber ihr lest am liebsten Verrisse und ich schreibe sie auch am liebsten. Insofern hat es, wenn ich einen unbekannten aber auffällig guten Film sehe immer einen Wermutstropfen. „Alaska Johansson“, ein kleiner, unauffällig auf ARD gelaufener TV-Film ist ein solch guter Film, insofern erwarte man von diesem Review nicht den üblichen Unterhaltungswert. – Den hole man sich stattdessen nach Möglichkeit beim Film selbst.
Die ungewöhnlich benannte Titelheldin wird gespielt von Alina Levshin, die zwar in „Unsere Mütter, unsere Väter“ irgendwo herumlief, aber auch die „Kriegerin“ darstellte, wo sie positiv auffiel, den Film aber nicht retten konnte. Nun (soviel Subjektivität sei eingestanden) mit hübschen kurzen Haaren hat sie hier ein würdiges Werk für ihre Fähigkeiten gefunden. Ihre Figur ist eine sozial isolierte Karrierefrau, die sich eigentlich umbringen will, aber von einem seltsamen Kind im Gespensterkostüm dabei gestört wird. Das Kind verschwindet jedoch kurz darauf und es häufen sich die Anzeichen, dass es nebenan vom neu eingezogenen Nachbarn gefangen gehalten wird. Damit scheint Alaska die Aufmerksamkeit des Finsterlings auf sich gezogen zu haben, der sie nun offenbar zu beobachten und zu verfolgen beginnt.
Dies könnte eine normale Thrillerhandlung sein, doch der, für eine solche an sich überflüssige Suizidversuch deutet bereits an, dass es in eine ganz andere Richtung geht. Wieso wirft Alaska ihre getragene Wäsche weg? Warum ist ihr Schrank mit einem Fahrradschloss gesichert? Was sollen die vielen Szenen, in denen sie sich duscht, abschrubbt oder in unangenehmen Detailaufnahmen mit Essen voll stopft?
Der Film zeigt diese zahlreichen Irritationen in seinen wunderschönen, kühlen Bildern, kommentiert sie jedoch weder, noch stößt er den Betrachter mit der Nase darauf. Er ist also einer der wenigen deutschen Filme, die ihre Zuschauer nicht verachten, indem sie sie entweder ignorieren, oder ihnen alles vorkauen. Wir merken, dass sowohl mit der dargestellten Welt, als auch unserer Heldin etwas nicht stimmt – zumindest an einer Stelle unterstützt er dieses Gefühl sogar durch ein subliminales Bild.
Nicht nur, dass ich auf unterhaltsame Beschimpfungen verzichten muss, auch weitere Plot-Details darf ich nicht weitergeben. Denn auch wenn er langsam (doch ohne Längen) erzählt wird, steuert „Alaska Johansson“ auf ein Ende voller Enthüllungen zu. Diese kommen teils erstaunlich früh, so dass er sich davor bewahrt, ein reiner Twist-Film zu sein und etwa das Geheimnis des Gespensterkindes dürfte jeder Zuschauer schon lange vor Alaska selbst erkannt haben, doch das ist gewollt und gehört zum Spannungsaufbau. Anfangs rätselt man mit der Heldin, später, wenn man sie überholt, graust es einen vor dem, was sie bald entdecken wird. Ein Film, der eher an Kubrick und vor allem an Polanski erinnert, als an das deutsche Fernsehen. Stilistisch wunderschön, inhaltlich intelligent und für eine Zweitsichtung ein Fest der Analyse.
Vielleicht musste deswegen der nächste „Tatort“ aus Münster zu humorlosem Einheitsbrei heruntergekocht werden, um diesen versehentlichen Anflug von Qualität auszugleichen. Aber das war es wert.
(Dirk M.Jürgens)