Suzanne Collins: „Die Tribute von Panem – Flammender Zorn“
Suzanne Collins: „Die Tribute von Panem – Flammender Zorn“ (2010)
(dt. Ausgabe/Oetinger. Originaltitel „The Hunger Games: Mockingjay“) Science Fiction/Jugendbuch
Nachdem mich der erste Teil der Trilogie doch ganz positiv überraschte, sich beim zweiten dann aber meine Bedenken häuften, waren mir inzwischen die Leihbüchereigötter wieder gnädig und ließen mir auch den Abschlussband zukommen.
Inzwischen herrscht offener Bürgerkrieg in Panem und Katniss ist ziemlich emo, da ihr Heimatbezirk niedergebrannt wurde und ihr love interest Peeta in der Gewalt des Kapitols gefoltert wird. Dennoch muss sie als Gesicht des Widerstandes die von Distrikt 13 angeführte Rebellion unterstützen und sich sowohl in der Propaganda, als auch der Front beweisen.
Die großen Probleme der Reihe werden fortgeführt: Das Kapitol und Diktator Snow bleiben zuhöchst unbeeindruckende und recht unfähige Gegenspieler, die sich bereits zu Anfang selbst die Versorgung abgeschnitten haben und ihre Propagandabotschaften gern vermasseln, indem sie Gefangenen in Live-Sendungen ein Podium bieten. Es tauchen auch wieder Monster auf, die für die Handlung nicht nötig wären, sie jedoch unwirklicher erscheinen lassen und noch einmal daran erinnern, wie schlecht sie im ersten Band eingeführt werden. Positiv bleibt die Geschlechterdarstellung, bei der es diesmal der männliche Part ist, der befreit werden muss, man ihm aber dennoch andere Qualitäten lässt. Auch die Führer der Rebellion sind geschlechtlich sehr gemischt und zudem nicht zwingend als positive Figuren dargestellt. Überhaupt scheint Distrikt 13 ein stalinistischer Militärstaat zu sein, der an sich keine wirkliche Alternative zur feudalistischen Diktatur des Kapitols bietet, aber der einzige taugliche Verbündete ist.
Und hier nähern wir uns auch dem Zünglein an der Waage, welches meine schwankenden Sympathien für die Reihe endgültig umschlagen ließ, so dass ich Suzanne Collins gestern Abend noch lauthals mein Lob aussprach (ja, ich spreche gelegentlich laut mit Büchern – ist schließlich ein freies Land!): Endlich wird eine klare Haltung zur Gewalt gefunden (um die sich die ersten Bände ja herum schummelten) und diese mündet schließlich ein eine vollkommen unaufgesetzte und nicht predigende Friedensbotschaft, wie man sie in Jugendbüchern selten so eindringlich findet.
Denn anfangs behauptet Katniss zwar wieder, wie schlimm das Töten sei, aber es erscheint als Lippenbekenntnis, das keine Auswirkungen auf ihr Handeln hat. Wenn sie wie Rambo Fluggeräte mit Sprengpfeilen zerstört, mag das noch Unachtsamkeit sein, doch wenn sie später ohne Zögern oder Reflexion eine unbewaffnete und unschuldige Zivilistin erschießt, als die ihrer Mission im Weg steht, wird klar, dass uns hier leise und unauffällig ein Prozess der Abstumpfung vorgeführt wird. Katniss’ Krieg mag gerechtfertigt und notwendig sein, aber das macht ihn nicht zu einer guten Sache.
Als der Sieg über das Kapitol relativ früh und relativ leicht errungen wird, ist die anfangs so zur Identifikation einladende Heldin an Körper und Geist schwer vernarbt. Auch beginnt nun keine Zeit des Friedens, sondern es zeigt sich, dass die neuen Führer (wohlgemerkt angeführt von einer Frau – Collins ist also nicht so naiv, an die immer wieder behauptete grundsätzliche Güte des Matriarchats zu glauben) nicht viel besser sind, als die alten. Macht, nicht Ideale zählen. Positive und sympathische Figuren sterben, während Schurken begnadigt werden, da im neuen System wieder Platz für sie ist. Selbst die Hungerspiele, das zentrale Zeichen des alten Regimes überlegt man zur Befriedigung der Rachelust weiter zu führen. Snows öffentliche Hinrichtung soll ein feierliches Spektakel für die Medien werden und Katniss das Urteil vollstrecken, ehe sie sich bitte aus der kalten Realpolitik zurückziehen soll.
Das ist düster, das ist hoffnungslos, das ist nichts, was ich in einem Jugendbuch erwartet hatte. Dennoch ist es nicht zynisch – mit einem Mut, den ich ihr nicht zugetraut hätte, wendet Collins in den letzten Kapiteln ihre Geschichte in eine unerwartete Richtung. Sie biegt sie nicht in ein aus dem Hut gezaubertes Mega-Happy-End um, doch sie schafft es, einen entscheidenden Punkt zu machen und selbst die von mir ungeliebte Dreiecksgeschichte unsentimental und ohne falsche Romantik aufzulösen. So schließt die Trilogie bittersüß und mit einer klaren Absage an alles Lagerdenken, welches Kriege in simple Gut-Böse-Schemata zu zwängen versucht. Und das ist eine Aussage, die ich einem Jugendbuch gar nicht hoch genug anerkennen kann, so dass ich gern über alle anfänglichen Mängel der Trilogie hinwegsehe.
(Dirk M. Jürgens)
Udo
1. September 2013 @ 15:33
Ich finde auch, dass Teil 3 der beste der Reihe ist.