Anita Sarkeesian und das ganze Geschlechterzeug (1)
In meinen verschiedenen Filmrezensionen habe ich ja auch immer wieder mal problematische Geschlechterdarstellungen angesprochen, und das natürlich von einer, meines Erachtens heutzutage zu kurz kommenden, männlichen Perspektive aus. Allmählich will ich einmal versuchen, direkt in die Debatte einzusteigen und hänge mich dazu an die Ausführungen der umstrittenen Internet-Popkultur-Publizistin Anita Sarkeesian, deren Videos auf ihrem Youtube-Kanal feministfrequency seit einiger Zeit für Aufsehen sorgen.
Warum gerade sie? Man verstehe mich nicht falsch: Anita Sarkeesian ist nicht DER Feminismus. Einen solchen gibt es gar nicht, da inzwischen so viele, so grundverschiedene Dinge unter diesem Label vertreten werden, dass es mittlerweile eigentlich gar nichts klares, sicheres mehr bedeutet, außer dass es um eine proweibliche Position geht. Die Gründe, warum ich mich gerade auf sie beziehe sind, dass mir an ihren Videos vieles symptomatisch für die Probleme in der Debatte scheint und dass auch viele Leute, die ich schätze, sie loben, da sie meines Erachtens die wahre Dimension dessen, worum es geht, nicht erfassen.
Bevor ich zu ihr komme, sind jedoch einige grundsätzliche Dinge zu klären.
Um grundlegende Missverständnisse oder Beifall von der falschen Seite zu verhindern, möchte ich klarstellen, dass auch ich Sexismus für ein gewaltiges Problem halte. Sogar für ein viel größeres, als es Sarkeesian tut, die eben meines Erachtens nur den Rüssel des Elefanten ertastet und daraus schließt, eine Schlange vor sich zu haben. Wer heute von Sexismus spricht, meint so gut wie immer ausschließlich nur die Benachteiligung von Frauen. Diese gibt es und gegen diese ist etwas zu unternehmen, aber es reicht nicht, an einer Stelle zu verbessern zu versuchen, wenn das ganze System auf problematischen Grundlagen steht. Denn das System des Sexismus’ ist keineswegs ein männliches Machtinstrument, sondern engt uns alle auf starre Geschlechterrollen ein und schädigt uns damit alle. Wenn die Nachteile für Frauen aktiv bekämpft, die Nachteile für Männer aber ignoriert werden, wird keine Besserung erreicht werden. Denn hier kämpfen keine Feinde, sondern Geschlechter, die das Ziel nur zusammen erreichen können, sich dazu also versöhnen müssen. Und es ist eine schlechte Grundlage für eine Versöhnung, den einen ihre Privilegien zu nehmen, ihnen aber ihre Pflichten zu lassen, diese dabei aber sogar zu leugnen.
Ein zentrales Problem der Debatte ist, dass kaum jemand wirklich darüber nachdenkt, weil alle längst ihre fertigen Reflexe haben, mit denen sie reagieren können. Ein besonders schlimmes Beispiel sah ich in einem Interview mit Rosario Dawson über „Sin City“ (einen Film, dem man diesbezüglich durchaus einiges vorwerfen könnte, aber darum geht es hier nicht): Man fragte sie, ob der Film nicht frauenfeindlich sei und sie verneinte es mit dem Argument, für jedes Paar Brüste das gezeigt würde, würde ein Mann kastriert werden, also gleiche es sich aus. – Frau Dawson ist Schauspielerin, keine Gendertheoretikerin und sie war bei einem Promo-Interview wohl nicht auf derartiges gefasst, so dass ich es ihr nicht allzu übel nehmen will, aber ihr Ausspruch zeigt die unreflektierten Dinge, die den Diskurs beherrschen. Das Zeigen einer weiblichen Brust ist also automatisch frauenfeindlich? Und das Verstümmeln eines Mannes ein gleichwertiger Akt?
Ich möchte an dieser Stelle die Männerrechtlerin Karen Straughan anbringen. Ehe man mich missversteht: Auch sie ist nicht das Wort Gottes, auch sie ist zuweilen in ihrer Sache gefangen, auch sie schießt gern mal übers Ziel hinaus, aber sie weist auf die Nachteile hin, die Männer hinzunehmen haben und die nie problematisiert werden. Um die These ihres zentralen und äußerst wichtigen Videos „Feminism and the Disposable Male“ zusammenzufassen: Frauen mögen als Objekte betrachtet werden, aber zumindest als wertvolle Objekte, während Männer zwar Handlungsmacht haben, aber als im Grunde als wertlos gelten.
Simples Beispiel: Ein Film handelt von einem Psychopathen der eine Frau entführt. Die Polizei sucht fieberhaft nach ihr, doch alle Spuren führen in tödliche Fallen, denen der beste Freund, der schwarze Kollege und der ältere Mentor unseres Helden zum Opfer fallen. Schließlich kann er dem Schurken dann aber doch noch eine Kugel verpassen und die Frau befreien. Somit hat der Film ein Happy End, obwohl ein weibliches Leben mit vier männlichen erkauft wurde. Beide Geschlechterrollen sind unvorteilhaft: Die Frau ist bloßer Spielball männlicher Akteure, Männer sind aber entbehrlich.
Dieser in den Medien gelebte „doppelte“ Sexismus ist das wahre Problem: So dürfen Frauen recht ungestraft Männer schlagen, diese sich aber nicht wehren. Die Frau wird darin als schwach und emotional labil angesehen, der Mann hat kein Recht auf körperliche Unversehrtheit. Dann vergleiche man die Quote weiblicher und männlicher Schurken, die bekehrt werden, anstatt beim Nachspann tot oder im Gefängnis zu enden. – Frauen nimmt man nicht für voll, in dem man ihnen keine echte Entscheidung zum Bösen zutraut, Männer diskriminiert man, indem man Frauen als besser (und auch hier wieder bewahrenswerter) darstellt. Weitere interessante Ausführungen dazu und warum solche pseudostarken Frauenfiguren auch aus weiblicher Perspektive eine Mogelpackung sind, finden sich in diesem sehr lesenswerten Artikel von Sophia McDougall.
Diese Gedanken behalte man im Hinterkopf, wenn ich nun endlich zu Sarkeesians Videoreihe „Tropes vs. Women“ komme.
Hier behandelt sie verschiedene Typen und Elemente die sie als frauenfeindlich ansieht. In mehreren beklagt sie einfach nur die Vernachlässigung von Frauen in Filmen oder Videospielen, da diese nicht als eigenständige Figuren, sondern nur Funktionen für die Geschichte männlicher Figuren behandelt werden. In diesem Punkt will ich auch überhaupt nicht widersprechen. Ich rate jedem, sich mal mit dem Bechdel-Test zu beschäftigen, welcher zwar nicht, wie oft missverstanden, aussagt, ob ein Werk frauenfeindlich ist oder nicht, aber, wie weit es Frauen beachtet. Und da scheiden wirklich schockierend viele Filme, Romane und Serien aus (und, ich will ehrlich sein, auch so ziemlich alle meiner eigenen Comics). Es wird also tatsächlich überproportional männlich dominiert – auch in „frauenaffinen“ Stoffen für eine weibliche Zielgruppe.
Wenn sie also nur Typen dieser Funktionsweise beschreibt („Manic Pixie Dream Girl“ oder „Women in Refrigerators“) habe ich generell keine Einwände (wobei ich lediglich anmerken möchte, dass diese Beobachtungen nicht originär von ihr stammen, sie also nur die Forschungslage zusammenfasst). Doch bei der Behandlung anderer weiblicher Stereotypen zeigen sich dann die so oft beobachteten Scheuklappen, die Eiferer aller Art so aufweisen:
#4 „The Evil Demoness Seductress“: Sarkeesian beklagt das oft benutzte Bild der bösen, dämonischen Verführerin, also der klassischen femme fatale als frauenfeindlich. Dass es eine Angst vor dem Weiblichem darstellt ist richtig, aber es gibt ebenso das Gegenstück, nämlich die Angst vor dem Männlichen, welches von jedem Gewalttäter dargestellt wird. Unsere Medien, Mythen und Geschichten dienen dazu, mit unseren Ängsten umzugehen, auch denen, vor dem Andersartigen. Sie blendet hier vollkommen die Welt außerhalb ihres winzigen Bereichs aus: Schließlich sind Männer in der Regel (nicht immer) Frauen in Sachen körperlicher Kraft nun einmal überlegen, so dass der männliche Unterdrücker es in den meisten Fällen einfach hat. Die weibliche Unterdrückerin muss daher zumeist zu anderen Mitteln greifen, um Macht über jemanden zu bekommen – und die Ausnutzung seiner sexuellen Gelüste ist da einfach ein Erfolg versprechender Weg. Das gibt es oft genug in der Realität zu beobachten und seine Überhöhung ins Dämonische in der Kunst nur folgerichtig. Gleiches geschieht ja auch der männlich assoziierten physischen Gewalt, da der böse Untote oder Dämon ja so gut wie immer körperlich überlegen ist.
#5 „The Mystical Pregnancy: Ein etwas kryptischer Beitrag. Ja, übernatürliche Schwangerschaften sind ein absolut ausgelutschtes und überstrapaziertes Element, wenn das ihr Problem wäre, wären wir uns einig. Doch anscheinend stört sie auch hier wieder, dass etwas weibliches (Schwangerschaft) dämonisiert wird.
Sie übersieht dabei, dass Schwangerschaft nun einmal tatsächlich keine rein beglückende Stimmungsbombe ist, sondern durchaus auch von Strapazen und emotionaler Belastung begleitet wird, also nicht etwa durch männlich gesteuerte Propaganda, sondern auch von sich aus schon ein gewisses Bedrohungspotential hat.
Ich kann nur wieder auf meinen letzten Absatz verweisen: Die Fortpflanzung, mit der unser Leben beginnt und die vorzunehmen unser weiteres Leben für immer verändert, ist etwas bedeutsames und eindrucksvolles. Entsprechend ist es mit nicht nur männlichen Ängsten verbunden, die demzufolge in der Kunst behandelt werden.
Relativ unfokussiert wirft sie dann noch die Abtreibungsdebatte ein, in der dieses Klischee die Selbstbestimmung der Frau schwäche, weil sie dort rein auf das Physische reduziert werde (dies belegt sie damit, dass etwa Deanna Troi bei „Star Trek TNG“ später nie wieder auf ihr diesbezügliches Erlebnis zurück kommt… wie in der Serie grundsätzlich keine Figurenentwicklung über die Länge einer Folge hinausgeht). Den nahe liegenden Punkt, dass eine allgemeine Vorstellung von Alien-Antichristen, die in Bäuchen heranwachsen, doch eher für die Legalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen sprechen müsste, ignoriert sie.
#6 „The Straw Feminist“: Hier behandelt sie die verfälschten Zerrbilder, durch die Feministinnen in den Medien oft dargestellt werden. Ja, solche Karikaturen gibt es. Wie zu jeder Position: Wer nicht an die globale Erwärmung glaubt, zeigt ihre Anhänger als baumknutschende Psychotiker. Wer glaubt, Kriege im Nahen Osten wären für die Terrorabwehr notwendig, zeigt Kriegsgegner als blauäugige Deppen, die bösen bärtigen Muselmanen noch die Bombenkoffer schleppen. So verhöhnt jeder die Einstellung, die nicht die seine ist. Da ist die feministische Version kein Sonderfall.
Doch als Folge davon beklagt sie, würden immer mehr Frauen dem Feminismus misstrauen. Sie würden sagen, sie seien für Gleichberechtigung, aber keine Feministinnen – dies sieht Sarkeesian als unmöglich an und geht damit von einem klaren und eindeutigen Feminismusbegriff aus, wie es ihn einfach nicht mehr gibt. Wenn wirklich Gleichberechtigung ihr Ziel wäre, dann müsste sie irgendwann auch mal eine männliche Perspektive einnehmen. Der einzige Grund, das nicht zu tun, wäre, wenn es nirgendwo eine Benachteiligung von Männern gäbe – der Blick auf ein Plakat mit Notrufnummern, die Frauen und Mädchen verschiedenste Hilfsangebote aufzählen, Männern und Jungs jedoch keine eigenen, kann das widerlegen.
Wenn ich oben sage, dass ich „Manic Pixie Dream Girl“ zustimme, so bezieht sich das nur auf die ungefähre Grundthese (in der nicht enthalten ist, dass auch männliche Figuren oft nur Funktionen für weibliche sind und ebenso weibliche für andere Frauen – nicht jeder ist die Hauptfigur), bestimmt nicht auf ihre schräge Ausweitung des Themas auf den Fall der Muse. In diesem werden ihr zufolge Frauen als Inspiration für Männer missbraucht und das ist natürlich restloser Blödsinn. Nicht jeder Mensch ist ein Künstler (Schnauze, Beuys!), kann aber einen solchen anregen. Damit ist ihm nichts genommen und eine so inspirierende Frau hindert nichts und besonders kein Mann daran, selbst kreativ zu werden. Sarkeesian vermischt hier die Ebenen: Was in der Fiktion zumindest eine männerzentrierte Konstruktion ist, ist in der Realität natürlich gewachsen und ohne solchen Subtext. Wenn sie diesen Unterschied nicht anerkennt, bricht ihr größtes Thema komplett in sich zusammen.
Ihr opus magnum nämlich, sind die bislang drei, jeweils etwa halbstündigen „Damsel in Distress“-Videos, die wieder einige richtige Punkte (in der Regel schon zuvor von anderen Leuten bemerkt), aber eben auch wieder die selektive Blindheit der Einseitigen aufweisen.
Kern ist die ewige Reduzierung der Frau im Videospiel zum bloßen Objekt der Befreiung durch männliche Helden und das ist keine weltbewegende Erkenntnis. Schon als Kind vor meiner ersten Spielkonsole (dem legendären Nintendo Entertainment System) fiel mir auf, wie viele Spiele die immer gleiche Grundstory „Rette die Prinzessin!“ haben.
Hier verteidigen sie manche Leute mit der Begründung, dies sei ja nun wirklich ein fürchterlich gestriges Klischee. – Es IST ein fürchterlich gestriges Klischee und das leugnet im Grunde niemand (weshalb die langen, langen, langen Sequenzen an Beispielfällen, mit denen die Videos gestreckt werden, auch recht unnötig sind), aber das macht ihre gesamte Argumentation nicht richtiger. Ich werde die Teile jetzt nicht einzeln auseinander nehmen, aber mit dem ersten hatte ich eigentlich kaum Probleme. Doch dann zeichneten sich Widersprüche ab, mit denen sie ihr eigenes tiefes Gefangensein in den Genderstereotypen zeigte.
Doch zuvor möchte ich ein häufig gegen sie vorgebrachtes Argument widerlegen: Sarkeesian behauptet, hilflose Frauenfiguren wie etwa Prinzessin Peach seien bloße Objekte im Kampf zweier Männer (hier Bowser und Mario). Oft heißt es, ihr fehle hier das menschliche Gefühl: Mario will Peach nicht besitzen, sondern liebt sie ehrlich. Es ist Sorge um sie, nicht Besitzdenken, das ihn antreibt. Erwarte sie, dass er seine Freundin im Stich ließe, um sie ja nicht zu degradieren?
Hier tritt genau die Vermischung der Ebenen auf, der sich auch Sarkeesian immer wieder selbst schuldig macht. Denn ihr Vorwurf ist ja nicht auf die Handlungswelt, nicht an Mario gerichtet, sondern an die Macher der Spiele. Diese sind nicht von Sorge um eine Figur angetrieben, sondern bringen sie erst in die Gefahrensituation und könnten sie ebenso gut selbst zum handelnden Subjekt machen. Der Wunsch nach größerer Vielfalt ist da völlig berechtigt – ich glaube der alten Programmiererbehauptung, weibliche Spielfiguren kämen nicht an, kein Stück und fahre bei „Mario Kart“ selbst meistens mit Peach. Sarkeesian will ja auch nicht männliche Helden abschaffen, sondern sie nur um mehr weibliche ergänzen.
Auch Aufzählungen von Ausnahmen und den, inzwischen ebenfalls zahlreichen weiblichen Heldinnen (wie sie etwa der Kollege Seelhofer in seinem Artikel zusammenträgt) ist nur begrenzt ein Argument, denn sonst würde Helmut Schmidt die Gesundheit des Rauchens beweisen. Natürlich wäre es journalistisch ausgewogener gewesen, diese in dem Video zumindest einmal zu erwähnen (Lara Croft ist immerhin die zweitbekannteste Videospielfigur nach Mario und hat sogar einen Spielfilm mehr als er), aber sie sind nun einmal noch immer stark in der Minderheit und das auch, wenn man diejenigen, die primär auf männlichen Geschmack zugeschnitten sind, mitzählt.
Also, liebe Kritiker – diese Punkte sind recht verfehlt, aber keine Sorge, es gibt genug anderes, was man ihr vorwerfen kann. Und das folgt im zweiten Teil.
(Dirk M. Jürgens)
Udo
5. September 2013 @ 23:17
Ich hätte es schon wichtig gefunden, wenn sie wenigstens anerkannt hätte, dass es weibliche Helden gibt (auch wenn sie bereits ein Video mit dem Thema „positive weibliche Figuren“ angekündigt hat).
Eine Frage: Was genau soll an diesen Videos, wenn es wirklich 12 werden, fast 160.000 Dollar kosten (soviel hat sie ja bei Kickstarter bekommen)? Das raff ich irgendwie (noch) nicht.
Udo
5. September 2013 @ 23:19
Wollte noch folgendes schreiben und habe es vergessen: Eigentlich ist mir in meinem Artikel der kürzeste Absatz fast am wichtigsten, nämlich der über den Sexismus. 😉
Malcolm Max: Body Snatchers (Kapitel 1) von Peter Menningen & Ingo Römling | Weird Fiction
30. September 2013 @ 15:50
[…] mögen Nachwehen der Sarkeesian-Nummer sein, aber ich zog doch in Sachen Geschlechterdarstellung mehrmals die Augenbrauen hoch. Ziemlich […]