„Die Jagd“ oder Anfängerkurs im Welthass
„Die Jagd“ (2012) von Thomas Vinterberg
Es gibt Filme, die sind fast vollständig vorhersehbar und es schadet ihnen nicht. „Lilja 4-ever“, der seine schreckliche Alltäglichkeit offen ausstellt, indem er mit seinem Ende beginnt, ist ein solcher Film, „Die Jagd“ von Dogma-95-Mitbegründer Vinterberg ebenfalls.
Als der Erzieher Lucas die frühkindliche Pseudo-Verknalltheit der kleinen Klara zurückweist, erzählt sie trotzig, seinen Penis gesehen zu haben. Die überforderte Kindergartenleiterin holt einen inkompetenten Bekannten zu Hilfe, der Klara mit Suggestivfragen ein leises „Ja“ als Bestätigung dessen, was er zusammenfantasiert abringt und schon ist der Stein im Rollen. Lucas macht nichts falsch, vorher und nachher nicht, aber ihm wird keine Chance gelassen, wenn die selbsternannten billig und gerecht Denkenden glauben, mit einem Pädophilen das legitime Ziel aller dunklen Triebe gefunden zu haben.
Wenn wir sein Haus sehen, fragen wir uns schon, welches Fenster wohl später eingeworfen wird, wenn er seinen Hund ausführt, ahnen wir schon, dass dieser den Nachspann nicht erleben wird und man die Hauptfiguren als Hirschjäger inszeniert, wittern wir frühzeitig einen fingierten Jagdunfall. Nichts ist überraschend, fast alles ist vorhersehbar und das alles ist kein Makel der Erzählung, sondern führt uns nur vor Augen, wie real derartige Schreckensszenarien nun einmal leider sind.
Kindesmissbrauch gilt, sicher nicht zu unrecht, heutzutage als das schlimmste aller Verbrechen. Gefördert von der BILD und Alice Schwarzer (inzwischen ja ein Team) hat sich deshalb der Gedanke manifestiert, angesichts seiner Schrecklichkeit verblassten alle anderen Verbrechen und könnten daher ruhig begangen werden. So hat man sein gutes Gewissen, wenn man sich zügellos in Gewaltfantasien gegen den Täter oder scheinbaren Täter begibt. – Und wer kann angesichts des ultimativen Verbrechens noch auf rechtsstaatlichen Papierkram pochen? Das Gefühl der Schwarmintelligenz reicht doch vollkommen aus und vor allem ist es doch so erleichternd, auf jemanden herabblicken zu können und seine eigenen Triebe als Gerechtigkeitsempfinden zu verklären!
Gerade im Zusammenhang mit Vinterbergs eigenem „Das Fest“, in welchem es ja auch schon um Pädophilie ging, ist „Die Jagd“ eine lobenswerte Stellungnahme gegen dieses Denken. Real bewirken wird er natürlich nichts, weil ja jeder sagen wird, gegen die Verfolgung Unschuldiger sei er auch, sein gerechter Zorn gelte den, von der Boulevardpresse ja zweifelsfrei überführten wahren Tätern.
Die Regie ist gekonnt, die unheilvolle Stimmung drückend, Mads Mikkelsen ist, wie er ja in fast jeder seiner Rollen zeigt, ein perfekter Schmerzensmann, so dass er die Wirkung noch steigert und auch Annika Wedderkopp als Klara ist eine famose Kinderdarstellerin, die zudem auch tadellos deutsch synchronisiert wurde.
Ein großartiger Film, der wieder einmal zeigt, welche Qualitäten der skandinavische Autorenfilm zu erreichen vermag, aber natürlich wenig erbaulich, da er nun einmal eine furchtbar deprimierende Erinnerung daran ist, wie scheinheilig, hässlich und brutal die Welt doch zuweilen ist.
(Dirk M. Jürgens)