„Orphan – Das Waisenkind“ oder Zielerreichung trotz schlechten Starts
„Orphan – Das Waisenkind“
(2009) von Jaume Collet-Sera
Auch hier sei vorher meine eventuelle Voreingenommenheit offen gelegt: Von diversen Leuten, auf deren Meinung ich an sich etwas gebe, wurde der Film bejubelt und in den Himmel gelobt, leider spoilte man mir aber sowohl den (wirklich originellen und gelungenen) Twist, als auch das Ende. Ersteres weckte entsprechend meine Hoffnungen, letzteres verhinderte, dass er seine ganze Wirkung entfalten konnte. Ich meine aber, trotzdem auf meine Kosten gekommen zu sein.
Zur Handlung: Eine Ex-Säuferin, die schon zwei Kinder (eines taubstumm) hat, will unbedingt ein drittes, weshalb sie nach einer Fehlgeburt die hochintelligente, doch exzentrische neunjährige Esther aus einem Drive-Thru-Waisenhaus adoptiert, ohne sie ihren neuen Geschwistern auch nur mal vorzustellen. Esther ist aber blass, dunkelhaarig, katholisch, kultivierte Klassikfreundin wie sich später herausstellen wird, körperlich abnorm und kommt aus Europa, also die Verkörperung des Anderen und entsprechend böse.
Wir sind also im Subgenre des Kinderhorrors (also… Horror um Kinder, nicht für Kinder) und bekommen auch so ziemlich alle Klischees vorgesetzt. Etwa das, dass die Mutter die Tochter bald durchschaut, der Vater jedoch nicht, und alle Welt ihm und der kleinen Intrigantin glaubt. Dieser Teil wird leider höchst grob und unglaubwürdig abgehandelt und macht beide Elternfiguren zu idiotischen Unsympathen. So beginnt die Heldin ihre Adoptivtochter schon wie den Antichristen zu behandeln, bevor sie selbst echte Verdachtsmomente hat (so will sie sie etwa zum Psychiater schleifen, weil sie das Wort „ficken“ kennt), was sie, auch wenn sie ja letztlich recht hat, zu einer ziemlich miesen Mutter macht.
Der Vater hingegen steht blind auf Seite seiner neuen Tochter und ignoriert alle Hinweise. Da mögen sich die Leichen um sie herum stapeln, seine Frau herausfinden, dass sie in einer Anstalt für kriminelle Geisteskranke war und die Neunjährige in Mini-Kleid und Make-up versuchen, ihn zu verführen und er sieht keinen Grund zur Besorgnis.
Weitere Minuspunkte sammelt der Film dadurch, so billig und plump wie selten mit falschen Alarmen und sinnloser Spannungsmusik zu arbeiten um Gruselstimmung zu erzeugen, wenn noch gar nichts los ist. Der alte Spiegelschrank-Schreck wird auch gebracht.
Mit anderen Worten, etwa zwei Drittel des Films erschien er mir wie eine gigantische Enttäuschung und alle Leute, die ihn mir empfohlen hatten wie Opfer der Hypnosekröte. Dann kam der mir ja bereits verratene Twist, den ich hier natürlich den Teufel tun und offenbaren werde, der aber tatsächlich wirklich gut ist (wenn auch in seinen Konsequenzen höchst unglaubwürdig) und danach begann der lange Showdown.
Und der war auf einmal verflucht spannend.
Diese Besprechung dürfte seit ihrer autobiographischen Einleitung wesentlich subjektiver sein, als das, was ich sonst schreibe, darum will ich gar nicht erst versuchen, nun irgendwie objektiv zu erklären, warum ein Film, der mir bislang weder von den Figuren, noch von den Gruselszenen gefiel, auf einmal zu wirken begann. Aber es bleibt ein Fakt, dass ich, obwohl mir ja selbst der letzte Ausgang schon bekannt war (und mir weiterhin einige Unglaubwürdigkeiten auffielen), förmlich auf der Stuhlkante kauerte und ihn voller Spannung verfolgte. Als der anfangs so kritisch beäugte Film dann zu Ende war, fühlte ich mich nun doch zufrieden, gut unterhalten und mit einem angenehmen Gruselgefühl, welches ich nur noch selten verspüre. Insofern möchte ich ihn, trotz diverser Mängel und intellektueller Probleme dennoch als emotional gelungen weiterempfehlen, wenn ich für das Gelingen natürlich auch nicht garantieren mag.
(Dirk M. Jürgens)
heino
14. April 2013 @ 22:10
Ach Gott, den hatte ich schon fast vergessen. Hab den damals auf dem FFF gesehen und kann mich deinem Fazit nur anschließen, der Twist reißt den Streifen noch so eben aus der Bedeutungslosigkeit und das Ende ist klasse. Aber nichts, was man sich ins Regal stellen müßte.
Dirk M. Jürgens
15. April 2013 @ 11:46
Ah, dann bin ich doch beruhigt, dass ich offenbar nicht der einzige bin, der ihn nicht für das dollste seit Schnittbrot halte. Inzwischen höre ich mehr kritische Stimmen dazu, was doch beruhigt. 😉
heino
16. April 2013 @ 13:55
Oh keine Sorge, das Publikum war damals auch sehr gespalten. Und ohne das gute Ende wäre der bei mir ebenfalls durchgefallen:-)