„Blutschwestern – jung, magisch, tödlich“ oder Scheiß auf Drehbuch, wir haben Tussis!
„Blutschwestern – jung, magisch, tödlich“
(2012) von Kai Meyer-Ricks
Jahrelang schadete ich meinem Ansehen als Filmkenner, indem ich darauf beharrte, „Der Hexenclub“ von 1996 sei eigentlich ein ganz guter Film, obwohl es objektiv anders aussah. Irgendwann kam ich dann dahinter, dass ich lediglich wahnsinnig auf Fairuza Balk stehe und seitdem kann ich den Film ruhigen Gewissens als ihr Show Reel genießen, bei dem sonstige Inhalte ignoriert werden können und ich mich gar nicht zu einer Wertung durchringe.
Wenn also ein Fan Jasmin Lords diesen Versuch von Sat 1 an einem Hexenhorrorfilm aus unerfindlichen Gründen mag, so möge er früher als ich erkennen, dass Frauengeschmack und Filmqualität zwei paar Schuhe sind.
Dieser geistige Vetter der katastrophalen RTL-„Geisterjäger John Sinclair“-Serie spielt unter Medizinstudentinnen an einer Universität, die nicht einen einzigen Wissenschaftler aufweisen kann. Esther Schweins spielt Dr. Schwarz, eine Dozentin im Fach Naturheilkunde, die ihren Kurs gleich damit beginnt, einen Schamanenknochen zu präsentieren, mit dem man die Toten kontaktieren soll. Als unsere Heldin, die Studienanfängerin Milla protestiert, dass es Blödsinn sei und sie eh nichts auf Naturheilkunde gäbe, ist die Dozentin verschnupft und beide sehen wie Deppen aus: Was macht Milla in einem Kurs, den sie für Quatsch hält und was macht Dr. Schwarz an einer Universität?
Nächster akademischer Ausfall ist der Anatomiedozent, der sich in einen fanatischen Hassanfall steigert, weil ein Erstsemester einen Muskel nicht findet und Milla, als diese hilft (obwohl sie in einer anderen Szene nicht einmal die Größe des Herzens weiß) ewige Feindschaft bis in den Tod erklärt. Das Trio der Universitätskrise wird später von einem Historiker vollgemacht, der sich in jedem einzelnen Satz widerspricht: So hält er Hexerei für Aberglauben… und betet, dass das satanische Zauberbuch, von dem er gehört hat, nicht existiert. Denn auch, wenn er nicht an Magie glaubt, so hat er doch bei dem Dominikanermönch Hubert von Meyerinck (Obrist Teckel aus dem „Wirtshaus im Spessart“?) gelesen, es gäbe sie sehr wohl… und wem soll man in dieser Sache glauben, wenn nicht einem Hexenjäger aus dem Mittelalter?
In der Universitätsbibliothek (deren Besuch als gruselig inszeniert wird, weil die Macher des Films vermutlich Angst vor Büchern haben) findet unsere Heldin überraschend besagte Hexenbibel, die sie einfach mal so stiehlt (Motivationen haben die Figuren des Films generell keine) um dann mit ihren Kommilitoninnen einfach mal darin zu stöbern (Latein und Mittelhochdeutsch haben sie fließend genug drauf) und diverse Zauber auszuprobieren. Sind ja alles Medizinstudentinnen und stehen darum der Magie von Natur aus nah, nicht wahr? So inszenieren sie angeblich nur als Jux lange, aufwändige und Material benötigende Rituale, derweil sich böse CGI-Wolken über dem Haus sammeln. Ihr Verhältnis zur Hexerei, also genau das, was das Zentrum des Films ist (und wo besagter „Hexenclub“ zumindest klar war) wird nie näher ausgearbeitet oder erklärt. Innere Beweggründe kümmern den Film wie gesagt nicht und eine langsame Steigerung (etwa, dass sie sich zum Spaß erst nur einen Talisman basteln, nachdem der dann funktioniert was Größeres und so eskaliert die Sache nach und nach) ist ihm wohl zu anstrengend. Also legt er einfach einen Kippschalter um: Eben noch fährt Milla ihrer Dozentin ins Wort, um ihren Skeptizismus zu betonen, im nächsten Moment schreibt sie bei Kerzenlicht magische Formeln auf Ziegenhaut. Immerhin hat eine ihrer Freundin Brandnarben auf dem Bauch, die, wie sie völlig zusammenhangslos in ein Gespräch einwirft, von ihrem Vater stammen – mit diesem hingeworfenen Detail, welches wenig handlungsrelevant wird, außer das besagter Vater später offscreen durch Magie stirbt, meint man, dem Innenleben der Figuren genug Tribut gezollt zu haben. Die Konzentration des Drehbuchs auf seine Charaktere ist so schwach, dass sie nicht einmal innerhalb von Randauftritten oder einzelnen Szenen halbwegs kongruent wirken. Wenn etwa eine der Heldinnen aufsteht und erklärt, pinkeln zu müssen, geht die Szene so weiter, dass sie etwas trinkt. Wenn nicht einmal so etwas hinbekommen wird, wie soll man dann die Motivation einer Figur in einer kompletten Filmhandlung stemmen?
Das tut natürlich auch der Liebeshandlung, die man hereingequetscht hat, nicht gerade gut.
Gleich zu Anfang läuft Milla ein Hilfswissenschaftler namens Tim über den Weg, man versteht sich gut, dann hält sie es aus fragwürdigen Gründen für angebracht, ihm seine Schlüssel zu stehlen, damit sie in seine Arbeitsräume einbrechen kann. Als er sie daran hindern will (und ihren körperlichen Angriff abwehrt), lässt sie ihn einfach stehen.
Soweit, so arschlöcherig, aber okay. Doch dann sieht sie ihn mit einer hübschen Kurzhaarigen herummachen und ist bis ins Tiefste getroffen von dieser epochalen Gemeinheit. Ihre Freundinnen bestätigen ihr, dass Männer Schweine sind und man sofort einen Zauber gegen ihn wirken soll. Das tut man, alles klappt und die beiden kommen irgendwie zusammen… woraufhin er ihr enthüllt, dass er eh nur sie wollte und die Kurzhaarige sie nur eifersüchtig machen sollte. Ich fasse zusammen: Es ist gemein, sein Liebesleben nicht nach jemanden auszurichten, der einen beklaut und ignoriert, aber es ist voll in Ordnung und super romantisch, eine andere Frau zu instrumentalisieren und mit ihren Gefühlen zu spielen, um diesen Jemanden für sich zu gewinnen? Fragwürdig!
Aber wer fragt, ist hier sowieso fehl am Platz. Der könnte sonst auch nachhaken, wieso eine geschlossene Psychatrie wie ein Zoo geführt wird, in der fremde Besucher sedierte und fixierte Patienten einfach mal so unter vier Augen aufsuchen können. Oder wieso der Teufel für den Showdown seinen Feinden die Magie bereitstellt, ihn bekämpfen zu können. Oder wie es zu dem erstaunlichen Zufall kommen kann, dass sich hier ständig Szenen aus anderen Filmen 1:1 wiederholen. Nein… wer Fragen stellt, soll doch seine ekligen Bücher lesen gehen.
Schließlich geht es hier um scharfe Tussis und was interessiert deren Inneres, nicht wahr? Die haben doch ANDERE Werte! – Und genau auf diese werden sie auch reduziert.
Wenn sie sich ihre Laborkittel überziehen, muss das in Zeitlupe, im Laufen und wie auf dem Catwalk inszeniert werden, wenn sie vom Regen überrascht werden, führt das zu einer ekstatischen Wet-T-Shirt-Orgie, bei der sie lachen, tanzen und die Arme ausbreiten (da Regen in Deutschland ja so ein seltenes Ereignis ist, dass es Grund zum Feiern gibt) und untermalt wird das ganze mit wummernder Musik, wie sie wohl in den billigen Stripclubs läuft, in denen das Drehbuch dieses Films geschrieben wurde. Selten erlebt man einen Film, der so unangenehm Assoziationen zu Regenmänteln und schwitzigen Handflächen weckt, wie dieser hier. Wäre „Blutschwestern“ nicht schon inhaltlich ein Vollversager, diese absolut überflüssige, lächerliche, billige und unpassende Dauersexualisierung, die jeder Alltagsszene mit süffiger platter Pseudo-Erotik bombardiert würde allein schon ausreichen, jede eventuelle Qualität zu neutralisieren.
Doch da ist nichts, was neutralisiert werden könnte. Wir haben hier tatsächlich einen Film, an dem bis auf die kleinste Mikroebene hinab NICHTS gut ist (nun gut… in zwei Szenen taucht wie gesagt eine hübsche Kurzhaarige auf, aber wie oben gesagt, falle ich darauf nicht noch mal herein). Und vermutlich wird dieses Trauerspiel über seine Grenzen hinaus Schaden anrichten, da es wahrscheinlich wieder mal als Beleg genommen wird, dass fantastische Stoffe in Deutschland nicht funktionieren. Denn hey – was soll es für einen Unterschied machen, ob es gute oder schlechte Stoffe sind? Nein, nein. Das Problem ist nur die Fantastik. Also bitte gleich noch ein Rassismusdrama oder eine Integrationskomödie. Oder vielleicht sogar – hoho – was mit Schwulen. Die sind doch immer zum Brüllen, nicht?
(Dirk M. Jürgens)
heino
31. Januar 2013 @ 12:40
Autsch, der hat gesessen:-)
„Der Hexenclub“ habe ich auch in eher unguter Erinnerung und Fairuza Balk war nie mein Fall (auch nicht in „Faculty“), aber dass Sat1 sich hier mal wieder kräftig verheben würde, hatte ich mir schon nach Lektüre der Inhaltsangabe in meiner TV-Zeitschrift gedacht. Vielleicht ist es sogar besser, wenn deutsche Privatsender sich nicht mehr an fantastischen Stoffen versuchen, die Ergebnisse sind ja eher beschämend. Wie das bei den ÖR aussieht, weiß ich nicht, aber da gäbe es mit „Transfer“ oder „Ion Tichy“ ja zumindest Kandidaten, die nicht nur US-Filme kopieren
Dirk M. Jürgens
31. Januar 2013 @ 13:03
Das in „Faculty“ war nicht die wundervolle Fairuza, sondern Clea DuVall, die aber durchaus in eine ähnliche Kategorie fällt. 😉
„Ijon Tichy“ mochte ich an sich schon, aber dennoch zeigte sich auch daran, wie gering Fantastik hierzulande geschätzt wurde. Was in der Vorlage Satire um einen eigenwilligen, teils narzisstischen, aber durchaus intelligenten Helden in einem chaotischen Universum war, wird hier auf Comedy herunter gebrochen, dessen Protagonist ein Depp mit Akzent (weil der Autor ja Pole war und die Polen sind ja so komische Figuren) ist. Wo etwa die Geschichte um den Wasserplaneten grimmiger Spott auf kommunistische Politik war, änderte man den Fokus für die darauf basierende Folge auf Toilettengänge. Man zeigt also – selbst mit dieser ganz charmanten Serie – dass man es bloß nicht für voll nehmen soll, da es ja „nur“ SF ist.
heino
1. Februar 2013 @ 11:00
Oh fuck, du hast recht. Ich hab den Film ewig nicht mehr gesehen und die beiden daher verwechselt. Wie peinlich:-(
Ich finde „Ion Tichy“ auch nicht gut (und auch aus den gleichen Gründen wie du), aber das war wenigstens mal ein Versuch, was neues zu wagen. Vermutlich müssen wir jetzt wieder 25 Jahre warten, bis sowas nochmal probiert wird.
Dirk M. Jürgens
1. Februar 2013 @ 15:50
Ja, das ist das Traurigste an der Sache.
Trotz allem, was man IT vorwerfen kann, war es zumindest mal der Versuch von etwas Frischem, Andersartigem. Die liebevollen Billig-Effekte fand ich höchst charmant und auch vieles vom Humor funktionierte für sich genommen.
Aber wenn man dann eben das Mehrwissen der Vorlage dazu hat (die las ich erst nachträglich), dann erschreckt einen einfach zu sehr, was der Unterschied über die Macher aussagt, als dass man es noch ungetrübt genießen könnte.
Ich habe ja noch immer die leise Hoffnung, auf ein modernes, düsteres „Raumpatrouille“-Reboot im Stil des neuen „Battlestar Galactica“. Aber ich gehe ehrlich gesagt davon aus, wenn sie es versuchen würden, würden sie es auch verbocken. Der entsetzliche Filmzusammenschnitt „Rücksturz ins Kino“ (hm, über den ich mich wohl auch mal länger auslassen sollte…) verhieß ja schon nichts gutes und dass eine so entspannt gleichberechtigte Geschlechterdarstellung wie damals heute noch ginge bezweifle ich auch.
heino
4. Februar 2013 @ 13:19
Ja, wohin die Reise bei IT gehen würde, konnte man direkt an dem „lustigen“ Akzent erkennen, der so von Lem mit Sicherheit nicht vorgesehen war. Schade, da hat das ZDF (mal wieder, man denke nur an „Conan“ oder diesen peinlichen Versuch einer Fantasyserie mit Bryan Brown in der 90ern) eine grosse Chance versemmelt.
Und an ein Reboot der Raumpatrouille glaube ich auch nicht. Das Geld (heutige Zuschauer könnten wohl eher nicht mit der Trash-Optik leben) haben die Sender wohl nicht und den Mut sowieso nicht.
„Wir sind die Nacht“ oder Fürchte die Kampflesben! | Weird Fiction
16. Juli 2013 @ 14:04
[…] ein deutscher Film ist, noch dazu ein deutscher fantastischer Film. Wenn wir bedenken, was uns da sonst so aufgetischt wird, ist er in diesem Umfeld ein einäugiger König. Diesbezüglich ist die deutsche Filmnation halt […]