Sebastian Fitzek: „Das Kind“
Sebastian Fitzek: „Das Kind“ (2008)
(Knaur) Psychothriller
Zu seinem „Augensammler“ merkte ich an, Fitzek könnte großartig schreiben, möge aber noch etwas an seinen Stories selbst feilen. Der vorher geschriebene und gerade verfilmte Roman „Das Kind“ unterstreicht diesen Schluss noch mehrfach, mindert aber auch meine Hoffnung in Bezug auf den Autoren.
Zur Handlung: Der Anwalt Robert Stern wird mit dem zehnjährigen todkranken Simon zusammengebracht, da dieser glaubt, die Reinkarnation eines Mörders zu sein. Schon bald kontaktiert ihn ein geheimnisvoller Unbekannter und bedroht ihn, sollte er das Rätsel um den Jungen nicht lösen. Zwischendrin wird mal ein Pädophiler gefoltert, da das ja etwas ist, womit das Mainstreampublikum kein Problem hat.
In dieser Kurzfassung wird nicht deutlich, wie erstaunlich und beschämend ähnlich dieser Roman und „Der Augensammler“ einander sind. Beide haben einen, bei einer Begegnung mit einer hysterischen Frau und ihres Babys traumatisierten Helden, der einem Kind zu helfen versucht, unschuldig unter Mordverdacht gerät und dessen Exfrau (und insbesondere ihr Nachwuchs) dabei bedroht wird. Beide sind zudem von Anfang an aus beruflichen Gründen der Polizei bekannt (der eine ist Journalist, der andere Anwalt) und es gibt jeweils ein übersinnliches Phänomen, welches am Ende unglaubwürdig psychologisch erklärt wird. Hat der Typ im „Augensammler“ sein Trauma auf einer Brücke bekommen, erlebt Stern seinen Showdown auf einer solchen – jeweils ist ein Baby involviert.
Der Schreibstil ist wieder einmal höchst gekonnt, Spannung kommt also durchaus auf und auch vorhersehbar ist die Handlung nicht (zwar wird wieder ein großer Unbekannter in einer frühen Szene zu auffällig eingeführt, um nicht verdächtig zu sein, aber da es hier mehrere große Unbekannte gibt, weiß man zumindest nicht, wer er ist), doch auch in dieser Hinsicht bekommt der, in seiner Danksagung wieder unsagbar sympathisch rüberkommende Fitzek einen Minuspunkt, da er einfach einen Trick wieder und wieder wiederholt: Ein Schurke richtet die Waffe auf unseren Helden und es folgt ein Satz wie „dann krachte ein Schuss“ oder gar „und die Kugel traf direkt ins Herz“… Kapitelende.
Im nächsten Kapitel erfahren wir dann, dass im ersten Fall ein Warnschuss abgegeben oder die Pistole nur eine Gaswaffe war und im zweiten Fall der Schurke selbst von einem Dritten erschossen wurde. Einmal geht so ein falscher Alarm in Ordnung, aber hier aus dem Gedächtnis weiß ich gleich jene zitierten drei Variationen dieses Tricks, und möchte nicht ausschließen, dass es noch mehr waren. Das ist dreist und albern und des eigentlich fähigen Schreibers nicht würdig.
Auch stilistisch problematisch sind durch die Bank fast alle Dialoge der Titelfigur, die einfach nicht wie ein echter Zehnjähriger klingen, sondern äußerst bemüht scheinen. Simples Beispiel: Wenn Simon von einem seiner angeblichen Morde berichtet, euphemisiert er ihn als „jemanden wehtun“. Das soll kindlich klingen, tut es aber nicht. In diesen Dingen sagen Kinder meist, wie etwas ist und seinen eigenen bevorstehenden Krebstod vermag er auch gefasst und sachlich zu durchdenken – wieso dann nicht diesen?
Apropos Krebstod: Dass die Krankenschwester und Freundin Sterns Simons entführt, weil sie hofft, die Bekanntschaft mit einem sterbenskranken Kind könnte diesem über den Tod seines eigenen Sohnes hinweghelfen ist ebenfalls bestenfalls fragwürdig und lässt die, als sympathisch gedachte Figur wie eine Vollidiotin erscheinen.
So erfreulich es ist, dass mal ein deutscher Thrillerautor verfilmt und ins Englische übersetzt wird – nach diesem Buch frage ich mich, ob Fitzek wirklich der richtige dafür war.
(Dirk M. Jürgens)