G. K. Chesterton: „Father Brown“ (Gesamtausgabe)
„Father Brown“ von G. K. Chesterton
Gesamtausgabe in fünf Bänden, (dt. Ausgabe/Haffmanns Verlag) Krimi
Der kurzgewachsene Priester Brown des britischen Autors Gilbert Keith Chesterton gehört zu den großen Detektiven der Literaturgeschichte, obwohl er unter diesen noch einen Sonderstatus einnimmt. Denn anders als Holmes, Poirot oder auch Lupin, der ja kein Detektiv, sondern Meisterdieb ist, ist Father Brown kein Teil der kriminalistischen Welt, sondern eben Priester. Als solcher kennt er die menschliche Seele und kommt immer wieder in Berührung mit den Abgründen derselben, hat dadurch aber gelernt, sie zu durchschauen. Diese hervorragende Gesamtausgabe in fünf Bänden, in welcher der Übersetzer Hanswilhelm Haefs mit lobenswerter Sorgfalt anmerkt, wie er versucht, Chestertons Stil zu bewahren und welche Wortspiele unmöglich erhalten bleiben konnten, bot mir Gelegenheit, mir endlich ein Gesamtbild jener Figur zu verschaffen, der ich schon vereinzelt in Anthologien begegnet war. Meine Beobachtungen will ich hier so ausführen, wie sie mir beim Lesen der einzelnen Erzählzyklen auffielen:
Band I: „Father Browns Einfalt“ (1911)
Ich mag die Figur des Father Brown (der definitiv nichts von der Selbstgerechtigkeit eines Heinz Rühmann hat, der hierzulande ja gern mit ihm verwechselt wird) ganz gern und auch der malerische, an Metaphern reiche Schreibstil ist ganz nett. Ja, einige der Fälle sind auch wirklich pfiffig, aber die Reihe leidet an zwei großen Problemen.
1) Die pfiffigen Fälle werden nicht pfiffig gelöst, sondern Brown fällt die Lösung einfach so zu. Er hört sonderbare Schritte? Sofort geht er los und spricht irgendjemanden darauf an, doch bitte das Diebesgut zurück zu legen, bevor jemand den Diebstahl bemerkt, da er nur aus dem Geräusch den Fall und die Hintergründe erschlossen hat. In einem späteren Band geht es soweit, dass er selbst einen Jahre zurück liegenden Fall, der ihm nur erzählt wird, lösen kann, weil die kleinen Indizien, aus denen er seine Schlüsse zieht (etwa, ob die Stile einiger gepflückter Blumen lang oder kurz waren) zufällig miterzählt werden. Das ist weder glaubwürdig noch befriedigend.
2) Wenig überraschend, aber doch unangenehm, ist es teils wirklich SEHR katholisch. So lassen sich die Verbrecher recht sauber in zwei Kategorien teilen: Irregeleitete, die auf den richtigen Weg zurück gebracht werden können und Atheisten. Oh, diese Atheisten! Ohne das einzig mögliche moralische Korrektiv eines Gottes sind sie allesamt zügellos, unglücklich und verzweifelt. Ein Atheist kann keine echte Freude empfinden, versucht darum, sich mit sündhaften Ausschweifungen zu trösten, wird von diesen aber stets in Wahnsinn, Verbrechen und meist Selbstmord getrieben. Diese fanatische Überzeugung steht dem sonst so warmen, menschlichen Ton der Geschichten ziemlich entgegen.
Band II: „Father Browns Weisheit“ (1914)
Im Laufe des Lesens verliert Problem Nr. 1 an Bedeutung. Nicht unbedingt, weil es weniger wird, sondern weil man sich daran gewöhnt und es als Eigenheit der Reihe hinnimmt. Zuweilen lassen sich die Lösungen zudem auch selbst erraten, was Browns Erkenntnisse etwas wahrscheinlicher wirken lässt. Man muss dazu aber leider anmerken, dass Chesterton seine Tricks zuweilen wiederholt; insbesondere hat er eine Vorliebe für Identitätsverwirrungen, bei denen zwei Personen in Wahrheit eine sind. Es bleibt aber dabei, dass er zwar raffinierte Fälle hat, aber in der Regel keine wirkliche Geschichte zu erzählen weiß – so bleibt auch völlig offen, wieso Brown bei den verschiedenen Verbrechen vor Ort ist. Was tut er in lauter fremden Häusern, Garderoben und Büros, warum spricht er irgendwelche Fremden an, nur, damit sie in seine Fälle gezogen werden? Ist vielleicht er in Wahrheit immer der Mörder, der Zeugen braucht, um seine Taten anderen zuzuschieben?
Unangenehmer ist aber, dass das ewige Atheisten-Bashing fortgeführt und auch auf andere Gruppen ausgeweitet wird. Die polytheistischen Religionen sind für Brown Teufelsanbeterei und Prothestanten in Wahrheit Agnostiker und als solche sind sie allesamt unmoralisch und labil. Diesmal kommt aber sogar noch Rassismus hinzu, wenn der Autor den Streit zweier Farbiger (die im Feuerschein wie Teufel aussehen) als das Geschrei von Menschenfressern bezeichnet und Brownes Kumpel Flambeau beim Anblick des vornehm gekleideten „Nigger-Ned“ verkündet, in solchen Momenten verstünde er, warum sie zuweilen gelyncht werden. Ja, für Snobismus haben Engländer kein Verständnis.
Band III: „Father Browns Ungläubigkeit“ (1926)
Im dritten Band verschlägt es Father Brown nach Amerika – ein Land voller Atheisten und Protestanten, in dem es folglich schlimm um geistige Dinge steht. Denn eines verbindet all diese Fehlgeleiteten: Anders als der kritisch denkende Katholik, glauben sie nur zu leicht an irgendwelche falschen Wunder, Flüche und Zaubertricks, weshalb fast jede Geschichte von einer solchen Täuschung handelt, die nur Brown durchschaut. Er bezeichnet sich nun übrigens entgegen üblicher Definition als Agnostiker, was bei ihm offenbar etwas anderes ist, als bei den Protestanten im zweiten Band.
Teils argumentiert er durchaus sinnvoll, wenn er zwischen unmöglichem, aber in sich schlüssigen und unwahrscheinlichem, weil widersprüchlichem unterscheidet, aber spätestens wenn eine atheistische Verschwörung (wie sie für die meisten südamerikanischen Bürgerkriege ursächlich sei) auftritt, die den guten Father diskreditieren will, nur weil ihnen missfällt, dass ein Priester soviel Gutes tut, vergisst man dieser Pluspunkte schnell. Zudem erreichen auch die Ausfälle gegen Andersdenkende neue Höhepunkte, wie etwa Browns Ausführungen über den Buddhismus belegen:
„Ich habe kaum je einen Verbrecher getroffen, der, wenn er denn überhaupt philosophierte, nicht nach diesen Grundsätzen von Orientalismus und Wiederkehr und Reinkarnation und Schicksalsrad und Schlange, die sich selbst in den Schwanz beißt, philosophiert hätte. Ich habe ausschließlich durch die Praxis herausgefunden, daß ein Fluch auf den Dienern jener Schlange liegt; auf ihrem Bauch sollen sie kriechen und Staub sollen sie fressen; und noch nie ward ein Schuft oder ein Lump geboren, der nicht in dieser Art Geistigkeit hätte schwatzen können. Vielleicht ist das in ihren wirklichen religiösen Ursprüngen anders; aber hier in unserer Welt der arbeitenden Menschen ist das die Religion von Schurken.“ („Der geflügelte Dolch“)
In einer anderen Geschichte („Der Fluch des goldenden Kreuzes“) erkennt er eine mittelalterliche Legende, in der ein Jude verbrannt wird als falsch, da jene doch „die einzigen waren, die im Mittelalter nicht verfolgt wurden.“ Denn schließlich war es aufgrund der jüdischen Privilegien so, dass „mancher arme Christ lebenden Leibes verbrannt werden konnte, weil er in Sachen Homousis einen Fehler machte, während ein reicher Jude die Straße hinabgehen und öffentlich Christus und die Mutter Gottes verhöhnen mochte.“ Dies macht er an der rechtlichen Sonderstellung vieler wohlhabender Juden in königlichem Dienst fest – dass dies längst nicht alle Juden waren, ignoriert er.
Nach wie vor ist es schade, wie viel dadurch kaputt gemacht wird, denn zwischen solchen Passagen des Wahns gibt es auch immer wieder recht kluge Bemerkungen und amüsante Spitzfindigkeiten. Die Fälle selbst bleiben auch abwechslungsreich und einmal hält Brown eine sympathische, flammende Rede über die Doppelmoral von Selbst- und Lynchjustiz, der man nur zustimmen kann – und sich wünscht, er hätte sie einen Band vorher auch Flambeau gehalten, als den ein zu vornehm gekleideter Schwarzer so sehr störte.
Band IV: „Father Browns Geheimnis“ (1927)
Bei einem Besuch auf Flambeaus Landsitz in Frankreich erklärt Father Brown erstmals seine Methode: Tatsächlich als wohl erster Profiler, versetzt er sich in die Lage des Verbrechers. Katholisch wie er ist, sieht er das natürlich nicht als Gabe, sondern Zeichen, wie sündhaft er doch selbst sein muss, dass er dazu in der Lage ist.
Wirklich befriedigend ist diese Erklärung jedoch nicht, da Chesterton so tut, als liefe der menschliche Geist auf klaren, rationalen Schienen, ohne die Launen, individuellen Charakterzüge und Zufälle, die unser Handeln beeinflussen zu berücksichtigen. Wenn Brown von jemanden gehört hat, er sei „ehrenhaft“, dann kann er, ohne ihm je begegnet zu sein, sagen, wie er sich in einer geschilderten Affäre verhalten hat. So läuft Profiling definitiv nicht.
Ansonsten ist der Band aber einer der harmloseren, der größtenteils auf Angriffe auf Andersdenkende verzichtet. Nun gut, in „Die Klage des Marquis von Marne“ wird uns mal wieder vorgeführt, dass nur Katholiken echtes christliches Verzeihen beherrschen und der orientalische Prophet in „Der rote Mond von Meru“ ist natürlich ein Heuchler und Schwindler, aber der gute Father verzeiht zumindest letzterem, da er seine Spiritualität anerkennt und er als Inder ja Nachsicht verdient. Tatsächlich ein Plädoyer gegen Rassismus, aber doch ein sehr selbstgerechtes.
Apropos: Weil es von einer völlig neutral geschilderten Nebenfigur heißt, sie habe ein „semitisches Profil“, meint Übersetzer und Kommentator Hanswilhelm Haefs einen Hinweis auf einen leichten Antisemitismus des sonst so „toleranten Chesterton“ zu sehen. Irgendwie vermisste ich eine derartige Anmerkung in den letzten Bänden.
Band V: „Father Browns Skandale“ (1935)
Zum Abschluss der Reihe scheint Chesterton altersmilde geworden, aber nachdem Atheismus, der Orient, Dunkelhäutigkeit und das Judentum behandelt wurden, wird nun in der Geschichte „Der Schnelle“ auch der Islam kurz gestreift.
Doch gilt der Zorn des Autors eher einem fanatischen Protestanten, während der Muslim durchaus als Gentleman dargestellt wird, der sich würdevoll verhält und nicht provozieren lässt. Lediglich als der Prophet beleidigt wird, greift er sofort zum Dolch, nimmt dann aber nach Misslingen seines Mordversuchs auch eine Entschuldigung an und schließt Frieden. Antimuslimisch ist das wohl nicht, aber es erstaunt doch, wie wenig verwerflich der generelle Mordversuch an einem Frevler geschildert wird. Es drängt sich der Verdacht auf, dass ein zumindest gläubiger Fanatiker einen Rest Sympathie Chestertons hat.
Problematischer in der gleichen Geschichte ist jedoch die Zeichnung des Opfers. Der exzentrische Mr. Raggley „hatte gleichermaßen mit den Tory-Landbesitzern wie mit den Landräten der Radikalen gestritten; er haßte Juden“. Weil er aber dem wütenden Muselmanen seinen Anschlag verzeiht und unerbittlich zu seinen Ansichten steht, zählt er, laut Father Brown zu dem „vielleicht einem halben Dutzend Männern, die England hätten retten können“ – Antisemitismus scheint da eher eine harmlose Schrulle, wie Raggleys altertümlicher Zylinder zu sein. Dass der Zyklus erstmals 1935 erschienen ist, mildert den unschönen Beigeschmack der Stelle auch nicht gerade.
Seiner Zeit geschuldet ist dann wohl auch, dass sich „Das Verbrechen des Kommunisten“ titelgebender Denkrichtung widmet, die Brown natürlich ablehnt. Positiv anzumerken ist allerdings, dass der Titel der äußerst gelungenen Geschichte eine Irreführung ist und der Mord aus durchweg kapitalistischen Motiven verübt wurde.
Loben möchte ich auch speziell die Erzählung „Der Fluch des Buches“, welche im Grunde die Pointe von Robert Anton Wilsons famosem „Die Masken der Illuminaten“ vorweg nimmt.
So bleibt am Ende also ein ambivalentes Bild mit viel Licht und viel Schatten. Die Ideologischen Probleme, die Brown aufwirft lassen sich weder von der Schönheit des Schreibstils, noch von der nachsichtigen Verschmitztheit der Hauptfigur überdecken, vermögen aber dennoch nicht das Lesevergnügen vollständig zu verderben.
Wie ich hörte, wurde Chesterton zu Lebzeiten häufig angefeindet, weil er im protestantischen England zum Katholizismus konvertierte. Nun, nach der Lektüre seines Hauptwerks kommt mir der Verdacht, diese Angriffe könnten nicht ganz zu unprovoziert geschehen sein, wie unter Chestertons Anhängern allgemein angenommen. Denn wer mit der Äußerung solcher Ansichten erstaunt ist, anzuecken, der läuft auch mit einem „White Pride“-Shirt durch Harlem und behauptet anschließend, dort wegen seiner Hautfarbe diskriminiert zu werden.
(Dirk M. Jürgens)
comicfreak
9. August 2012 @ 12:01
..ich hab mich mit Pater Brown auch wohler gefühlt, als ich noch katholischer Firmling war.
Jetzt gehen allenfalls die Hörspiele, die Aldi gelegentlich anbietet.
„Mord mit Aussicht: Die Venus von Hengasch“ | Weird Fiction
28. August 2012 @ 23:31
[…] in dem sie zu ermitteln hatte bereits bekannt war und zwar aus „Der Hammer Gottes“, einer von G. K. Chestertons „Father Brown“-Geschichten, die auch Pate stand für den Anfang des Heinz-Rühmann-Films „Das schwarze […]
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19. Dezember 2012 @ 19:36
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