Ingo Niermann & Alexander Wallasch: „Deutscher Sohn“ (2010)
Ingo Niermann & Alexander Wallasch: „Deutscher Sohn“ (2010)
(Blumenbar) Gegenwartsroman/Skandalnudelei
Afghanistan-Veteran Harald „Toni“ Heinemann sitzt kriegsversehrt daheim und seine Beinwunde eitert vor sich hin, während er säuft, raucht und Pornos guckt. Ab und zu kommen Frauen vorbei, die Sex mit ihm wollen und bekommen (er kann ruhig im Gespräch mit ihnen einschlafen oder den Fernseher einschalten, ohne dass es ihr Verlangen mindert), bis er schließlich von einer „deutschreligiösen“ Sekte zum Erlöser erkoren wird.
Voll provokant, nicht wahr? IRRE provokant, was? Leider nein – Plattheit und Bemühtheit herrscht vor. Passend dazu treibt es unser unerklärlich attraktiver Held längere Zeit mit Helen, der Heldin aus Charlotte Roches (ebenfalls äußerst bemühtem) „Feuchtgebiete“, wobei sich die Autoren aber nicht in die dortigen Ekel-Tiefen vorwagen, sondern abgesehen von einigen pflichtschuldigen Ausführungen zur Kriegsverletzung im unüberraschenden Reich des Pornos bleiben. Der Krieg selbst ist vollkommen egal, die Deutschreligiösen sind zwar seltsam, aber keine wirklichen Nazis, zudem werden sie wie der Rest der Welt eher lächerlich dargestellt, denn verherrlicht. Die Provokation ist also ziemlich harmlos und das Hauptärgernis ist nicht sie selbst, sondern ihr mangelndes Gelingen.
Dass jede Frau unseren Helden will und sich auch schon darüber freut, wenn er ihr bloß auf den Hintern starrt (sein Hauptangriffsziel; Brüste sind nicht so sein Ding) mag vielleicht von einem feministischen Standpunkt aus ärgerlich sein, ist aber viel zu lächerlich durchgezogen, als dass man es allzu ernst nehmen könnte. Nebenbei begrabscht Toni auch seinen männlichen (äthiopischen) Pfleger, obwohl sonst jeder Hinweis auf Bisexualität fehlt. Aber wer weiß, wen es vielleicht stört, so dass die Autoren sich provokant fühlen können. Überdeutliches Sammeln von Skandalthemen und Körperlichkeiten allenorts, aber ohne wirkliche subversive Bissigkeit, da ja eh alles ironisch und hässlich ist.
Dass unser Held schließlich in einer nicht genau erklärten Vision bei einer „Parsifal“-Inszenierung geheilt wird, könnte einen Anerkennungspunkt geben, würde nicht so überdeutlich im Roman selbst aufgeschlüsselt werden, dass Toni mit seiner schwärenden Beinverletzung eine Amfortas-Figur ist. Lässt sich was daraus machen, dass dessen Wunde eine Art Kastration darstellte, während die hiesige gerade zum Sex-Protz werden lässt? Ich weiß es nicht. Doch ehrlich gesagt ist der Roman, so flott und leicht er sich auch liest, mir auch nicht allzu viel Mühe des Nachdenkens wert.
Schade! Ich hatte zuvor Niemans, in Zusammenarbeit mit dem von mir hoch geschätzten Christian Kracht geschriebenen „Metan“ gelesen und entsprechend hohe Erwartungen. Doch wo dieser straight faced Ungeheuerlichkeiten sagt, und damit (wie auch mit seiner Kürze von nur 88 Seiten plus jeder Menge Reisefotos) wirklich provozieren mag, wird es hier einfach zu stark versucht.
Ein künftiges Kultbuch für Nazis, wie vereinzelt befürchtet wurde? Kann sein, da diesen die vorhandene Ironie sicher leicht entgehen wird. Aber warum auch nicht? Sollen sie sich daran erfreuen. Während sie sich durch die ca. 300 Seiten mühen sind sie wenigstens zu beschäftigt, um Asylantenheime anzuzünden, oder was sie sonst so treiben.
Mich zumindest hat es dazu gebracht, mal wieder „Parsifal“ aufzulegen, aber noch immer erscheint mir das sakrale Gesinge wesentlich langweiliger, als die urwüchsige Macht, die Wagner im „Rheingold“ oder „Lohengrin“ an den Tag legt.
Und ja, das war jetzt Bildungsbürgergeprolle.
(Dirk M. Jürgens)
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