„Thor“ und „Captain America: The First Avenger“
(2011) von Kenneth Branagh/Joe Johnston
Wie es sich für einen aufrechten Nerd gehört, bin ich natürlich höchst gespannt auf den gestern angelaufenen „Avengers”-Film, hatte vorher allerdings noch zwei Bildungslücken in meiner Vorbereitung zu schließen, die ich gestern zu einem vergnüglichen Double Feature verband. Jetzt bin ich natürlich noch heißer auf die „Avengers“, aber auch noch gespannter, da die beiden Filme doch höchst unterschiedlich waren und mir auch höchst unterschiedlich gefielen.
Um gleich das Ergebnis vorweg zu nehmen, ist es kaum erstaunlich, dass „Thor“ mein klarer Favorit ist: Ich bin nicht nur ein Fan der nordischen Mythologie, sondern seit seiner „Zauberflöte“ steht auch Kenneth Branagh bei mir auf dem Podest, während ich einen Superhelden in Nationalfarben immer als etwas suspekt empfinde – doch dazu später mehr.
„Thor“ glänzt vor allem durch seine Besetzung (Chris Hemsworth sieht einfach aus wie ein germanischer Gott, Tom Hiddleston ist ein toller schmieriger Loki und wer kann etwas gegen Anthony Hopkins als Odin haben?) und bombastische Schauwerte. Asgard ist ein überzogen prunkvoller Fantasy-SF-Mischlingsort, dessen Regenbogenbrücke optisch eindrucksvoll und gar nicht unpfiffig als eine Art Teleporter interpretiert wird, man trägt stolze Bärte und erschlägt grauhäutige Eisriesen in Massen. Storytechnisch gewinnt der Film mit Thors Lernprozess vom hitzköpfigen Krieger zum mitfühlenden Anführer sicher keine Originalitätspunkte, aber macht auch wenig falsch. Nun gut, es ist ärgerlich, dass Lokis wirklich gut durchdachte Pläne am klassischen Schurkenfehler scheitern, einen Feind (Heimdall) nicht zu töten und wenn man es recht bedenkt, ist Odin anfangs wirklich alles andere als weise: Da dringen Eisriesen also ins Allerheiligste Asgards ein und werden im letzten Moment, bevor sie eine magische Superwaffe bekommen, vom Götterroboter Destroyer vernichtet. Nun wäre ein kompletter Angriff auf deren Welt, wie Thor ihn vorschlägt sicher übertrieben, aber es wie Odin abzutun mit „Sie sind jetzt ja tot“ ist auch keine kluge Haltung für ein Staatsoberhaupt.
Man stelle ich vor, ein Team von Pakistanis stirbt beim Versucht, eine US-Atomrakete zu stehlen – darum sollte man Pakistan nicht gleich bombardieren, aber zumindest nachzuforschen wäre doch angebracht.
Es gab im Vorfeld einige Diskussionen, ob es ein peinliches Zugeständnis an die politische Korrektheit sei, Heimdall mit einem Schwarzen zu besetzen, aber nachdem ich da anfangs durchaus schwankte, kann ich das inzwischen sicher verneinen. Das ganze Asgard ist nicht archaisch-nordisch, sondern multikulturell-fantastisch gestaltet, so dass überhaupt nichts dagegen spricht (zudem bleibt er würdig und wird nicht etwa zu einem peinlichen Comedy-Mohren, wie ihn ja etwa „Percy Jackson“ aufbot.
Ich machte mir mehr Sorgen, ob der seiner Kräfte beraubte Thor der sich auf Erden mit Sterblichen herumtreibt, nicht ein etwas kleines Format für die göttlichen Dimensionen hatte, aber das war zum Glück nicht der Fall – er wirkt auch nur als besonders starker Mensch eindrucksvoll, und zudem wechselt die Handlung oft genug nach Asgard, so dass die nötige epische Größe erhalten bleibt. Ich war also voll zufrieden und die vielen kleinen Verweise auf die anderen Marvel-Charaktere (etwa der Kurzauftritt Hawkeyes, der dem Uneingeweihten als Fremdkörper erscheinen muss) waren auch schön.
Weniger zufrieden war ich wie gesagt, mit „Captain America“. Meine grundsätzlichen Vorbehalte gegen patriotische Helden merkte ich ja schon an, die Figur mag ich dennoch – schließlich steht der Captain nicht etwa für blinde Vaterlandsliebe und Treue zum Rechtsgebilde USA, sondern die ursprünglichen amerikanischen Werte, um die es im Moment ja relativ schlecht steht. Aber mein Problem mit dem Film war auch gar nicht der Patriotismus (der sich sowieso erstaunlich im Rahmen hielt), sondern der generelle Militarismus und etwas anderes: Unser Protagonist Steve Rogers, der zum Inbegriff von US-Heldentum wird, ist nämlich leider ein für sich und andere gefährlicher Psychotiker.
Er ist klein, asthmatisch und schwächlich und kennt nur ein Lebensziel, nämlich den Krieg. „Moment!“ werft ihr ein, geschätzte Leser, „Hier geht es um den Zweiten Weltkrieg, die Freiheit Europas und das Überleben von Millionen stehen auf dem Spiel!“. Das ist vollkommen richtig, aber das ist es nicht, worum es Rogers geht. Er hat nicht die körperlichen Voraussetzungen, seinem Land oder der Demokratie auf dem Schlachtfeld zu dienen, aber er könnte ihm durchaus an der Heimatfront oder Industrie helfen – doch das will er nicht. Denn nicht das Wohl der Welt, sondern sein Drang, sich zu beweisen ist es, der ihn antreibt. Eine Heldentat zählt nur, wenn er sie vollbringt, sonst kann sie ebenso gut unterlassen werden. Er fälscht mehrfach seine Papiere (begeht also Gesetzesverstöße), um sich immer wieder zu bewerben, er lässt eine Frau beim Date stehen, um mal wieder in ein Rekrutierungsbüro zu hetzen und auch sein Alltag ist von wirren martialischen Ideen überwuchert. So wird er regelmäßig verprügelt, weil er erklärt, dass man niemals davonlaufen oder einer Konfrontation ausweichen dürfe (auch, wenn man keine Chance habe). Beim einer Autofahrt mit seinem (natürlich uniformierten) love interest (das er natürlich erst kriegt, als er Kriegsheld ist – denn männliche Dominanz im Kampf und nicht innere Werte zählt) gibt er an, noch nie so lange mit einer Frau gesprochen zu haben. Die Schuld dafür schiebt er auf seine schwächliche Konstitution (in dem Fall wäre der Film also nur einfach sexistisch), aber angesichts erwähnten Verhaltens bei seiner Verabredung bleiben gewisse Zweifel bestehen, ob er seine amourösen Triebe nicht einfach zu sehr seinen Kriegerfantasien unterordnet und sich hier eine Schutzbehauptung vorlügt. Dass er Fondue für etwas sexuelles hält, lässt ihn auch nicht gerade gesünder und in der Realität verwurzelter erscheinen.
Als er dann endlich in Uniform steckt (und, um es mit Zuckmayer zu sagen, sieht, was er wert ist), testet man ihn, indem man auf dem Übungsplatz eine Handgranate hinwirft. Da man auf offenem Feld ist, fliehen alle aus dem gefährlichen Bereich, nur Rogers wirft sich darauf, wie es in einer anderen Situation (etwa im Schützengraben, wo man nicht ausweichen kann) durchaus heroisch wäre, hier scheint es aber mehr die Todessehnsucht des Fanatikers. Insofern ist es vielleicht ganz gut, dass man diesem pathologisch gestörten Charakter den Supersoldatenkörper gibt, der seinen Fantasien entspricht, denn im Privatleben gefangen wäre er vermutlich früher oder später mit einem Gewehr auf einen Glockenturm geklettert, um endlich seine letzte Schlacht zu bekommen.
Nun gut, dem Film scheint diese Störung zu entgehen und als Zeichen von Idealismus zu erscheinen, so dass es schließlich in den sauberen, ziemlich blutfreien Krieg geht, bei dem man sich zuzwinkert und ziemlichen Spaß hat. Hier treten nun auch die Karikaturen verschiedener Hautfarben und Nationalitäten im Hintergrund auf, aber tatsächlich erschien das nordische Asgard im Nachbarfilm multikultureller, als die Armee des amerikanischen Schmelztiegels.
Es war aber nun auch nicht alles schlecht: Hugo Weaving war ein toller Red Skull (auch, wenn man ihn viel zu spät erst im Maske sah – wir haben die 2000er, verdammt! Da will ich meine Schauwerte im Superheldenfilm früher haben), es gab auch hier wieder Querverweise zu den anderen Serien und man arbeitete sehr gut mit dem Kostüm des Captains. Denn anfangs tritt er nur als Schauspieler eines Propaganda-Serials zum Verkauf von Kriegsanleihen auf und trägt dabei das alte, schräge Kostüm mit Flügeln und spitz zulaufendem Schild. Wenn er sich aber in ihm an die Front schleicht und Heldentaten vollbringt (Befehlsketten sind unwichtig im Vergleich zu seinem Bedürfnis nach Heroismus), ersetzt er es teilweise durch richtige militärische Ausrüstung und bekommt anschließend die moderen Ultimates-Version davon, in der er dann seine Einsätze bestreitet.
Das ist wirklich eine sehr gute Idee, wie auch Flair und Stimmung der 40er schön inszeniert wird. Ein paar hübsche Actionszenen und Effekte gibt es auch, doch nichts auffälliges. Ich würde ihn nicht wirklich als schlecht bezeichnen, doch abgesehen davon, dass ich mich mit seiner Hauptfigur schlecht identifizieren konnte und der Film streckenweise einfach zu lang war, bleibt für mich einfach das ideologische Problem.
„Captain America“ propagiert archaischen Kriegerethos, nach dem ein Mann nur dann ein richtiger Mann und sein Leben nur dann lebenswert ist, wenn er es auf dem Schlachtfeld einsetzt. Ein Hollywoodfilm, der 2011 solche Werte vertritt macht sich damit verdächtig, ein Erfüllungsgehilfe seiner Regierung zu sein, der helfen will, die Armen und Ungebildeten mit falschen Versprechungen in zweifelhafte Kriege zu locken für die das Menschenmaterial gerade knapp wird. Plötzlich stört mich da die platte Satire in „Iron Sky“ gar nicht mehr sooo sehr: Denn wenn dumme Filme der einen Seite gedreht werden, um ihre Botschaft unsubtil zu propagieren, muss vielleicht auch die Gegenseite ebenso dumm werden, um die gleiche Zielgruppe zu erreichen. So traurig das Ergebnis dann auch sein mag.
Wie dem auch sei, staune ich im direkten Vergleich also darüber, dass ein nordischer Gott im Marveluniversum moderner und humanistischer erscheint, als ein Amerikaner, der so amerikanische ist, dass er zum Gott wird und freue ich mich jetzt noch mehr auf die „Avengers“, in der Hoffnung, dass er mehr nach ersterem denn letzterem gerät.
(Dirk M. Jürgens)