Theater: „A Clockwork Orange“ (Burgess/Bauer, Rendsburg 2012)
Einen Sinn als Rezension für künftige Interessenten ergibt es nicht, wenn ich meine Eindrücke einer inzwischen abgesetzten Inszenierung hier festhalte, aber ich schreibe mir meinen Frust auf die Verirrungen jener Katastrophe, die das moderne Theater ist, gern von der Seele. Und wenn ich jemanden, der per Google vorbei schaut, gegen die Verantwortlichen einnehme, ist das ein zusätzlicher Bonus.
Im Stadttheater Rendsburg lief seit einiger Zeit eine neue Theaterfassung von „A Clockwork Orange“, die zwar Anthony Burgess als Autor angibt (übersetzt von Bruno Max), aber kaum etwas von dessen Text oder Inhalt beibehält, so dass ich sie dem, laut Programm neu „einrichtenden“ Regisseur Markus Bauer zuschreibe.
Die erste extreme und sinnfreie Abweichung fällt bereits in den ersten Sekunden auf, wenn ein Mädchen mit Reitgerte die Bühne betritt und sich als unsere Heldin vorstellt. – Ja, der physisch brutale, gern Verweise auf die Größe seiner Genitalien einstreuende Vergewaltiger Alex wird hier nicht etwa als Hosenrolle, sondern wirklich als weibliche Figur vorgeführt. Warum? Keine Ahnung. Wirkliche Geschlechterdiskurse, wie Fragen nach den Unterschieden von männlicher und weiblicher Gewalt vermeidet das Stück, so dass ich von einem reinen Gimmick ausgehe. Dass Sozialarbeiter/Familiencoach Deltoid sich an sie heran macht und sie an einer Stelle mit Droogie Georgie knutscht, sagt nicht wirklich was.
Stichwort Droogs – Alex führt eine weiterhin männliche Gang an (glaubwürdig – in solchen Kreisen ist Geschlechterdiskriminierung bekanntlich völlig unüblich) und erfreut sich darum nur am Zugucken der Schändungen. Vorsichtshalber streuen ihre Opfer noch schnell Verweise auf ihr Geschlecht ein („Was soll uns eine Frau schon tun?“ – „Wie können Sie als Frau so etwas tun?“), falls jemand die Neuerung nicht genug würdigt.
Das ist schon befremdlich genug, doch unabhängig von dieser erzwungen Änderung, scheitert das Stück einfach daran, dass es etwas vollkommen anderes erzählen will als seine Vorlage, mit deren Namen und Autor es sich schmückt. Ist Alex eigentlich das pure, triebhafte Böse, dem bewusst und energisch jede Erklärung und Entschuldigung verweigert wird um einen exemplarischen Fall über die theologische Frage des freien Willens vorzuführen, ist bei Autor Bauer die Sache klar: Die Leistungsgesellschaft ist schuld!
Alex’ Eltern sind reich und desinteressiert (der Vater läuft darum ständig in Golfkleidung herum und hantiert mit einem Schläger; man sollte wohl froh sein, dass man ihn nicht gleich als Schwein mit Zylinder und Zigarre darstellte) und erklären ihrer Tochter ständig grob und unsubtil, dass nur ihre schulischen Leistungen zählen, weil sich nur daraus ihr gesellschaftlicher Wert ergäbe. Durchaus reale Probleme, die man da anspricht – nur eben nicht die, von denen die Geschichte handelt und in einer Plumpheit und Direktheit ausgedrückt, die kaum elaborierter ist, als ihre kurze Zusammenfassung hier.
Nun ist es durchaus üblich und zulässig, alte Stoffe unter neuen Aspekten zu bearbeiten, aber selten sah man halt einen Fall, bei dem die Inszenierung so DERARTIG an allem vorbei ging, worum es eigentlich ging. Ich werfe nur einmal ein, dass in den ersten Regieanweisungen von Burgess’ eigener Bühnenfassung angegeben wird, es solle offen bleiben, auf welcher Seite des Eisernen Vorhangs es spiele (Dim könnte Dimitri heißen), da es nicht um soziologische, sondern allgemein menschliche Probleme gehe, die in jedem System bestünden – darum auch die englisch-russische Sprachmischung. Nun kann man eine ganze Menge an der Sowjetunion kritisieren, aber eine kapitalistische Leistungsgesellschaft, in der jeder frei von Sorge und materiellem Mangel im dekadenten Reichtum lebte, war sie definitiv nicht.
Thema komplett verfehlt, aber bringe ich auch mal was – halbwegs – positives: Aus der, durch den Geschlechterwechsel entstehenden Problematik „Wieso wird so eine untypische Kriminelle für ein Musterprojekt ausgewählt?“ rettet sich Bauer ganz gut, indem er Alex’ Eltern zu den Wissenschaftlern macht, welche die Ludovico-Methode entwickeln. Da hat er sich tatsächlich ganz passabel aus einem selbst gegrabenen Loch befreit.
Das nützt aber wenig, da er sonst überall dort scheitert, wo er etwas eigenes versucht. Keine Szene zeigt auch nur einen Anflug schreiberischen Talents, lieber erzählen die Figuren uns einfach, was da gerade passiert, anstatt dass man die überflüssige Mühe macht, es zu zeigen (wir sind ja schließlich nicht im Theater!). Psychologisierung und Charakterisierung gehen dabei ziemlich drauf. So ist der Mord an der Katzendame ein wichtiger Einschnitt nicht nur in die Handlung, sondern auch im Charakter Alex’ und in Buch wie Film glaubwürdig als Eskalation dargestellt. Hier hat man der Alten ein Gewehr gegeben und einer der Droogs, der gerade als Erzähler fungiert, erklärt „Alex entreißt ihr das Gewehr und erschießt sie damit.“ Punkt. Details, wie die Heldin die Grenze zur Mörderin überschreitet, kümmern nicht.
Immer wieder brechen sinnfrei einzelne Textbrocken der Vorlage durch, wenn etwa Deltoid das Gefängnis beschreibt und dabei die emphatischen Höllenvisionen des Pfarrers zitiert. Das ist einmal sinnlos, weil nur wenige mir bekannte Gefängnisse die ewigen Flammen der Verdammnis in ihren Zellen wüten lassen und zudem widersinnig, weil Deltoid Alex gerade davon abhalten will, mittels des Experiments vorzeitig entlassen zu werden. Zumindest in der Szene – später kommt er nicht mehr darauf zurück.
Wieder für einen Moment glaubte ich Potential aufflackern, als die Wissenschaftlereltern bei der – im Roman zentralen, hier nur alibihaft kurz erwähnten – Frage des freien Willens diesen generell anzweifeln, wie es ja in letzter Zeit immer wieder getan wird, aber auch das wird nicht weiter verfolgt. Die Vorführung der geläuterten Alex wird, wie es sich anbietet, direkt an das Publikum gerichtet, verfehlt aber ihre Wirkung, da die Läuterung nicht demonstriert wird. Das passt durchaus, da sie auch im Kommenden wenig wichtig ist.
Denn in Freiheit schieben Alex’ Eltern ihre Tochter, die sie ja bislang immer vereinnahmen wollten, in eine eigene Wohnung ab und verziehen sich, nur, damit diese (die Tochter, nicht die Wohnung) kurz darauf von ihren Droogs vergewaltigt werden kann. Das wäre auch vorher möglich gewesen, weil sie nur eine halb so große Frau ist, statt des dämonischen, auch körperlich dominanten Schlägers der Vorlage. Wie gesagt, die Ludovico-Methode ist hier eher unwichtig.
Noch unwichtiger schien dem Herrn Bauer anscheinend Beethoven, denn der findet gar nicht statt. Der Gesangsfetzen in der Milchbar ist diesmal Puccini und nach der Therapie kann Alex keine Musik welcher Art auch immer mehr hören, was natürlich nicht wirklich glaubhaft ist und einfach ein zu zentrales Problem der Methode darstellen würde.
Bauers Unverständnis der Vorlage kaut auch kurz die zweifache Begegnung mit dem Schriftsteller wieder, sie bleibt aber folgenlos und ihrer Bedeutung beraubt. Am Ende wird Alex mit teuren Klamotten überhäuft und gelobt, eine gute Konsumentin zu sein, wie wir alle. Denn ja, wir sind das wahre Clockwork Orange, die wir materielle Güter mögen und bei Facebook sind. So die platte und unpassende Holzhammerbotschaft, die man uns komplett ausformuliert, als hätte man die überdeutlichen Holzhammerszenen vorher noch nicht verstanden.
Dann ist es aber auch am Ende. Wo Kubrick in seinem Film das letzte Kapitel wegließ, die Botschaft durchaus variierte, aber ihrer Grundtendenz wahrte, spart man sich hier gleich ein gutes Drittel und allen Sinn, der darin steckte. Als Ersatz bekommen wir hohl heruntergeblubberte Floskeln.
Dieses Stück, oder gar Markus Bauer selbst ist das wahre Clockwork Orange, welches unreflektiert halbverdaute Phrasen und Textstellen erbricht, voller Stolz auf das Ergebnis deutet und es als relevant und aktuell behauptet.
Ein komplettes Versagen auf ganzer Linie, kunstästhetisch reizlos und intellektuell hohl.
(Dirk M. Jürgens)
Gregor
8. März 2012 @ 20:34
„Wieder für einen Moment glaubte ich Potential aufflackern, als die Wissenschaftlereltern bei der – im Roman zentralen, hier nur alibihaft kurz erwähnten – Frage des freien Willens diesen generell anzweifeln, wie es ja in letzter Zeit immer wieder getan wird, aber auch das wird nicht weiter verfolgt.“
Argh! Dabei wär das tatsächlich ein interessanter Punkt und eine sinnvolle Erweiterung der Fragen in der Vorlage.
Dirk M. Jürgens
8. März 2012 @ 23:48
So ist es! Ich dachte WIRKLICH, jetzt zeige sich doch noch eine Daseinsberechtigung dieser Bearbeitung, weil das nicht nur ein interessanter Komplex zu diesem Thema wäre, sondern natürlich auch eine perfekte Rechtfertigung der Wissenschaftler, die Alex umprogrammiren.
Aber nein: Alex‘ Vater äußert Skrupel, die Mutter verweist darauf, dass er doch gar nicht an den freien Willen glaubt, er winkt ab und das Thema wird fallen gelassen.