# 12 Stummfilme, Nerds und Zeitreisen
Nachdem Sebastian ja die Tradition der Weird Week wiederbelebte, wage ich mich erstmalig auch daran, da mein Konsum der letzten Woche es erlaubt, dass ich gleich aus drei unterschiedlichen Medien berichten kann.
Das Medium Film fiel mir durch die Stummfilmkomödie „Die Austernprinzessin“ von Ernst Lubitsch auf. Es hieß, sie sei nicht nur der übliche Slapstick der Zeit, was mir, der ich Chaplin trotz vereinzelter Glanzlichter nicht wirklich mehr schätze, als seinen gescheitelten Doppelgänger, doch entgegen kommt (allerdings kein Wort gegen den fantastischen Buster Keaton!). Und tatsächlich ist die Geschichte von dem Austernkönig, der seine völlig asoziale Tochter aristokratisch verheiraten will, dabei aber statt des angestrebten verarmten Prinzen dessen Mitbewohner erwischt, mit seinem Dialogwitz direkt als Vorläufer der Screwball Comedies zu sehen (was natürlich durch die Zwischentitel manchmal etwas anstrengend ist) und wie ich fand, auch heute noch ganz lustig. Statt durch Grobheiten zieht er seinen Witz meist aus Überzeichnungen und Übertreibungen, so zerreisst die wütende Tochter mehrmals die Zeitung ihres Vaters, worauf dieser ungerührt eine weitere aus der Tasche zieht, also mindestens fünf Stück dabei haben muss. Überhaupt ist der fette, phlegmatische Großkapitalist eine recht schräge Figur, wobei seine monströse Höhlenmenschenfratze aber durchaus furchteinflößend ist:
Dann beendete ich die vergnügliche Lektüre der Comicserie „Scott Pilgrim“, bekannt hauptsächlich durch die Verfilmung, an deren Flop ich wohl mitschuldig bin, da ich sie auch nicht gesehen habe (hey – ich wollte erst die Vorlage zuende lesen, ist das ein Verbrechen?). Wer die Handlung nicht kennt: Der videospielnerdige Slacker Scott lernt die mysteriöse Ramona kennen, da diese eine Hyperraumstraße durch seine Träume benutzt. Sie verlieben sich ineinander, doch leider haben Ramonas sieben böse Ex-Freunde eine Liga zur Behinderung ihres Liebeslebens gegründet, die erst besiegt werden muss. Das geschieht mit Martial Arts (die dort jeder beherrscht), dem aus der Brust gezogenen Schwert der Liebe und anderen Seltsamkeiten. Mag O’Malley auch nicht der beste Zeichner sein (ich kam immer wieder mit seinen Legionen von Nebenfiguren durcheinander, da diese meist so wenig auffälliges haben), sein Spiel mit dem Erzählen ist großartig! Ganz davon abgesehen, dass es tatsächlich vereinzelt auch emotional wirklich funktioniert, sind es vor allem die Videospielelemente, die „Scott Pilgrim“ aus der Masse hervorheben. Wer stirbt, zerplatzt in einem Regen von Münzen, wer eine Erkenntnis hat bekommt ein Level up (Mitgefühl + 2) und als ein Abend sehr schlecht verläuft, ist Scott froh, zumindest einen Speicherpunkt zu finden, falls er noch schlimmer wird. Ansonsten gibt es wenig Gesetze in der Welt der Serie: Weder hinterfragt irgendwer irgendwelche Surrealitäten, noch scheint es für irgendjemanden ein Problem zu sein, dass sich munter und vor Zeugen getötet wird. Es lässt sich kaum beschreiben, darum versuche ich es gar nicht weiter, sondern nehme mir vor, lieber demnächst mal die DVD zu besorgen.
Ein Spiel mit dem Erzählen betreibt auch der Roman, der soeben beendet den Abschluss dieser Weird Week bildet: „Die Landkarte der Zeit“ von Félix J. Palma ist ein zuhöchst unkonventioneller, im viktorianischen London angesiedelter Zeitreiseroman, der schon, bevor es überhaupt ans Zeitreisen geht, durch exzentrische Erzählform glänzt. So rechtfertigt sich der Autor ausführlich, warum er gerade an der Stelle beginnt, an der er beginnt (und schließt den Roman mit der Überlegung einer Figur, genau DAS wäre der beste Anfang, würde man diese Geschichte niederschreiben) und gibt immer wieder Hinweise auf Nebensächlichkeiten, die er leider nicht die Zeit hat, zu erzählen (obwohl sie spektakulär und erzählenswert wären). An einer Stelle überbrückt er eine Kutschenfahrt mit einer Rückblende, als diese um ist, bemerkt er, dass die Fahrt noch immer andauert, er sich also hätte mehr Zeit nehmen können.
Natürlich hat der Roman auch eine Handlung, bzw. drei: Der junge Andrew Harrington will sich umbringen, da die Liebe seines Lebens Jack the Ripper zum Opfer gefallen ist, doch stattdessen versucht er, es mit Hilfe H. G. Wells‘ ungeschehen zu machen. Claire Haggerty missfällt die Frauenrolle ihrer Zeit, weshalb sie sich mit Hilfe der Agentur für Zeitreisen Murray in das Jahr 2000 (in dem die entscheidende Schlacht zwischen Mensch und Maschine stattfindet) begibt und dort in den Helden Captain Shackleton verliebt. Inspektor Garrett bekommt es mit einem Mörder aus der Zukunft und dessen Strahlenwaffe zu tun.
Das Zentrum all dieser Geschichten ist Wells, er ist auch die einzige Figur im Roman, die einen ungefähren Überblick um all die verschiedenen Zeiten, parallelen Welten und zuletzt Illusionen und Täuschungen (denn nicht jede Zeit oder Welt ist wirklich, was sie scheint) behält, zählt man den Erzähler nicht mit. Allein schon das Spiel mit den Fiktionen Wells‘ (er trifft den Elefantenmenschen Merrick, bevor er Die Insel des Dr. Moreau schreibt) ist äußerst reizvoll, die vieldimensionalen Verwicklungen, in denen Briefe vom zukünftigen Ich geschrieben und Leben und Tod nachträglich mehrfach wechselt, wären es auch schon für sich. Zuletzt krönt Palma sein Werk noch mit ein paar hübschen Ausführungen über Kreativität und das Schreiben, was durch die Hauptfigur Wells gerechtfertigt ist und aus der Feder eines Mannes, der es in einem solchen Maße beherrscht, ein wahres Vergnügen. Die Lektüre dieses Romans wird daher also dringenstens empfohlen!