„Scarlet“ von Brian Michael Bendis & Alex Maleev
Dt. Ausgabe, Panini 2011.
Dt. Ausgabe, Panini 2011.
Diese neue, recht ungewöhnliche Serie handelt von Scarlet, einem jungen Mädchen (mit schicken, relativ kurzen, grellroten Haaren), dessen Freund von einem korrupten Polizisten erschossen wurde und das darum eine Revolution plant. Im deutschen Vorwort wird mutig der Vergleich mit “V wie Vendetta“ gewagt (vom Übersetzer, der “Flashmob” mit “Blitzpöbel” übersetzt und dem Werk nur bedingt angekreidet werden sollte) und in langen Monologen, bei denen die Heldin den Leser direkt ansieht (ein schönes Stilmittel allerdings) wird viel erklärt und gerechtfertigt und man gibt sich sehr politisch, aber… da ist bislang (fünf Hefte sind enthalten) verdammt wenig Substanz.
Ja, die Welt ist nicht gerade optimal und es sieht nicht aus, als wenn es demnächst besser wurde. Da stimmen wir überein. Und was ist das Problem der Welt? Polizisten, die Geld von Drogendealern nehmen und ihre Verbrechen Unschuldigen anhängen. Punkt.
Äh was?
Ja. Das ist es. Das ist das Feindbild, das ist das Problem der Gesellschaft. Nicht Politik und Wirtschaft, sondern korrupte Cops, vor allem in den niedrigen, uniformierten Rängen. Was hat Scarlet, die bald eine glühende Verehrerschar hat und mit Martin Luther King verglichen wird, als Alternative anzubieten? Bislang nichts. Sie killt drei Cops (welche korrupt sind, fliegt ihr zum Glück immer gleich zu) und fordert alle, inklusive des Lesers auf, mit für eine bessere Welt zu kämpfen. Das ist doch mal ein Konzept.
Ich bin zwiegespalten. Stilistisch ist der Comic sehr hübsch, die düsteren, recht realistischen Zeichnungen Alex Marleevs passen perfekt zum Inhalt, die Morde werden auch dreckig und hässlich dargestellt und nicht wie propagandaüblich geschönt, sondern teils sogar problematisiert. Scarlet betont auch immer wieder, dass es auch gute Polizisten gibt, man biedert sich also nicht vollständig einer tumben, linken Möchtegernpunkleserschaft an. Aber wie diese, gibt sich der Comic dennoch so tief gesellschaftskritisch und hat dabei nicht wirklich was zu sagen.
Ja, korrupte Polizisten sind eine üble Sache. Aber sie sind nicht DAS PROBLEM der Welt und unterliegen, anders als hier, wo sie praktisch die Lizenz zum Töten haben und bei friedlichen Demonstrationen auch mal Handgranaten in die Menge schmeissen (!), auch durchaus einer staatlichen Kontrolle. Einen richtigen Weg, eine Lösung weiß Scarlet auch nicht anzubieten, sieht aber einen vage gezielten Krieg als den ersten Schritt zur Besserung. Hier könnte man, wenn man wollte, eine Parallele zu Moores “V” ziehen, doch der Unterschied ist, dass es dort um Anarchie ging. V behauptete nie, eine bessere Welt zu schaffen und war auch nicht der Gute – wie Scarlet es offenbar sein soll – sondern wollte einfach mal etwas anderes ausprobieren. Und wenn er es am Ende erreicht und das Land in Chaos und Gewalt versinkt, so sollte der Leser schon merken, dass dies nicht unbedingt der richtige Weg sein muss.
Solche Zweifel spürt man hier wenig. Zwar hadert Scarlet damit, ob sie die richtige Anführerin ist, doch nie mit der Sache selbst. – Ach ja, auch die einzige weibliche Polizistin im Comic ist auch der einzige vorgeführte gute Cop und die Demonstranten werden von einer schwarzen Bürgerrechtlerin geführt… bei so radikalem Inhalt, bleibt man also zumindest beim Personal im sicheren Bereich der politischen Korrektheit. Ich kann nach fünf Ausgaben noch kein abschließendes Urteil abgeben. Ich bin zugegeben ratlos, werde wohl weiterlesen, aber ich weiß nicht, wohin es mich führen wird.
Bislang weiß ich nur, dass Bendis vermutlich vor einiger Zeit einen Strafzettel bekommen hat, den er für ungerechtfertigt empfand und nun tut, was jeder Autor in seiner Lage tun würde.
(Dirk M. Jürgens)