„Free Rainer – Dein Fernseher lügt“
„Free Rainer – Dein Fernseher lügt“ oder Selbstgerechtigkeit – Der Film
(2007) von Hans Weingartner
Fernsehproduzent Rainer (Moritz Bleibtreu) will nach einem Autounfall, der ihm einen Alptraum bescherte, in dem ein Studiopublikum darüber entscheiden sollte, ob er weiterleben darf, da er doch einzig und allein Schuld an ihrer Verblödung ist, sein Leben und das Programm ändern. Nachdem sein erster Versuch (eine trockene und von oben herab belehrende Sendung, in der unverpackt Fakten herunter geleiert werden) nicht ankommt, geht er in den Untergrund, um die Einschaltquoten zu manipulieren.
So nimmt er dem, was er als volksschädlich erkennt die Quote und schiebt sie zu intelligenten Sendungen, so dass bald alle Menschen klug sind und den ganzen Tag Reclams lesen.
Eine Folge der Disneyserie „Die Dinos“ hatte mal eine ähnliche Handlung, war aber satirisch überspitzt und mit deutlichem Augenzwinkern. „Free Rainer“ hingegen tritt mit religiösem Ernst und Scheuklappen tragendem Fanatismus auf.
Erstmal allgemein zum filmischen: Erzählerisch, wie in der Charakterzeichnung ist es eine Katastrophe. Eine gefühlte halbe Stunde kommt es vom Kurs seiner Medienerzählung ab und verstrickt sich vermeintlich lustigen Episoden ohne größere Handlungsbedeutung, jede seiner Figuren ist ein Pappkamerad mit einem klaren Zug, der sie gänzlich ausmacht (der Verschwörungsfreak, der Inder, der Jesustyp…), wobei sich die offizielle Frau des Films damit begnügen muss, weiblich zu sein und die Leute beim Sender allesamt böse, korrupte Schmierlappen sind, die von der Weltherrschaft träumen.
Wie die Leute für den Kreuzzug Rainers bekehrt werden, überspringt der Film einfach. Erst kauft Rainer sie vor dem Arbeitsamt ein (offenbar ohne irgendwelche Qualifikationsmerkmale zu haben – etwa sollte man sich eigentlich bei einer komplexen und illegalen Aktion nicht unbedingt auf einen Alkoholiker verlassen), dann, als ihm das Geld ausgeht, machen sie trotzdem weiter. Selbst einen offenbar psychotischen Wachmann (okay – im Universum des Films scheint NIEMAND auf Qualifikation seines Personals zu achten) kann man, als er sie stellt, schnell überzeugen, dass er die Seite wechseln sollte. Dass seine Wohnung mit Material über die Illuminaten gepflastert ist, schreckt unsere Verschwörer auch nicht ab. Es fehlte irgendwie noch ein Verweis auf die Weisen von Zion, wo doch jeder Aluhelmträger weiß, dass eigentlich diese die Medien kontrollieren.
Die Deppertheit der Deppentruppe führt dann auch zu einem besonders schlimmen Kopfpatsch-Moment: Der Alki Bernd ist im Suff mit dem Wagen in eine Bushaltestelle gerast und müsste mit 50.000 Euro freigekauft werden – genau die Summe ist alles, was Rainer noch für seine Aktion hat, weshalb er es verweigert. Menschlich zutiefst enttäuscht wenden sich alle von ihm ab, bis er einsieht, dass er Bernd doch nicht „hängen lassen“ und die Konsequenzen seines eigenen Handelns tragen lassen kann und gibt das Geld doch her, womit er mit der Frau belohnt wird. Das Objekt weiß eben, wann sein Besitz verdient wird.
Ich persönlich hätte die Stelle noch besser gefunden, wenn er keine Haltestelle, sondern ein sechsjähriges Mädchen auf dem Schulweg überfahren hätte und Rainer seine Loyalität nicht durch Geld beweist, sondern dadurch, dass er die Zeuge gewordene kleine Schwester mundtot macht, aber man kann nicht alles haben.
Wie also im deutschen Film üblich, ist man von einer vollständig auf den unhinterfragbaren Protagonisten konzentrierten Selbstgerechtigkeit erfüllt.
Damit sind wir aber auch schon bei dem Hauptproblem, welches „Free Rainer“ von einem ärgerlich dummen Film zu einem durchweg verwerflichen Film macht: Die selbstherrliche, eigenblinde Fanatikermoral.
Vielleicht war dieser Film Bleibtreus Qualifikation für die Rolle Andreas Baaders im nächsten Jahr, denn die Parallelen seiner Gruppe zur RAF sind überdeutlich, den Machern aber anscheinend nicht bewusst: Laut und empört leugnet Rainer, als er einen Quotenzähler (zwecks Analyse und späterer Manipulation) stiehlt, dass man hier etwas kriminelles tut. Man will schließlich nur das beste für die Gesellschaft, die eben noch nicht weiß, was das ist und darum zu ihrem Glück gezwungen werden muss. Dass sie das ganze Trash-TV einschaltet, also offenbar sehen will? Nur Schuld der Bonzen, die ihnen nichts anderes vorsetzen und sie so gezielt verdummen, um ihnen ihre Kriege und Korruptionen andrehen zu können. Dagegen Widerstand zu leisten ist moralisch richtig und geboten. – Ich wartete noch auf das „Natürlich kann geschossen werden.“
So manipulieren sie all die Zähler und führen die Geräte, deren Besitzer nun nicht länger ihre Meinung und ihren Geschmack darüber anzeigen können, sondern denen das Wort ihrer Gruppe in den Mund gezwungen wird auf einer Tafel als „Befreite Haushalte“ – befreit also, von der Last der selbstständigen Entscheidung, geborgen im Schoß einer Elite. Befreiung = Fremdbestimmung, Orwells Ministerien für Wahrheit und Liebe lassen grüßen und ich bin mir sicher, Kim Jong Il würde der Methode zustimmen, da er ja seinem Volk auf die Art sogar liebevoll die Wahlen erleichtert.
Am Ende (ja, ich spoilere) beginnt man ein neues Projekt, indem man in das Dorf Haßloch (gibt es wirklich) zieht, welches ganz im Zeichen der Marktforschung steht und das deutsche Kaufverhalten beobachtet wird. Hier infiltriert unser Team die Supermärkte (die ebenfalls mit Vergnügen Säufer, Bankräuber und Deutschunkundige einstellen), um die Statistiken zu verändern und Produkte, welche die Leute ihrer Meinung nach nicht besitzen sollten, aus dem Markt zu drängen.
Mit anderen Worten: „Free Rainer“ ist ein durchweg antidemokratischer Film!
Der „Aufklärer“ Rainer (als der ihn der aktuelle Wikipedia-Artikel bezeichnet) verbreitet Lügen (nichts anderes sind gefälschte Quoten) und nimmt den Leuten die Möglichkeit, ihren Willen durch ihr Einschaltverhalten zu äußern. Schließlich sind diese alle dumm, weshalb die Partei mit ihm als starkem, visionärem Führer, durch eigene Ambition legitimiert, ihre Sachen für sie entscheiden sollte.
In typisch extremistischer Eigenblindheit, schiebt Rainer seinem Gegenspieler vom Fernsehen ein Hitler-Zitat (welches lediglich um Verbreitungsstrategien, nicht um Inhalte geht) unter und bezeichnet ihn als Faschisten, damit der, dem Film hörige Zuschauer auch weiß, wer hier der Böse ist (sollte ihn dessen schmieriges Grabschergetue, mit dem er sich an Rainers Freundin heranmacht und seine Ausführungen, was er von den Zuschauern halte, nicht genug Hinweis gewesen sein), womit wir schon beim letzten Sargnagel des Films sind: Er ist dumm. Durch und durch dumm. Ihm fehlt offenbar die Fähigkeit des zusammenhängenden Denkens und er setzt diesen Mangel auch beim Zuschauer voraus, so dass er ihm lieber alles x-fach vorkaut und direkt in den Schlund speit, anstatt ihn selbst irgendetwas verstehen zu lassen.
Als unsere Helden am Ende nicht weiter manipulieren können, verkündet die Zeitung davon, dass die Welle Einschaltquoten für Qualitätsfernsehen weitergeht – diesen Twist, den man seit Mitte des Films ungefähr kommen sah, erklärt man uns noch mal extra ausdrücklich: „Mensch, das heißt, dass die Leute jetzt auch ohne uns die richtigen Sachen einschalten!“
Seine Überzeugung, die Leute seien dämlich und bedürften ständiger Begleitung, Erklärung und Vorformulierung, trägt der Film im Hinblick auf sein eigenes Publikum also konsequent Rechnung. Darum ignoriert er völlig, dass es auch so etwas wie einen hinterfragenden Zuschauer geben könnte, der nicht alles schluckt, was ihm Regisseur und Koautor Weingartner so vorsetzt. Wenn etwa die Charakterleerstelle „Frau“ des Film dadurch für den Feldzug motiviert wird, dass falsche Berichterstattung des Fernsehens über ihren Großvater diesen in den Selbstmord getrieben hat, möchte man anmerken, dass das jetzt aber kein Problem des Unterschichtenfernsehens im Speziellen, sondern von schlechtem Journalismus ist – aber die BILD mit ihrer langen Tradition solcher Geschichten, steht nicht auf Rainers Abschussliste.
Von Anfang an gespannt sein durfte man dann natürlich, wie das „gute Fernsehen“ aussehen würde, welches hier propagiert wird. Den Trash treffend darzustellen, gelingt ihm und ist auch kein weiteres Problem, aber was ist die Alternative, die Rainer den Untertanen befiehlt? Viel erfahren wir nicht – ein paar Dokumentationen (die unsere Helden auch noch nicht gesehen haben, also über ihre Qualität gar nichts wissen) und Fassbinder. Immer und immer wieder Fassbinder, der, wie einer aus der Gruppe den andren, die ihn nicht kennen, bestätigt, ein „ganz ganz toller Regisseur“ war. Ach ja, und „Die fetten Jahre sind vorbei“ darf auch laufen, der naive und dramaturgisch missratene Gegenkulturfilm von – oh Überraschung! – Hans Weingartner, also dem Macher von „Free Rainer“. Bescheidenheit ist eben was für das simple Volk, doch nichts für die führenden Köpfe. „Wickie und die starken Männer“ lässt man ihnen auch noch gnädig.
Ein Reflektieren darüber, was denn nun klug und was wichtig ist, fehlt dem Film. Hier mal was aus dem anerkannten Kanon, da mal was vom persönlichen Geschmack, abgerundet mit etwas Eigenlob. Selbst „normale“ Filmklassiker wie „Citizen Kane“ oder „Der dritte Mann“ tauchen nicht auf, da sie nicht den Nimbus wichtiger Hochkultur haben, den Weingartner, mangels eigener Denkfähigkeit wohl braucht, um etwas als anspruchsvoll zu erkennen.
Es loben jedoch alle Leute, dass das neue Fernsehen viel näher an der Wirklichkeit wäre, womit (neben einer seltsamen und uninspirierten Kunstauffassung – Picasso wäre danach Dreck, im Gegensatz zum naturalistischen röhrenden Hirsch, oder was?) unwahrscheinlich wird, dass man den hier vergötterten Fassbinder wirklich kennt. Man kann über seine Filme geteilter Meinung sein, aber die meisten davon sind ziemlich artifiziell.
Tja gut, nun nehmen wir also einfach mal als gegeben hin, dass durch die Manipulation einiger Weniger, Kultursendungen die höchsten Quoten bekommen. Was ist die Folge?
Richtig! – Nicht etwa hören die Leute auf fernzusehen, weil ihnen das Programm nicht mehr gefällt, sondern sie werden alle intellektuell und freuen sich darüber, dass nun endlich das läuft, was sie schon immer sehen wollten. Na gut, irgendwie hören sie dabei DOCH auf, fernzusehen, wie eine Montage von weggeworfenen Geräten und Lesern im Park zeigt, aber das ist wohl Folge davon, dass Fernsehen als Medium an sich ja bekanntlich etwas dummes ist und die – durch, äh, Fernsehen – wieder klug gewordenen Menschen es nicht mehr brauchen. Obwohl es jetzt kluge Inhalte zeigt, die ihnen gefallen müssten.
In einer Regierungskonferenz ist man entsetzt: Offen redet man darüber, dass man die Menschen doch schließlich dumm halten will und beklagt, dass seit des Quotenwandels die Unterhaltungselektronikindustrie schwere Einbrüche zu vermelden hat. Weil keiner mehr fernsieht? – Natürlich nicht, sondern weil keine Videospiele mehr gekauft werden.
Hä? Man sollte eigentlich annehmen, wenn das Fernsehen unattraktiv wird, würden Konkurrenzmedien Aufwind bekommen (so etwas wie das Internet gibt es im Film übrigens überhaupt nicht), aber nein. Das ist einfach so. Vermutlich, weil Weingartner in seiner visionären Weisheit weiß, dass Videospiele an sich dumm sind und dem, durch positive Indoktrination klüger gewordenen Menschen nichts mehr geben. Nimm das, „Portal“, deine Denkspielchen haben die Leute lang genug verdummt!
Dabei sitzt übrigens auch ein authentisch phlegmatisches Angela Merkel-Double und sagt sehr authentisch nichts. Hätte einen besseren Film verdient.
Ich habe ja gern mal Vorurteile gegen heimische Produktionen, aber hier war ich durchaus wohlwollend eingestellt: Auch ich hasse, das Mitgefühl abtrainierende Sendungen wie „Deutschland sucht den Superstar“ und oberflächliche Gleichmachershows mit Herrenmenschenanspruch wie „Germany’s Next Topmodel“ und auch ich misstraue dem Quotensystem und halte es im Grunde für eine Fiktion. Ich glaube nicht, dass es manipuliert wird, aber solange Leute wie ich, die nicht wollen, dass irgendwer ihren Konsum überwacht nicht erfasst sind (und das können sie eben nicht), KANN es einfach nicht wirklich repräsentativ sein – ganz davon abgesehen, dass es auch sonst eine ziemliche Linearprognose ist. Aber auch wenn er das Thema streift, richtet sich „Free Rainer“ bald auf etwas anderes, und zwar die Entmündigung des Volkes zu seinem eigenen Besten.
Anfangs hält Rainer die Quoten noch für gefälscht („Jetzt werden wir beweisen, dass niemand diesen Müll guckt!“) muss aber feststellen, dass dem nicht so ist. Er resigniert aber nicht und erkennt an, dass die Menschen für ihre Leben eben eine Entscheidung treffen, die ihm nicht gefällt, sondern beschließt, dass es dann eben nicht ihre Entscheidung ist, sondern die satanischer Fernsehbosse und Weltverschwörer, so dass er ohne Gewissensbisse dagegen angehen kann.
Während der Werbepause erlaubte ich mir mal, quer durchs Programm zu zappen und da war am Samstagabend (außer „Free Rainer“ selbst, versteht sich) erstaunlich wenig jeder volksgefährdenden Verblödung, vor welcher der Film warnt. Okay, „Die Alm“ lief, „Verstehen Sie Spaß?“ bringt sicher auch niemanden im Leben weiter und einen alten Western, sowie billigen Horrorfilm gab es auch. Ebenso aber eine Dokumentation über Odysseus , eine über die Germanen und eine Aufzeichnung des „Jedermann“. Keine schlechte Verteilung, möchte ich sagen.
Wenn Rainer im Film zappt, sieht er aber natürlich nur Pornos, Call in- und Prolltalkshows, weshalb er in trotziger Symbolpose den Fernseher aus dem Fenster wirft und damit den Applaus all derer erntet, die glauben, weil sie unfähig sind, im Programm zu selektieren, und sich nur durch Abschaffung des Gerätes daran hindern können, jeden Stuss zu sehen, würden sie sich nicht als willensschwach, sondern intellektuell zeigen.
Wir haben also eine Satire, der es nicht gelingt, an der Realität anzusetzen, die erzählerisch vollkommen versagt und eine totalitäre Ideologie propagiert, nach der eine medienfeudale Elite nur über alle bestimmen müsste und schon würde die Gesellschaft auf magische Weise ihr Glück finden. Qualitativ wie moralisch also auf unterstem Niveau und ironischerweise genau so manipulativ, verlogen, klischeehaft und dumm, wie das Problem, welches sie anzuprangern vorgibt.
Wenn es eine Krankheit gibt, ist „Free Rainer“ Teil davon und nicht die Medizin, wie er behauptet.
(Dirk M. Jürgens)