Ayn Rand: „Wer ist John Galt?“ („Atlas Shrugged“)
Ayn Rand: „Wer ist John Galt?“ („Atlas Shrugged“, 1957)
(Dt. Ausgabe/ Gewis) Philosophie/Science Fiction/Propaganda
Im Schweiße meines Angesichts habe ich heute endlich, endlich, endlich eins der unangenehmsten Leseerlebnisse meines Lebens beenden können:
„Wer ist John Galt?“ von Ayn Rand.
Man hört ja immer wieder Horrorgeschichten von diesem Buch, welches fast jeder abbricht, der sich an ihm versucht. – Und es ist wirklich so episch daneben, wie es heißt. Bevor wir zu den erheblichen ideologischen Problemen kommen, kurz die Handlung:
Dagny Taggart, die junge Betriebsleitende einer Eisenbahngesellschaft in naher Zukunft ist eine der letzen ehrlichen Kapitalistinnen in einer Welt, in der sich praktisch alle Leute einig sind, dass es falsch ist, Gewinn zu erzielen.
Mit den wenigen anderen Rechtgläubigen kämpft sie lange gegen die „Plünderer“, welche der satanischen Idee verfallen sind, dass mit Besitz auch Verantwortung käme, nicht jeder Mensch die gleichen Chancen habe und man den Schwächeren helfen müsse. Als sich das Blatt jedoch immer mehr gegen sie wendet (Europa und Asien sind schon untergegangen und auch Amerika hat schon fast alles verloren, weil die Plünderer allen Fortschritt und alle Produktivität vernichten) findet sie ein geheimes Tal, in der sich die letzten Millionäre unter der Führung des Kapitalismuspropheten, Supererfinder und Mary Sue John Galt versammelt haben und glücklich zusammen leben, da niemand etwas für jemanden tut, ohne sich dafür bezahlen zu lassen.
Ich bin Kapitalist (nun, so weit es mein bescheidenes Kapital zulässt), ich schätze das Individuum, lehne den Kommunismus als unrealistisch ab und glaube an die Selbstbestimmung des Menschen. Insofern kann ich der Autorin in einigen kleinen Nebenpunkten durchaus recht geben. – Doch was hilft das gegen den geballten Wahn, dieses 1250 Seiten Monsters?
Denn auch, wenn Ayn Rand ja noch immer Säulenheilige diverser amerikanischer Sozialdarwinisten ist, ist Argumentation leider ihre Sache nicht, weder in der Diskussion, noch in der Handlung. So vertritt sie die Haltung des absoluten Egoismus’ und lobt und feiert ihn unentwegt, traut sich aber nicht, Farbe zu bekennen und ihn so darzustellen, dass er missfallen könnte. Der gute Kapitalist Rearden etwa verweigert seinem notleidenden Bruder einen Job, weil ihm besser qualifizierte Bewerber mehr Nutzen bringen können. So weit, so konsequent, aber da entweder Rand selbst, oder der von ihr bedachte Leser wohl nicht umhin käme, hierbei ein ungutes Gefühl zu bekommen, zeichnet sie den Bruder einfach als winselnden, hinterhältigen, würdelosen und undankbaren Unsympathen. So verfährt sie mit allen „Plünderern“: Was sie sagen, kann sie nicht widerlegen, also begnügt sie sich damit, sie einfach als physisch unattraktive und schlechte Menschen darzustellen, während hingegen jeder Kapitalist nicht nur gut aussieht, sondern auch ein glänzendes Universalgenie ist.
In der Handlung scheitert zwar das System, welches an ein Gemeinwohl glaubt, aber nicht durch elementare Fehler, sondern einfach sinnlose Dämlichkeiten, wie sie selbst kommunistische Planwirtschaft nicht macht, wenn man etwa Kleinunternehmen Großaufträge zuteilt, die diese rein von ihren Mitteln nicht bewältigen können, oder Ungelernten Jobs für Fachleute gibt.
Was die Autorin mit vielen ihrer Waffen hortenden Anhänger verbinden dürfte, ist die immer wieder durchscheinende Paranoia, alles, was ihr nicht gefällt als Teil einer zusammenhängenden Weltverschwörung zu wittern. So hasst sie offenbar erbittert alle Relativisten, die an der Sicherheit unserer Wahrnehmung, der Existenz oder sonstigen Dogmen zweifeln und erklärt sie zur herrschenden Philosophie, durch welche das Eigentum abgeschafft und die Lüge des Allgemeinwohls durchgesetzt werden soll. Was natürlich Blödsinn ist, da diese Weltsichten auf Idealen und Überzeugungen fußen und darum eben gerade NICHT einem allgemeinem Gefühl von Unbestimmbarkeit entspringen.
Als einzigen staatlichen Organen billigt sie der Polizei (zum Schutz des Eigentums), der Justiz (zur Entscheidung bei Eigentumsfragen) und der Armee (zum Schutz des Eigentums gegen andere Länder) ein Existenzrecht zu. In den Schulen wird auf obiger philosophischer Grundlage die Lebenstüchtigkeit verlernt und der Mensch vom System verdorben, weshalb man seine Kinder um Gottes Willen von derartigem fern halten soll. Apropos Gottes Wille: Was ihre Tea Pary-Anhänger wohl großzügig übersehen ist ihre absolute Anti-Christlichkeit, die sich mit ihrem ständig religiös gefärbten Vokabular beißt und zudem angesichts dessen lächerlich wirkt, dass der Übermensch John Galt wie ein göttliches Wesen inszeniert wird, dessen Anwesenheit ausreicht, die Lebenslügen der Plünderer zu zerstören, weshalb diese seinem Blick nicht standhalten können und von diesem sogar in den Nervenzusammenbruch gestürzt werden können.
Dass die hässlichen, grundfalschen Menschen ohne Gewissensbisse oder auch nur Nachdenken getötet werden können, versteht sich natürlich von selbst, da Rand zwar Gewalt an sich ablehnt, aber zum Schutz des Eigentums freudig begrüßt – und die pure Existenz dieser Plünderer ist ja schon eine Bedrohung des lieben Geldes.
Ein weiteres Problem entsteht dadurch, dass sie zwar den Egoismus als einzige Moral sieht, aber dennoch das „falsche“ Gewinnstreben voll glühenden Hasses verurteilt.
Wieso, mag man sich fragen?
Sie versucht es immer so zu drehen, als würden die „Plünderer“ rein destruktiv sein, aber was immer sie tun, dient ja ihrem eigenen Vorteil und sollte damit rechtens sein.
Auch liegt sie gern mal schlicht und ergreifend sachlich falsch, wenn sie etwa Amerika als die einzige Nation lobt, deren Reichtum nicht durch Krieg und Sklaverei erlangt wurde (in diese Klammer wollte ich eigentlich eine sarkastische Bemerkung setzen, aber bei soviel Dummdreistheit fehlen mir einfach die Worte) oder den Mythos von Robin Hood als bösesten und verderblichsten der Menschheit verdammt. Was sie gegen den muntren Herren in Grün hat? Nun, da er den Reichen nimmt und den Armen gibt, behindert er die gerechte Verteilung, da er das, was erstere erwirtschaftet haben, unproduktiven Schmarotzern in den Schoß wirft. Was die produktive Tätigkeit von Kirche und Feudaladel im Mittelalter angeht, könnte sie also vielleicht etwas Nachhilfe gebrauchen. Schon dumm, wenn man die Schule so fürchtet.
Kein rechtsradikaler Wahnsinn wäre komplett ohne einen Hauch sexueller Verirrung zwischen all dem Pathos und unverstandenen Nietzsche und Rand macht da keine Ausnahme: Schon zu Schulzeiten war unsere Heldin viel besser als alle anderen Menschen, die ihr deshalb mit Skepsis begegneten. Ihrem perfekt kapitalistischen Boyfriend gegenüber äußert sie darum den Gedanken, vielleicht mal mit ihrer Leistung etwas nachzulassen, um beliebter zu werden. Seine Antwort? Eine schallende Maulschelle, die ihre Lippe platzen lässt und ihr Blut über die Gegend verspritzt, verbunden mit dem Gebot, so etwas nie wieder auch nur zu denken. Voller Liebe erkennt sie in diesem Moment, dass er der Mann fürs Leben für sie ist.
Wenn er ihr in ihrer Beziehung Schmuck schenkt, so stets mit dem Hinweis, das tue er nicht, um ihr eine Freude zu machen, sondern um sich an ihrem geschmückten Anblick zu erfreuen, was sie damit beantwortet, ihn unter anderen Umständen auch gar nicht anzunehmen.
Ideologisch und philosophisch ist es trotz einzelner interessanter Gedankenfetzen also eine ziemliche Katastrophe, doch wie sieht es literarisch aus? – Auch nicht besser.
Die schmale, lächerliche Handlung wird in langen, faden und eintönigen Monologen heruntergeleiert, nur unterbrochen, wenn Rand mit orgiastischer Begeisterung Maschinen beschreibt. Es gibt nur zwei Typen von Figuren (produktive Kapitalisten und destruktive Plünderer), diese reden, denken und handeln jeweils in ihrer Gruppe vollkommen gleich. Eigenheiten von Figuren gibt es nirgendwo und die ständigen Erläuterungen, wie gut bzw. böse der gerade Handelnde nun eigentlich ist, unterstützen das Lesevergnügen auch nicht gerade. Wiederholungen und Schwülstigkeit ziehen sich so ewig lang dahin, bis es zum gefürchteten Höhe- bzw. Tiefstpunkt kommt und John Galt im Radio einen flammenden Monolog hält. Siebzig Seiten lang.
Ja. Siebzig Seiten lang.
SIEBZIG GOTTVERDAMMTE SEITEN LANG, FÜHRT ER UNS LANG UND BREIT AUS, WAS SCHON BISHER JEDE ZWEITE FIGUR UNS IMMER UND IMMER WIEDER GEPREDIGT HAT.
Ich will offen sein: Ich habe nicht wirklich alles gelesen. Um meines Verstandes Willen habe ich übersprungen, was mir Wiederholung oder Maschinengelaber erschien und so, nehme ich an, bestimmt ein Viertel des Buches nur überflogen und dennoch mehr Wiederholungen gelesen, als sonst in einem einzelnen Werk.
Ich fasse zusammen: Seit Heinleins „Starship Troopers“ habe ich mir nicht mehr so exzessiv an den Kopf gefasst, doch wo jener Roman in seinem Irrwitz zumindest streckenweise komisch war, gleicht das Lesen hier eher dem müden Schlucken einer faden, ewiggleichen und erstickenden Masse von Schleim, so dass ich vom Versuch eher abraten würde.
1250 Seiten… meine Güte…
(Dirk M. Jürgens)
Robert A. Heinlein: “Die Reise in die Zukunft” | Weird Fiction
8. April 2013 @ 20:01
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