Stieg Larsson: „Vergebung“
„Vergebung“ von Stieg Larsson (2007)
(dt. Ausgabe/Heyne) Thriller
Es ist vollbracht! Ich habe nun auch den dritten und letzten vollständigen Roman Larssons hinter mich gebracht. Er war nicht ganz so unglaublich daneben, wie der zweite, folgt ihm aber in den meisten seiner Ungeheuerlichkeiten. Auf jeden Fall passt er komplett in das küchenpsychologische Bild, welches ich mir von dem Autor machte.
Man wies mich zwischenzeitlich darauf hin, dass Larsson wohl zeit seines Lebens Schuldgefühle hatte, da er mit 15 Zeuge einer Vergewaltigung wurde, aber das scheint mir keineswegs ein Gegenargument, sondern vielmehr ein Schlüssel dafür zu sein, wie es zu seiner Verkorksung kam.
Auch diesmal ist das Werk wieder in einzelne Teile segmentiert, die mit etwas fett gedrucktem Wissensgeprolle eingeleitet werden. Nach Kriminalstatistiken im ersten und Mathematik im zweiten Buch, ist es diesmal die Geschichte der Amazonen, die er uns mitteilen möchte. Abgesehen davon, dass eine Bewunderung dafür durchschimmert, dass auch Frauen das Verbrechen des Krieges verüben können und er ja offenbar gewalttätige Frauen sehr schätzt, hat es keinen näheren Bezug zum Rest des Romans.
Dass er von einem Amazonenvolk berichtet, dass nur eine Frau, die schon einen Mann getötet hatte, das Recht zum Beischlaf hatte, belegt jedenfalls, dass es ihm nicht um Selbstbestimmung und Gleichberechtigung geht, sondern es wirklich nur die Gewalttätigkeit ist, die ihn fasziniert.
Auf Grundlage dieser Fetische ist dann auch der Roman gestaltet: Mit der Polizistin Monica Figuerola bringt er eine neue Figur ein, welche hauptsächlich über die lange und begeisterte Beschreibung ihrer außergewöhnlichen Muskulatur definiert wird und – nachdem sie natürlich wie jede andere Frau auch, im Bett von Larssons Stellvertreterfigur Mikael Blomkvist gelandet ist – ihr Geflirte meist auf Grundlage dominanten Befehlstones oder direkter (scherzhafter) Gewaltandrohung hält. So weckt sie Mikael morgens durch einen Biss ins Ohr und ordert ihn, ihr den Rücken zu schrubben oder droht ihm im Falle des Rauchens an, die Zigarette in seinem Bauchnabel auszudrücken.
Man verstehe mich nicht falsch: Ich habe überhaupt kein Problem mit Sadomasochismus, aber ein gewaltige Problem damit, wenn jemand seine erotischen Gelüste zur Grundlage gesellschaftlichen und politischen Verhaltens macht. Hätte er keine masochistischen, sondern sadistische Gelüste gehabt, würden diejenigen, die ihn heute heilig sprechen wollen, ihn zudem am lautesten als Frauenfeind verdammen.
Doch zum Roman selbst: Da seine noch immer abgöttisch verehrte Lisbeth Salander, vom Kopfschuss im letzten Roman zumindest kurzzeitig gesundheitlich beeinträchtigt, die meiste Zeit im Krankenhaus oder Untersuchungsgefängnis verbringt, fällt vor allem auf, wie lahm und farblos der Rest seiner Welt ist. So besteht der größte Teil des Romans wohl aus Ermittlungstätigkeiten, bei denen seine Journalistenhelden Konferenzen abhalten und als große Sensation verkünden, dass X vor sieben Jahren bei Firma Y angestellt war, welche doch nur eine Briefkastenadresse für den Z-Geheimdienst war… Lauter Fakten, die der Leser schon weiß, da er X zuvor schon bei Z-Konferenzen über die Schulter schauen konnte, in welchen die (ebenso bekannten) Verhältnisse der Hauptfiguren referiert wurden.
Zudem – hier beziehe ich mich zumindest auf die deutsche Übersetzung – häufen sich zu Anfang erstaunliche Wortwiederholungen, wenn dem unzerstörbaren Naziübermensch aus „Verdammnis“ (ebenfalls die meiste Zeit absent) gleich dreimal der „Körperbau eines Panzers“ bescheinigt und Blomkvists Kollegin Erika Berger zweimal in Folge als „Fels in der Brandung“ der Millennium-Redaktion bezeichnet wird.
Dass die überlebensgroßen comichaften Helden- und Schurkenfiguren des Vorgängers wie gesagt meist abwesend sind, kompensiert man durch ausführliches Diskutieren über die selben und insbesondere das Lobpreisen der Salander: Im Grunde weiß Blomkvist, dass er sich keine Sorgen um sie machen muss, da sie ja praktisch alles kann und am Ende wird ihr direkt offen Übernatürlichkeit bescheinigt. Mary Sue, wie sie leibt und lebt!
Wie schon in den vorhergehenden Büchern könnte man vieles davon verzeihen oder mit Humor nehmen, wenn „Vergebung“ sich als locker-flockiger Groschenroman geben würde, doch er nimmt sich ernst und wird von seinen Anhängern praktisch als hochmoralische Lehrschrift gesehen. Denn schließlich sei Larsson ja entschiedener Gegner von Frauenfeindlichkeit und Rechtsradikalismus gewesen!
Dabei übersehen sie natürlich gern die ideologische Fragwürdigkeit, die sein Werk in meinen Augen in eine ebenso hässliche rechte, nur eben nicht ausländerfeindliche Ecke drängt: Noch immer praktiziert sein Roman die alte, von den Nazis geschätzte Tätertypenlehre, durch die ein korrupter Arzt, der dem Geheimdienst falsche Gutachten schreibt, natürlich auch noch pädophil sein muss und das Böse des Ex-Agenten Zalatschenko körperlich spürbar ist. Im Kampf gegen solche Untermenschen wäre es natürlich ein alberner Gedanke für die strahlenden Helden, sich um so etwas wie Rechtsstaatlichkeit zu scheren!
Immer wieder wird klar und energisch betont, dass Lisbeth natürlich das Recht hat, Selbstjustiz zu üben (oder, wie es Larsson formuliert, zu strafen) und mit großem Lauschangriff und Rasterfahndung das Privatleben von jedem zu durchkämmen, auf den ihr Interesse fällt.
Wichtigstes Kriterium bei der erwähnten Rasterfahndung ist natürlich das in jedem Fall männliche Geschlecht eines jeden Täters (auch, wenn es um Büromobbing geht), denn obwohl es im Zentrum um eine Geheimdienstverschwörung geht, ist der eigentliche Motor des Bösen natürlich Frauenfeindlichkeit: „In erster Linie handelte diese Story nämlich nicht von Spionen und staatlichen Geheimorganisationen, sondern von ganz gewöhnlicher Gewalt gegen Frauen.“ (Seite 773), lautet entsprechend das Fazit. Passend dazu gibt es in der ganzen Trilogie trotz einer gewaltigen Figuren- und insbesondere Schurkenriege und hoher Frauenquote, gerade mal eine einzige negative weibliche Figur (die am Rande des ersten Buches auftauchende Nazibraut, die, nebenbei bemerkt, auch schon zu alt ist, um mit Mikael zu schlafen). Das Böse ist eben männlich und ohne Grauschattierungen komplett – ein guter Mann hat also einiges gutzumachen und sich entsprechend demütig zu geben.
Denn diese Erbschuld, die man durch das Verbrechen, als Mann geboren zu sein mit sich trägt, räumt so den Frauen einige Rechte ein: Auch hier nimmt sich Lisbeth im Urlaub wieder ein männliches Sexspielzeug (diesmal einen deutschen Geschäftsmann), der sie jedoch mit seinen Schuldgefühlen, da er verheiratet ist, nervt. Schließlich schert es sie nicht, was er denkt und fühlt, er hat ein fügsames Objekt für ihre Begierden zu sein.
Ich fasse zusammen: Ein starker, fälschlich moralisch verstandener Masochismus in Verbindung mit plump überzeichneten Figuren, dazu eine unsympathische Ideologie von Herren- und Untermenschen in einem Buch, das durchaus politische Relevanz beansprucht.
Um ehrlich zu sein, ist mein Bedauern darüber, dass Larsson seinen literarischen Erfolg nicht mehr erlebte und ein vierter Band (in dem vermutlich Lisbeth Salander mit einem selbstgebauten Raumschiff die Erde vor einem penisförmigen Nazi-Asteroiden gerettet hätte) Fragment blieb, doch eher gering. Mein Erschrecken über seine Scharen von Anhängern, die ihn gerade als moralische Instanz loben, bleibt jedoch.
(Dirk M. Jürgens)