Stieg Larsson: „Verdammnis“
„Verdammnis“ von Stieg Larsson (2006)
(dt. Ausgabe/Heyne) Thriller
In meiner kleinen Bestsellerschau hatte ich ja bereits ein paar Worte zu „Verblendung“, dem ersten Teil der „Millennium“-Trilogie verloren und war nicht wirklich glücklich mit ihm geworden. Als ich mir die Fortsetzung „Verdammnis“ vornahm, war ich daher alles andere als unvoreingenommen, aber statt einfach nur mehr vom Gleichen zu bekommen, wollte ich dann meinen Augen nicht trauen, was dieses Buch dem Leser vorsetzt. Ich erlaube mir hier, ausgiebig zu SPOILERN, um das ganze Ausmaß des Elends schildern zu können.
Zuerst einmal weist der Roman die gleichen Probleme wie sein Vorgänger auf: Seine Heldin Lisbeth Salander ist eine göttergleiche Überfigur, die alles kann und alles darf, der männliche Protagonist Mikael bekommt jede Frau (diese sind auch alles sehr glücklich, ihn teilen zu dürfen… auch ihre eventuellen Männer sind stolz darauf) und die Gegenspieler sind restlos durch und durch mit jedem Molekül in jeder Sekunde ihres Lebens auf jede erdenkliche Art und Weise BÖSE. Nachdem in „Verblendung“ ja im Endeffekt die Nazis hinter allem steckten, ist es diesmal ein ehemaliger Agent Stalins, der inzwischen mit staatlicher Duldung Mädchenhandel betreibt und einen schmerzunempfindlichen, asexuellen blonden Riesen deutscher Abstammung als Handlanger hat. – Er wird nicht ausdrücklich als Nazi gekennzeichnet, hat aber eine Vergangenheit als Skinhead und seine Beschreibung als arischer Übermensch zielt doch auf recht eindeutige Assoziationen ab.
Es beginnt mit einer allein stehenden Episode von Lisbeth, die im Urlaub ist, sich dabei einem 16jährigen Jungen unter dem Vorwand nähert, ihm bei seinen Hausaufgaben zu helfen, dann mehrmals Sex mit dem Minderjährigen hat (wobei sie seine Bitte, das Licht dazu auszuschalten, natürlich ignoriert), schnell aufdeckt, dass ihr frauenhassender Hotelnachbar seine Gattin zu ermorden gedenkt, Selbstjustiz übt und dann wieder heimkehrt, ohne ihrem Boytoy auch nur ein Abschiedswort zu widmen. Dank der Geschlechterverteilung der Geschichte ist das natürlich alles vollkommen in Ordnung.
Die Ungleichbehandlung durchzieht das ganze Buch: So erfahren wir, dass Lisbeth früher geboxt hat, dabei jedoch ständig unter die Gürtellinie schlug, dazu trat und ihre Partner meist ernsthaft verletzte. All das sind Zeichen dafür, was für eine willensstarke, energische und leidenschaftliche Person sie doch ist. Einer der Verbrecher, denen sie auf die Spur kommt hat ebenfalls geboxt – doch er hatte keine lange Karriere, weil dieser viehische Unmensch seine Sparringpartner durch seine harten Schläge zu verletzen pflegte.
Die Handlung baut größtenteils auf Zufällen auf (so sieht Lisbeth anfangs zufällig, wie man in einem Café ihre Ermordung plant… beim Versuch ihrer Durchführung kommt dann ebenso zufällig Mikael vorbei) und wird mit mathematischem Fachwissen gewürzt, welches Larsson erlaubt, zwischen den einzelnen Büchern Formeln zu drucken, um zu zeigen, wie klug er ist; handlungsrelevant scheint es mir nicht (ich möchte nicht ausschließen, dass es für mathematikkundigere Leser irgendwie allegorisch erscheint, aber für den Normalleser bremst es doch ziemlich).
Denn eigentlich geht es nur darum, Lisbeth als die ultimative und unübertreffliche Mary Sue zu präsentieren: Eine, die ohne Schwierigkeiten zwei bewaffnete Rocker fertigmacht, jeden Computer des Universums zu hacken versteht, trotz ihrer angeblichen Störungen im Sozialverhalten problemlos andere Identitäten annehmen kann, auf dem Weg zum Showdown nebenher noch ein jahrhundertealtes mathematisches Rätsel löst und sich mal eben mit drei Kugeln im Leib (eine davon im Kopf) aus ihrem eigenen Grab wühlt.
Angesichts dieser Perfektion hat jeder andere Mensch natürlich sofort seinen Platz zu wissen: Ein Anwalt betont, dass er Selbstjustiz absolut verurteile, Lisbeth jedoch als einziger Mensch der Welt das Recht dazu habe und auch Mikael schmunzelt nur darüber, wenn sie seine privaten Dateien ausspioniert und ihn bei Fragen keiner Antwort für würdig erachtet.
Als man ihr drei Morde anzuhängen versucht, zeigt sich wieder einmal, wie einfach sich Gut und Böse scheidet: Wer (auch als ermittelnder Polizeibeamter, der sie nicht persönlich kennt) auch nur den Gedanken daran hegt, sie könnte schuldig sein, ist ein frauenhassender, homophober Proll, der seine Arbeit schlecht macht, heimlich Informationen verkauft und vermutlich übel riecht. Die wahren Gläubigen wissen natürlich dass sie, die zu Gewalt neigt und offen und mit Wohlwollen des Erzählers über die „Existenzberechtigung“ (O-Ton!) anderer nachdenkt niemals schuldig sein kann. Bis auf Mikael und einige vor allem als väterliche Freunde gezeichneten Nebenfiguren sind es natürlich nur die klugen und kompetenten Frauen, die gleich die richtige Ahnung haben. Der ermittelnde Kommissar Bublaski findet auch Gnade, da er alt und jüdisch ist und die intellektuelle wie moralische Überlegenheit des anderen Geschlechts anerkennt.
Damit haben wir also eine fragwürdig konstruierte, doppelmoralische Groschenromanhandlung mit Superheldin und Comicschurken. Doch ich wage mich einen Schritt weiter und begebe mich auf den unsicheren und irrtumsanfälligen Pfad einer psychologischen Laienferndiagnose:
Ich glaube nun jedenfalls nicht mehr, dass der Autor ein einfacher blow job-fisher war, der Frauen lobte, um ihre Gunst (auch als Käuferinnen seiner Bücher) zu gewinnen, sondern dass er tatsächlich eine echte emotionale Verbindung mit seinen teils grotesken Aussagen hat.
Ich glaube, er lebte mit seinen beiden Hauptfiguren eine weiblich dominierte Masochismusfantasie aus. Er fand sich wohl in Mikael wieder, der so toll und strahlend ist, wie einem Mann nur möglich, doch sofort zu kuschen hat, wenn Lisbeth auftaucht. Und von der lässt er sich dann gern hart ran nehmen. Ich erwähnte ja schon, die verwirrend grobe Rettungsszene in „Verblendung“, hier lässt er sich in anderer Rolle eine noch härtere Behandlung zukommen. Denn während Lisbeth aus einem Freier des Mädchenhändlerrings Informationen herausfoltert (was vollkommen in Ordnung ist, ihr Instinkt verrät ihr schließlich, wann er lügt, so dass es halt seine Schuld ist, wenn er leidet) glaubt man sich, in einer Bondagefantasie zu finden. Immer wieder schnürt sie dem Gefesselten, aus dessen Perspektive die Szene geschildert wird die Luft ab, doch als sie ihm in Aussicht stellt, mit dem Leben davon zu kommen, scheint sie ihm nahezu „engelsgleich“. Es ist nicht schwer, sich das ganze als Spiel einer Domina und ihres Kunden vorzustellen (wobei seine erotische Toleranz Grenzen hat: dass die bösen Männer im Roman sexuelle Sadisten sind und sich entsprechendes Fetischmaterial aus dem Netz laden, ist natürlich verwerflich. Schließlich hat die Frau zu dominieren).
Journalistisch hatte Larsson wohl einige Verdienste im Kampf gegen den Rechtsradikalismus, aber auch in dieser Hinsicht scheint mir sein literarisches Schaffen einen Haken zu haben. Ignorieren wir, dass die bei ihm zentrale Lebensunwertheit von Sexualstraftätern im Programm praktisch jeder europäischen Rechtspartei auftaucht, bleibt immer noch die vollkommene Schlechtigkeit seiner Negativfiguren, die nicht nur literarisch plump ist, sondern auch ein nachdenklich stimmendes Menschenbild zeigt. Denn diese Regel ist so sicher, dass von einem negativen Zug gleich auf alle anderen geschlossen werden kann: Als ein Verkäufer Lisbeth herablassend behandelt, denunziert sie ihn ob seiner Steuerhinterziehung bei den Behörden, denn jemand, der unfreundlich ist, MUSS auch kriminell sein. Es ist also die alte Lehre der Tätertypen (welche übrigens noch immer Spuren auch im deutschen Recht hinterlassen hat). Nach dieser Philosophie muss etwa der Mörder nicht eingesperrt werden, weil er tötet, sondern weil er einfach von Geburt an ein Mörder IST, die Tat dies lediglich noch beweist. Anhänger dieser Theorie sympathisieren oft mit Pseudowissenschaften wie der Schädelkunde, um diese Mörder rechtzeitig entdecken und wegsperren zu können, ehe diese töten können. Äußerst unrechtsstaatlich und weit im rechten Spektrum zu finden.
Ich denke nicht, dass Larsson bewusster Anhänger dieser Lehre war, doch die Welt seiner Romane funktioniert nach ihr, was – ungeachtet, ob an meinen küchenpsychologischen Spekulationen etwas dran ist – kein Ruhmesblatt für ihn ist und von denen, die ihn als Kämpfer für die Demokratie verherrlichen, endlich mal zur Kenntnis genommen werden sollte.
(Dirk M. Jürgens)
/p
Gregor
29. Oktober 2010 @ 16:16
Sehr schön! Wann folgt Teil 3?
Dirk M. Jürgens
29. Oktober 2010 @ 17:26
Den plane ich tatsächlich schon.
Erstmal brauche ich etwas Erholung aber dann ist es vor allem eine Frage, wann ich das Buch für Umme in der Bibliothek finde (wie die beiden anderen Teile).