„Mutantenwrestling“ von Gregor Schenker
Ursprünglich 2004 entstanden, hat diese Kurzgeschichte unzählige Überarbeitungen durchgemacht – insbesondere wurde sie immer kürzer und ist jetzt nur noch halb so lang wie der erste Entwurf. Für alle Fans von Science Fiction und Wrestling!
Unbeschreiblich war der Lärm, als Hammerkopf die Halle betrat. Mehrere zehntausend Zuschauer stampften mit den Füssen, klatschen, brüllten sich die Seele aus dem Leib und grölten Lieder, so laut sie nur konnten; sie wedelten mit Fähnchen in den Farben der offiziellen Fanclubs und hielten Transparente hoch, sie warfen mit Konfetti und Papierschlangen. Selbst die Marschmusik, die aus den Lautsprechern hinaus in die stickige Luft dröhnte und den Einzug des Gladiators begleitete, konnte sich kaum gegen das Getöse der ekstatischen Menschenmassen durchsetzen.
Die ganzen Leute waren nur wegen Hammerkopf da, dem Champion, Weltmeister und größten lebenden Gladiator des Planeten. Er schritt stolz zum Ring und genoss es sichtlich, sich feiern zu lassen. Er badete in der Verehrung und Liebe des Publikums, warf sich in Siegerposen und verteilte mit einem fetten Grinsen Handküsse an die Menge. Das Stadion gehörte ganz ihm. Die johlenden Zuschauer, die Cheerleader in ihren knappen Kostümchen, die großen Bildschirme an den Wänden, die kleinen Bildschirme in den Häusern des Fernsehpublikums, das alles gehörte ihm. Er war der Mittelpunkt des Universums, er, Hammerkopf, Champion, Weltmeister, größter lebender Gladiator.
Mauerhofer saß in der Loge und schaute sich das Treiben durch ein Fernglas an, sah, wie sein Schützling in den Ring kletterte. Er war stolz auf den Erfolg von Hammerkopf und er war stolz auf sein Team. Alles mehr als verdient: Die Preise, die Titel, die erklecklichen Werbeeinnahmen. Sie waren weltweit führend. Ihr Kandidat hatte noch keinen Ringkampf verloren.
Der Schiedsrichter befahl Hammerkopf, sich in seine Ecke zu setzen, der Champion folgte der Anweisung. Sein Trainer redete auf ihn ein, die Helfer standen dabei, bereit, sofort herbeizueilen, falls der Gladiator nach etwas verlangte. Über einen Kopfhörer hörte Mauerhofer mit, was der Coach sagte: „Konzentrier dich auf den Kampf! Nachher kannst du immer noch angeben!“
Hammerkopf, voller Selbstbewusstsein, grunzte nur verächtlich. Keine Spur von Nervosität. Er war für dieses Spektakel geboren worden.
„Lass ihn nur“, wies Mauerhofer den Trainer an. Jemand tippte auf die Schulter des Teamchefs. „Der Trainer hat gar nicht mal so unrecht“, meinte Jarchow. Der Chefgenetiker nahm neben Mauerhofer Platz. „Hammerkopf ist unkonzentriert, wenn ihm das Ganze zu sehr zu Kopf steigt.“
„Und wenn schon“, brummte der Boss.
Der Schiedsrichter hatte sich auf die Seitenlinie zurückgezogen, während der Herold in die Mitte des Ringes trat. Mit dem Mikrofon in der Hand wartete er darauf, den Gegner ansagen zu können. Doch das Publikum tobte noch immer und machte keine Anstalten, zur Ruhe zu kommen. Mauerhofer schmunzelte und blickte mit dem Feldstecher auf die andere Seite der Halle. Irgendwo dort saß Raikönen, der Leiter der anderen Mannschaft, in seiner eigenen Loge. Tatsächlich, Mauerhofer konnte den Fettwanst sehen, wie der lächelnd und zufrieden in seinem Sessel hockte. Grins du nur, dachte er sich. Neben Raikönen saß Müsseler … Der Verräter. Mauerhofer hatte viel Geld in dessen Ausbildung investiert und der Saukerl war zur Konkurrenz übergelaufen. Er war nicht untalentiert gewesen auf seinem Gebiet … Aber Egal.
Auf der anderen Seite der Halle lag auch der Eingang, durch den bald der gegnerische Ringer einmarschieren würde.
„Wir hätten uns nicht darauf einlassen sollen“, mahnte Jarchow.
„Ach, halt die Klappe“, schnaubte Mauerhofer. „Nichts weiter als ein kleiner Freundschaftswettkampf. Den wir gewinnen.“
„Wir wissen aber nichts über den Neuen. Müsseler ist ein erstklassiger Genetiker und ich befürchte, dass …“
„Hammerkopf gewinnt.“
Dabei hatte der Genetiker durchaus Recht, niemand wusste was Genaues über diesen „Gorirus“ (ein kindischer Name, fand Mauerhofer). Aber hätte er die Herausforderung denn einfach ausschlagen sollen? Raikönen hatte ein Recht auf Revanche, nachdem Hammerkopf seinen Gladiator voriges Jahr zu Klump gehauen hatte. Seltsam war die Geheimniskrämerei, die er an den Tag legte, allerdings schon.
Endlich war der Jubel etwas abgeklungen und hatte sich die Menge soweit beruhigt, dass der Herold seine Ansage beginnen konnte. Er sprach von einem historischen Kampf und übertrieb auch sonst munter, um schlussendlich den Gegner vorzustellen. „Hier ist er nun, meine Damen und Herren, der Herausforderer, der Kämpfer, der es wagt, sich Hammerkopf zu stellen! Ein neues Wunderwerk der Gentechnik! Hier ist Goriiiiruuuuuuuus!“
Die Pforte öffnete sich und Gorirus zog in die Halle ein, begleitet von seinem Trainer und dessen Helfern, während ein pompöses Orchesterwerk aus den Lautsprechern schallte. Der Vergleich war grotesk. Auf der einen Seite Hammerkopf, ein Koloss von beinahe drei Metern Größe und einer halben Tonne Gewicht, mit gigantischen Muskeln, bewehrt mit Klauen an den Händen und einem massiven Raubtiergebiss. Auf der anderen Seite Gorirus, nicht viel größer als ein normaler Mensch, zwar athletisch, aber nicht übermäßig muskulös – ein Wicht.
Es war ganz still geworden.
Hammerkopf machte große Augen. Das kleine Hirn unter seiner flachen Stirn und den zentimeterdicken Schädelknochen, die ihm in so vielen Kämpfen nützlich gewesen waren, brauchte eine Weile, um den Anblick zu verarbeiten. Dann prustete er los, lachte schallend über seinen Gegner und kriegte sich kaum wieder ein. Davon unbeeindruckt kletterte Gorirus in den Ring. Die Zuschauer erholten sich von ihrer Überraschung und amüsierten sich ebenfalls über diesen Wicht; sie buhten ihn aus und brüllten Spottlieder. Der schmächtige Gladiator ignorierte sie alle und setzte sich in seine Ecke.
Der Herold hatte den Ring verlassen, der Schiedsrichter kam wieder zur Mitte. Auf seine Aufforderung hin traten Hammerkopf und Gorirus zu ihm. Er erläuterte noch einmal die Regeln – was nur kurz dauerte –, dann erklärte er den Kampf für eröffnet. Die erste Runde wurde eingeläutet.
Hammerkopf hielt sich nicht damit auf, seinen Gegner zu sondieren, sondern ging sofort in den Angriff über und stürmte geradewegs auf ihn los, bereit, den Gegner zu zerschmettern. Die Menge feuerte ihn begeistert an, die Cheerleader tanzten. Doch Gorirus wich im letzten Augenblick zur Seite aus und versetzte Hammerkopf, der prompt an ihm vorbei stürzte, einen Schlag in die Rippen. Der Getroffene brüllte vor Schmerz auf, fiel hin und landete hart auf den Brettern.
Mauerhofer sprang von seinem Sitz auf.
Hammerkopf stemmte sich wieder hoch. Auf seiner Seite bildete sich ein blauer Fleck. Er wandte sich seinem Kontrahenten zu, der keine Regung zeigte.
Mauerhofer war bis aufs Äußerste angespannt. Er registrierte, dass Jarchow etwas sagte. „Außerordentlich!“, wisperte der Genetiker ergriffen. Der Teamchef ging nicht darauf ein.
Hammerkopf befühlte seine Rippen, litt anscheinend unter Schmerzen. Er betrachtete Gorirus mit mörderischer Wut in den Augen. Er lachte nicht mehr. Mit ausgestreckten Armen, angespannten Muskeln und Geifer in den Mundwinkeln stürzte er sich auf den Gegner, der ihn zu Fall gebracht hatte. Dieser zeigte sich auch dieses Mal keineswegs beeindruckt, sondern versetzte dem Rasenden einen schnellen Schlag direkt ins Kreuzbein, ohne dass er unter dem Ansturm Hammerkopfs auch nur wankte. Der Getroffene wurde regelrecht zurückgeschmettert, schnappte nach Luft und fiel auf die Knie. Gorirus versetzte ihm einen Fußtritt an den Schädel und warf ihn damit um. Hammerkopf versuchte, wieder aufzustehen, während Blut aus seinem Maul tropfte. Gorirus packte seinen Gegner nun mit beiden Händen am Kopf. Knallte sein Knie voll auf Hammerkopfs Nase. Dieser brach sofort zusammen.
„Das kann nicht … das …“, stammelte Mauerhofer.
„Müsseler ist ein Genie“, meinte Jarchow. „So viel Kraft in dem kleinen Körper!“
Mauerhofer drehte sich zu dem Genetiker um. „Du bewunderst ihn auch noch“, murmelte er. „Du verdammter Blödmann. Hammerkopf geht in der ersten Runde K.O. Die Schande …“
Jarchow antwortete nicht darauf: „Schauen Sie!“
Etwas stimmte nicht. Der Ringrichter hatte Hammerkopf ausgezählt und Gorirus zum Sieger erklärt. Doch der war damit nicht zufrieden. Er stieß den Kampfrichter beiseite und brüllte Hammerkopf an: „Steh auf!“ Gorirus war in Rage, wollte weiterkämpfen. Nachdem sein hilfloser Gegner nicht reagierte, packte er ihn an Kopf und Hals und schlug seine Zähne in sein Genick, ließ sich weder von den Leuten seines Teams noch denen des anderen aufhalten. Gorirus verbiss sich in das Fleisch, ließ nicht los und zerrte, bis Sehnen rissen, Muskeln zerfaserten und Knochen brachen, Blut spritzte. Er riss mit aller Gewalt an dem Kopf und trennte ihn schließlich vom Rumpf. Der leblose Körper fiel zu Boden, während Gorirus das abgetrennte Haupt triumphierend hochhob und umherschwenkte. Blut spritzte auf die Cheerleader, die kreischend flüchteten, und auf die Zuschauer in den ersten Reihen, die panisch von ihren Plätzen aufsprangen. Gorirus warf den Kopf weit hinaus in die Ränge und sofort brach die Hölle los. Die Leute stürmten fluchtartig zu den Ausgängen, stießen einander rücksichtslos zur Seite, stiegen übereinander und quetschten die Unglücklichen, die unter diese menschliche Lawine gerieten, zu Tode. Gorirus, im Zentrum dieses Infernos, brüllte triumphierend.
Mauerhofer starrte entgeistert auf die Szene, die sich ihm darbot.
„Ganz außerordentlich“, sagte Jarchow wieder.
Mauerhofer hatte nicht mehr die Kraft, um den Genetiker zu beschimpfen. „Wir sind ruiniert. Hammerkopf ist tot“, stellte er stattdessen fest.
„Mit dem können wir eh nicht mehr auftreten“, erklärte Jarchow. „Gorirus ist viel effektiver konstruiert als alles, was wir bisher fertig gebracht haben; Müsseler hat die Genetik auf ein ganz neues Level gehoben. Ich wette, das Militär reißt sich bereits um ihn.“
Unten in der Halle waren die Sicherheitskräfte eingetroffen. Die einen versuchten, die Massen zu beruhigen, indem sie mit Feuerwehrschläuchen kaltes Wasser über den Mob schütteten, während andere die Verletzten betreuten oder damit begannen, die Toten einzusammeln. Gorirus hatte sich inzwischen beruhigt und wurde von seinem Team in seine Kabine gedrängt. Mauerhofers Team war nirgends zu sehen, war wohl im Gedränge verloren gegangen.
„Der Bildschirm!“, stieß Jarchow seinen Boss an.
Die Live-Übertragung des Kampfes war in eine Sondersendung über dessen katastrophalen Ausgang übergegangen, Bilder der Zerstörung liefen über den Schirm. Eine Nachrichtensprecherin vermeldete, dass der internationale Sportrat eine sofortige Disqualifizierung von Gorirus auf Lebenszeit beschlossen hätte. Hammerkopf wurde posthum zum Sieger erklärt.
„Wenigstens das“, bemerkte Mauerhofer.
„Davon haben wir nicht viel“, bemerkte Jarchow. „Spätestens in einem Jahr hat Müsseler einen neuen Kandidaten herangezüchtet.“
„Was machen wir denn nun?“
„Wir müssen unseren Rückstand in der Forschung nachholen. Ich geh heute noch ins Labor.“
Mauerhofer merkte, dass er immer noch das Fernglas in der Hand hielt. Er hob es an die Augen und spähte zur gegnerischen Loge. Raikönen und Müsseler saßen immer noch an ihren Plätzen. Letzterer hielt ebenfalls einen Feldstecher und winkte ihm mit einem breiten Grinsen zu.