Scott Sigler: „Infiziert“
Scott Sigler: „Infiziert“
„Infected“, 2008 (dt. Ausgabe Heyne), Horror/Thriller/Science Fiction
(Herzlichen Dank an Lebendes PAL-Feld für die generöse Buchspende.)
Die Epidemiologin Margaret Montoya stößt bei ihrer Arbeit auf eine Art Seuche, die aus normalen Menschen wahnsinnige Killer macht. Einziger Hinweis: Seltsame dreieckige Muster auf der Haut der Betroffenen. Mit dieser Erkenntnis wendet sie sich an die CIA. Murray Longworth, Chef der Behörde, beruft ein supergeheimes Spezialteam ein, das der Sache auf den Grund gehen soll, ohne dass etwas an die Öffentlichkeit dringt – Montoya und Co. stellt er dabei den Vietnamveteranen und altgedienten Agenten Dew Phillips zur Seite. Gleich einer der ersten Einsätze endet in einer Katastrophe, aber wenigstens kommt man dem Phänomen allmählich auf die Spur: Hinter den Amokläufen scheint ein Krankheitserreger zu stecken, der derart hochentwickelt und spezialisiert ist, dass er künstlichen Ursprungs sein *muss* – aber eigentlich verfügt kein Labor der Erde verfügt über die nötige Technologie, so was zu züchten.
Währenddessen wacht der Büroangestellte Perry Dawsey (ein ehemaliger Footballstar mit Temperamentsproblemen) eines Tages mit juckenden Stellen am ganzen Körper auf. Entgegen den Ratschlägen seines Kumpels Bill geht er nicht zum Arzt, sondern hofft darauf, dass sich das Problem von selbst erledigt. Er hätte mal lieber auf seinen Freund gehört, denn die juckenden Stellen erweisen sich bald als rasch wachsende, dreieckige Infektionsherde, die Perrys Gedanken und Handlungen zunehmend beeinflussen …
Ähnlich wie David Wellington („Stadt der Untoten“), so ist auch Scott Sigler nicht auf klassischem Weg zum Bestsellerautor geworden, sondern mithilfe des Internets: Nachdem er schon als Kind erste Schauergeschichten schrieb, schlug er sich nach dem Studium (Journalismus und Marketing) mit Gelegenheitsjobs durch, während er versuchte, seine Geschichten bei irgendeinem Verlag unterzubringen. Sein Debütroman „Earthcore“ war als ebook ganz viel versprechend und 2001 für den Druck vorgesehen, doch 9/11 funkte dazwischen – die Publikation fiel der nachfolgenden Wirtschaftskrise zum Opfer. Also behalf sich Sigler anderweitig und veröffentlichte das Buch als angeblich weltweit ersten Podcast-Roman. Das Hörerinteresse war immens und schließlich klappte es auch mit der Drucklegung. Sigler hält dieses erfolgreiche Geschäftsmodell seitdem aufrecht, so auch bei „Infected“, auf Deutsch „Infiziert“.
Dieser erste Teil einer Trilogie, die mit „Contagious“ (dt. „Virulent“) fortgesetzt wurde und 2011 mit „Pandemic“ ihren Abschluss finden soll, ist denkbar einfach aufgebaut (wie man obiger Inhaltsangabe entnehmen kann): Auf der einen Seite haben wir das Team um Montoya und Phillips, das der geheimnisvollen Seuche nachspürt; auf der anderen Seite haben wir Dawsey, der besagte Seuche aus erster Hand erlebt; der Roman wechselt stetig zwischen den beiden Perspektiven (gewechselt wird, wie immer in solchen Büchern, immer an der spannendsten Stelle). Die beiden Handlungsstränge laufen mit der Zeit zusammen, da die CIA-Leute verzweifelt nach einem lebenden Infizierten suchen, um den Erreger untersuchen zu können (ist der „Wirt“ erst einmal tot, zersetzen sich alle Überbleibsel in Rekordzeit), und dabei auf Dawsey stoßen – der wiederum unternimmt alles Menschenmögliche, um die Infektion, die sich in seinem Körper immer mehr ausbreitet, zurückzudrängen. Spannung ergibt sich dabei aus zwei Fragen: Kommen Montoya und Co. dem Erreger auf die Spur, bevor dieser sein finsteres Ziel erreicht? Und: Kann Dawsey die Infektion aufhalten, bevor sie ihren Zyklus vollendet?
Das ist vielleicht ein bisschen wenig Story für einen Roman von über 500 Seiten – es beschleicht einen schon ab und zu das Gefühl, dass die Story auf der Stelle tritt (um nochmals Wellington zum Vergleich heranzuziehen: „Stadt der Untoten“ war zweihundert Seiten leichter und da ist *einiges* mehr passiert). Insbesondere, wie Dawsey sich eines Infektionsherdes nach dem anderen entledigt (es sind sieben an der Zahl), wird mit der Zeit etwas repetitiv. Und es braucht eeewig, bis er aus seiner Wohnung kommt – nur um es gerade einmal ein Haus weiter zu schaffen. Es soll zudem nicht verschwiegen werden, dass sich ein durchschnittlich intelligenter Leser den Ursprung der Seuche ziemlich früh selbst ausrechnen kann (zunächst ging ich ja von einer falschen Fährte aus, aber mehr steckt da tatsächlich nicht dahinter). Als große Überraschung funktioniert die Auflösung insofern nur bedingt.
Trotzdem: Sowohl das „Kammerspiel“ um den Footballspieler als auch die Ermittlungen des CIA-Teams sind immer noch spannend genug beschrieben, um die Aufmerksamkeit bis zur letzten Seite aufrecht zu erhalten. Selbst die ausführlichen Schilderungen zur biologischen Entwicklung der feindlichen Organismen sind ziemlich interessant. Zudem peppt Sigler die Handlung mit allerlei grauslichen, aber nicht minder unterhaltsamen Details auf – nicht nur, was die wahnsinnigen Bluttaten der Infizierten, sondern auch Dawseys Krieg gegen die Infektion (bei dem sein Körper eine Menge Kollateralschaden einstecken muss) angeht. Die Geflügelschere auf dem Cover wurde jedenfalls nicht ohne Grund auf selbiges gedruckt.
Dennoch sind es nicht die blutigen Sudeleien, die den Charme des Buches ausmachen, sondern vor allem Dawseys langsames Abdriften in den Wahnsinn, das immer tragischere Züge annimmt. Es ist schon packend, wie aus einem sympathischen Protagonisten Schritt für Schritt ein paranoides, gewalttätiges Monster wird. Als es ihn erwischt, versucht er eigentlich, sein Leben auf die Reihe zu kriegen, die Einflüsse seines prügelnden Säufer-Vater zu überwinden und seine Wut (die ihn in der Vergangenheit so oft in Schwierigkeiten gebracht hat) unter Kontrolle zu halten – aufgrund der Infektion wird er aber genau zu dem, was er nie hat sein wollen. Der grausame Witz an der Sache ist, das genau dies ihm überhaupt ermöglicht, gegen die körperinternen Eindringlinge vorzugehen.
Etwas oberflächlicher charakterisiert sind Montoya (ist von Ehrgeiz zerfressen und scharf auf ihren jungen Assistenten) und Phillips (leidet unter Schuldgefühlen, weil er im Laufe seiner Karriere einige fragwürdige Dinge getan hat und sein Partner bei einem Einsatz umgekommen ist). Aber auch deren Bemühungen verfolgt man mit Interesse. Eine Überraschung ist übrigens, dass hier eine geheim operierende Spezialbehörde der Regierung zur Abwechslung mal *nicht* als das pure Böse geschildert wird (auch wenn sie – siehe Phillips – nicht moralisch tadellos rüberkommt).
Alles in allem erinnert „Infiziert“ in der Tat stark an Siglers erklärtes großes Vorbild, nämlich Stephen King, ob es nun um die horrorschockigen Einzelheiten, die Charakterisierung oder die leichte Tendenz zur übertriebenen Ausführlichkeit geht. Selbst die Grundstruktur der Story scheint von „The Tommyknockers“ inspiriert zu sein – mal abgesehen davon, dass auch „The Crazies“ (die wahnsinnigen Seuchenopfer) oder „Die Körperfresser kommen“ (die Sache mit den Sporen) anklingen, ganz zu schweigen vom Krieg gegen den Terrorismus (der Erreger wird von den CIA-Leuten zunächst für einen biologischen Kampfstoff gehalten). Nicht, dass solche Aktualitätsbezüge (oder sonst etwas) zu irgendwelchen Tiefgründigkeiten führen würden …
Alles in allem ist „Infiziert“ trotz der einen oder anderen Länge ein ziemlich spannender und unterhaltsamer Horrorthriller mit ein paar saftigen Grauslichkeiten und sympathischen Charakteren. So macht das Ende durchaus Lust auf die Fortsetzung.
(Gregor Schenker)