David Wellington: „Stadt der Untoten“
Originaltitel: Monster Island
Herausgegeben (im Original): 2004 (E-Book)
Verlag: Piper
(Herzlichen Dank an Lebendes PAL-Feld für die generöse Sachspende.)
Die Toten erheben sich und überrennen die Lebenden. Die westliche Zivilisation geht innerhalb von Rekordzeit unter, während sich (Ironie oder so) die kriegserprobten Völker der Dritten Welt gegen die Invasion behaupten können. Dekalb, ein Waffeninspektor der UNO, flüchtet zusammen mit seiner siebenjährigen Tochter Sarah (seine Frau wurde zombiefiziert) aus Kenia und schlägt sich bis Somalia durch, wo die beiden der Glorious Girl Army of the Free Women’s Republic of Somaliland in die Hände fallen. Mama Halima, die Führerin der FWRS, leidet an AIDS – schlecht für Mama Halima, gut für Dekalb, der nur deswegen nicht auf der Stelle erschossen wird, weil er sich in den UN-Gebäuden Afrikas auskennt und daher der Girl Army auf der Suche nach Medikamenten als Führer dienlich ist.
Dummerweise wurde alles geplündert, was geplündert werden konnte. In einem Anfall von Galgenhumor schlägt Dekalb vor, im Sekretariatsgebäude der UN nachzuschauen – mitten in New York. Ifiyah, die rechte Hand von Mama Halima, nimmt ihn beim Wort und schippert mit ihm (Sarah bleibt als Geisel zurück) sowie einer Truppe von Kindersoldatinnen über den Ozean. In New York haben sie es mit Millionen von Zombies zu tun, *richtig* gefährlich ist aber Gary, ein ehemaliger Medizinstudent. Der hat es geschafft, sich selbst zu zombiefizieren, ohne dass dabei sein Verstand draufgeht. Jetzt ist er nicht nur der intelligenteste Untote auf der Insel, sondern kann auch seine Schicksalsgenossen per Telepathie kontrollieren …
Der 1971 geborene David Wellington lebt in New York, arbeitet bei der UNO als Archivar und hat, wie so viele von uns, seinen eigenen Blog. Während andere über ihren interessanten Alltag oder ihre tiefgründigen Gedanken zur Politik schreiben, veröffentlichte er ab 2003 kapitelweise selbstverfasste Romane – Romane, die er seit vielen, vielen Jahren schrob, die aber keine Sau veröffentlichen wollte. Zu seiner Überraschung zogen die Online-Serials mit der Zeit massenhaft Leser an und plötzlich waren auch die Verlage interessiert – die (überarbeiteten) Buchfassungen schlugen sich dann ganz gut in den Bestseller-Listen und machten Wellington endgültig zum neuen Stern am Himmel der Horror-Schreiberlinge. Eine literaturbetriebliche Aschenputtelgeschichte für die Internet-Generation. Wellington blieb produktiv, seine Zombie-Story ist inzwischen zu einer Trilogie angewachsen (es folgten „Monster Nation“/„Nation der Untoten“ und „Monster Planet“/„Welt der Untoten“), zudem hat er sich neue Betätigungsfelder gesucht und ist zu Vampiren übergegangen; letztens hat er sich auch mit Werwölfen beschäftigt. Aber wir kommen vom Thema ab.
Zurück zu „Stadt der Untoten“ also. Wie man vielleicht anhand der Inhaltsangabe erahnen kann, wählt Wellington zwar ein altbekanntes (und leicht strapaziertes) Genre (wobei man selbiges eher aus dem Kino als in Buchform kennt), gewinnt selbigem aber die eine oder andere neue Seite ab und wertet es mit einigen skurrilen Ideen auf.
Da wäre sicher mal das politische Element – Dekalb ist einer dieser Idealisten, die an einer besseren Zukunft arbeiten, in der es keine Kriege mehr gibt und alle Menschen friedlich zusammenleben (*spuck*). Werbung für die UNO ist „Stadt der Untoten“ trotzdem nicht; Wellington verliert durchaus einige harsche Worte über seinen Arbeitgeber. Wie dem auch sei: Mit der Zombieapokalypse kann Dekalb seine utopischen Visionen die Toilette runter spülen. Die zivilisierte Welt liegt irreparabel in Trümmern, mit der neuen Situation kommen die Warlords am besten zurecht. Er hat keine andere Wahl, als sich mit seiner Tochter ausgerechnet islamischen Extremisten anzuschließen. Seiner Sarah blühen Koranschule und eine Ausbildung zur Kindersoldatin. Das gefällt ihm nicht grade, aber „das war das Beste, was ich ihr bieten konnte“ (S. 23). Sie wird so werden wie Ayaan, eines der jungen Mitglieder der Girl Army. Selbiges würde ohne zu zögern den Märtyrer-Tod sterben und hat nichts als Verachtung für den verweichlichten Westler übrig, der nicht einmal eine Waffe richtig abfeuern kann.
Erst, als er sich zunehmend verändert, gewinnt er allmählich Ayaans Respekt – er ist in dieser neuen Welt gezwungen, selbst zum Soldaten, zum Mörder zu werden. Was er einst über Waffen gelernt hat, um sie aus der Welt zu verbannen, muss er nun anwenden, um sie gegen andere einzusetzen.
Diese Zombie-Invasion bedeutet nicht nur den Tod von Milliarden von Menschen, sondern auch den Tod westlicher Ideologien. Für Pazifismus ist kein Platz mehr. Das gibt der Katastrophe einen besonderen Hauch von Hoffnungslosigkeit, die das ganze Buch durchzieht. (Selbst der Schluss zeigt nur einen ganz schwachen Schimmer von Optimismus.) Wellington entflieht dabei nicht ganz der Moralinsäure:
„Ich verstand diese Menschen auf eine Weise, auf die ich Ayaan und Mael und ihre Bereitschaft, alles für das zu opfern, an was sie glaubten, nicht verstehen konnte. Das Einzige, an was ich in diesem Moment glaubte, […] war ich selbst. Meine Generation war so, Sarah. Selbstsüchtig und verängstigt“ (S. 349).
Jaja, der dekadente, egoistische Westen und so. Lass dir die Haare schneiden, du Hippie.
Ich hab etwas von skurrilen Ideen erwähnt. Nun, bei allem Ernst, was die Thematik der Kindersoldatinnen angeht: So eine Armee von schwer bewaffneten Mädels (die übrigens eine Art Schuluniform tragen – Wellington hat wohl zu viele Animes gesehen), die hat doch einen gewissen Schrägheits-Faktor (wie überhaupt die Idee einer islamistisch-feministischen Nation). Und dann wäre noch der Zombie, der sich im Zoo von Elefanten ernährt und so zu einem riesigen Monster heranwächst (den hätte man ein bisschen verstärkt einsetzen dürfen). Oder die Tatsache, dass alle Untoten in einer telepathischen Verbindung zueinander stehen – womit wir beim metaphysischen Element der Story wären.
Werden ansonsten gerne Viren (oder Venus-Sonden) als Ursache für Zombieplagen herangezogen, gibt’s hier keine böse Mikroorganismen irgendwelcher Art, dafür eine klassische Endzeit. Eine Endzeit, in der sich die Toten aus den Gräbern erheben, ganz egal, wie sie gestorben sind. Der Biss eines Untoten an sich ist denn auch nicht die eigentliche Grund für eine Zombiefizierung, sondern der (meist) daraus folgende Tod durch Blutverlust oder bakterielle Infektionen. Wer dann mal ein Zombie ist, leidet unter einem furchtbaren Hunger, der sich nur durch das Verspeisen lebender Wesen gestillt werden kann – die Lebensenergie besagter Wesen braucht so ein Zombie, um nicht bei „lebendigem“ Leibe zu zerfallen.
Was *genau* sich hinter alledem verbirgt, wird allerdings nicht erklärt. Immerhin Andeutungen macht Mael Mag Och, eine Moorleiche aus dem Metropolitan Museum of Art (da gab’s grad eine Ausstellung über Mumien). Mael war mal ein schottischer Druide und verfügt aufgrund seiner Mumifizierung ebenfalls über ein unbeschädigtes Hirn, kann aber stärker noch als dieser auf das geheimnisvolle „Netzwerk“ (er nennt es „Eididh“) zugreifen, das zwischen den Untoten besteht. Für ihn ist die Zombieapokalypse ein Werk der Götter, das angekündigte Ende der Welt. Sich selbst sieht er als auserwählten Urteils-Vollstrecker, der sicherstellen muss, dass die Sache auch ihren wohlfeilen Abschluss findet: „Ich werde alle Überlebenden töten“ (S. 178). Eine schlechte Nachricht für Dekalb, der nicht nur die erwähnten Medikamente finden, sondern auch ca. zweihundert übrig gebliebene New Yorker (die sich in den U-Bahn-Schächten der Stadt verbarrikadiert haben) retten muss, während ihm die Zombiearmee auf die Pelle rückt.
Wie auch immer: Schlussendlich ist auch Maels Interpretation nur das, eine Interpretation eben, und erfahren wir nicht *wirklich*, was sich hinter der Zombieplage verbirgt. Da muss man sich wohl durch die Fortsetzungen kämpfen.
Bei genauerem Hinsehen ist nicht alles hundertprozentig durchacht (wenn die Zombieplage auch die Tiere betrifft, wieso gibt es nicht mehr untote Viecher? Wie steht es mit Zombieinsekten und untoten Einzellern? Wieso wurde ausgerechnet das UN-Sekretariatsgebäude nicht geplündert?). Freilich hat man wenig Zeit, über so was nachzudenken, wird man doch im Eiltempo durch die Handlung gefegt – die kurzen Kapitel (einerseits aus Dekalbs Sicht, andererseits aus der Perspektive von Gary) wechseln sich regelmäßig an der spannendsten Stelle ab, der actiongeladene und handlungsgetriebene Plot lässt keinen Raum für Stillstand, es wird ein Einfall nach dem anderen durchgepaukt – die knapp 350 Seiten sind verflucht schnell vorüber. (Sonderlich originell ist das nicht, aber solang es effektiv ist …)
Trotzdem, die Charaktere gehen nicht vergessen: Sowohl Dekalb als auch Gary werden einem plastisch näher gebracht, wobei vor allem fasziniert, dass keiner von beiden vollständig negativ oder positiv gezeichnet ist (zumindest zu Anfang; gegen Schluss werden die beiden zunehmende eindimensionaler). Die Nebenfiguren neigen ab und zu zur Stereotypie, allerdings hält sich Wellington mit keinem davon so lange auf, dass es einem auf die Nerven gehen könnte.
Etwas seltsam ist dann der Schluss, der entlarvt, dass das *ganze* Buch nichts als ein Brief von Dekalb an seine Tochter ist: „Nur um mich zu beschäftigen, suchte ich einen Schreibblock und einen Stift und fing an, das alles hier niederzuschreiben. Ich schrieb alles auf, was geschehen war, seit ich Dich zurückließ, und wie es geschehen war, Sarah. […] Du wunderst Dich vermutlich, woher ich weiß, was [Gary] denkt. Wie ich diese ganzen Teile aus seinem Blickwinkel schildern kann, Dinge beschreiben kann, die ich selbst weder erlebt noch gesehen habe“ (S. 350f.).
Eine unnötige Dusseligkeit in einem ansonsten weitgehend untadeligen Werk.
Fazit: „Stadt der Untoten“ ist ein solider Horrorroman, der ganz auf Spannung und Action baut und dabei wie im Flug vergeht. Einige kuriose Ideen und der politische Unterton sowie die plastische Charakterisierung der beiden Hauptprotagonisten machen den Roman zwar nicht zu einem tiefgründigen Meisterwerk, halten aber gut bei Laune. Wer mal reinschnuppern will, kann sich auf davidwellington.net umgucken.
(Gregor Schenker)