#2 Darkest of the Hillside Thickets, Azzarellos neuer Joker und Lindqvists Vampirroman „Let the right one in“
Guten Morgen, werter Leser! Das Wochenende steht vor der Tür und da ist es natürch mal wieder an der Zeit für unseren Wochenrückblick „The Weird Week“. Was war so lesbar, sichtbar, hörbar und ganz hart am Rande des Alltäglichen?
Nun, Ihr werter Autor befand sich diese Woche im heimatlichen Norden, wo der Spuk und das Unwetter sich scheinbar hinter einem herrlichen Vorhang aus Sonnenschein und kühler Brise versteckten – aber das ist natürlich nur Fassade. In der Weird Fiction Werkstatt laufen gerade die Vorbereitungen für einen Beitrag zum Videowettbewerb der „Darkest of the Hillside Thickets“, einer der beliebtesten Lovecraft-Rockbands der westlichen Hemisphäre unter der Leitung von Sänger, Illustrator, Cartoon-fan Toren Atkinson aus Kanada. Das Werkstatt-Tagebuch kann seit Mittwoch hier auf der Seite verfolgt werden. Dücken sie mir die Daumen!
Dirk M. Jürgens hat für uns auch diese Woche ein paar interessante Ausflüge in die Literatur unternommen, aber lassen wir ihn doch selbst zu Wort kommen!
Dirk, du hast Brian Azzarellos Graphic Novel „Joker“ gelesen (die ja wirklich ganz exzellent und kompromisslos von Lee Bermejo illustriert wurde). Wie hat dir das Werk gefallen?
DMJ:
Meine Sorge im Vorfeld, es könnte ein billiger Versuch sein, sich an den Erfolg von „The Dark Knight“ heran zu hängen, indem man dessen verstümmelte Joker-Version übernimmt war jedenfalls bald zerstreut, da man nicht nur eine geschickte Erzählperspektive wählt, sondern auch der von Ledger geprägten Figur wirklich gerecht wird und den Grad seiner Irrationalität und Brutalität noch weiter hochzudrehen verstand: Bietet man ihm einen Platz an, verlangt er den, auf dem man selbst sitzt, verabredet er sich mit einem, kommt er extra später, um einen warten zu lassen; eine ultimative Ballung von asozialer Unhöflichkeit, die aber anders als vorige Darstellungen massenhaft Medikamente einwirft, auch einen Sexualtrieb hat und diesen nicht nur an (einer hier als glamourösen Gangsterbraut dargestellten) Harley Quinn auslässt.
Recht konsequent wird aus der Sicht eines kleinen Henchmen erzählt, der zu Anfang dem Irrglauben anhängt, er könne groß rauskommen, wenn er für den berüchtigsten Schurken von allen arbeitet, dem aber wohl nie aufgefallen ist, dass Joker-Gehilfen selten namentlich bekannt sind, oder irgendein Dienstjubiläum erreichen. Dementsprechend kommt auch Batman selbst nur kurz am Schluss vor und der eigentliche Showdown zwischen ihm und dem Joker bleibt dem Leser vor enthalten, was jedoch nicht unbefriedigend, sondern nur stimmig ist.
Besonders gelobt sei hier noch die Darstellung anderer bekannter Batman-Gegenspieler, die man ebenfalls versucht hat, an den realistischen Look der Nolan-Filme anzupassen: Der Riddler etwa als tätowierter Zuhältertyp mit verwachsenem Bein und entsprechender Krücke in natürlicher Fragezeichenform, Killer Croc (nicht ganz so reptiloid wie sonst) als bloßer Schlägertyp, sowie Two-Face und Pinguin als relativ seriöse Verbrecherbosse.
Wirklich eine feine Ergänzung zum DC-Mainstream!
Ich würde tatsächlich so weit gehen, es nicht zu den „nur guten“ „Batman“-Geschichten (wie „Hush“ oder „Year One“), sondern gar zu den „literarischen“ (wie „Killing Joke“ und „Arkham Asylum“) zu zählen.
Das klingt ja wirklich lesenswert! Vor etwa einem Jahr kam der Schwedische Horrorfilm „Let the Right One In“ heraus, der mir persönlich sehr gut gefallen hat. Du hast nun die Buchvorlage von John Ajvide Lindqvist gelesen, die zu deutsch den Titel „So finster die Nacht“ trägt. Vampirliteratur ist ja immer etwas besonders schwieriges – alte Konventionen, zuviel oder zuwenig Romantik. Es ist nicht leicht etwas Neues oder Bahnbrechendes auf die Beine zu stellen. Welchen Eindruck hat der Schwede bei dir hinterlassen?
DMJ:
Der Film, so sagte man mir, sei vielleicht der letzte ernst zu nehmende Vampir-Film, nachdem das Genre von Gothic-Schnulze und Splatter-Exzessen verwirrt wurde. Der Roman, so kann ich nun aus eigener Erfahrung sagen, ist tatsächlich ein halbwegs neuer Ansatz…und ein enorm un-gothiger noch dazu: Unsere Untote Eli ist schmutzig, stinkt nach Schweiß, hat Hautlappen unter den Armen, welche ihr einen Gleitflug ermöglichen und statt sauberen, romantischen Aussaugens kriegen wir Schmerz, Tod und Hinterbliebene. Die Liebesgeschichte ist auch entsprechend klanglos.
Auch sonst ist die Welt des Romans durchgehend düster und dreckig, es handelt von Alkoholismus, Mobbing, Dreck, Verfall und Chancenlosigkeit, garniert mit Pädophilie und Inkontinenz. Auch wenn es teils etwas viele Erzählstränge hat (die auch am Ende nicht alle gebührend behandelt werden), liest es sich flüssig und spannend und der Autor schafft es tatsächlich, dem Leser die Wut und auch Sehnsüchte seiner Figuren deutlich zu machen.
Wie allerdings schon gesagt, kommt das Ende etwas plötzlich. Da hat Lindqvist in seinem 600 Seiten-Werk mit vollen Händen Figuren und Probleme in die Welt geworfen, doch am Ende lässt er die meisten liegen, wo sie gerade gefallen sind; auch die Haupthandlung schließt nur begrenzt befriedigend, was aber weniger schlimm ist, da das Ende eh als offen, doch hoffnungslos angelegt ist.
Deprimierendes, aber nicht schlechtes Buch, doch kein wirklicher Tipp. Ich könnte mir gut vorstellen, dass es einer der Fälle sein könnte, wo der Film besser ist, als die Vorlage.
Wer Lust hat, sich eine eigene Meinung zu bilden, der kann sich das Buch ja mal zu Gemüte führen. Lesen schadet selten! Nun, das war es auch schon wieder für diese Woche! Wir wünschen ein schönes Wochenende und STAY WEIRD!
Sebastian Kempke & Dirk M. Jürgens