„Der Exorzismus von Emily Rose“
„Der Exorzismus von Emily Rose“ oder Wen interessieren schon wahre Geschichten?
von Scott Derrickson (2005)
Ein schwieriger Fall! Ich mag Gerichtsfilme, ich mag Horrorfilme, folglich hatte diese Mischung aus beidem gute Karten bei mir. Und tatsächlich: Der Film allein betrachtet ist gar nicht mal schlecht. Die Gerichtsszenen trotz überzogen „bösem“ Staatsanwalt interessant und die Rückblenden zum titelgebenden Geschehen mit einigen hübschen Gruseleffekten und stimmungsvollen Szenen versehen. Mir persönlich wäre es zwar lieber gewesen, man hätte auf die religiöse Erleuchtung der Anwältin, welche unsere Hauptfigur ist, verzichtet und vollständig die Position aus ihrem Plädoyer („begründete Zweifel“) übernommen, aber da hatte der Film nun mal eine andere Zielsetzung, als ich gerade Lust.
Problematisch jedoch ist, dass man sich trotz aller künstlerischen Freiheiten eindeutig auf den realen Fall Anneliese Michel bezieht (auch wenn der Name nicht genannt wird), ihn aber nicht wirklich wiedergibt.
Ich beklage mich hier nicht über die Änderung von Namen und Handlungsorten, sondern starke Eingriffe in Krankheits-/Besessenheitsgeschichte selbst, die zu einer völlig anderen Interpretation führen, als es die wahren Begebenheiten dürften. So gab Anneliese zwar durchaus an, von Luzifer persönlich, Kain, Judas und Nero besessen zu sein, statt der im Film genannten Legion und Belial, sprachen aus ihr jedoch angeblich noch Hitler und ein gewisser Herr Fleischmann (ich hab so eine Ahnung, wer in der Runde das Bier holen musste…), was… befremdlicher wirken dürfte. Ihre selbsterklärte göttliche Mission war es auch nicht, lediglich den Glauben in das Übernatürliche zu stärken – vielmehr hätte sich der Teufel mit ihrer Niederlage das Recht erkauft, seine Knechte die gottlosen Sowjets den dritten Weltkrieg entfesseln zu lassen, um so die Menschheit auszulöschen.
Wie diese bizarre Geschichte, fehlen dem Film auch Hinweise auf das ultrareligiöse Umfeld der Verstorbene, in dem nicht nur der Vater täglich in Angst vor Jüngstem Gericht und Atomkrieg lebte, sondern sich ein junges Mädchen auch schon durch das unschickliche Tragen von Hosen statt Röcken die Ewige Verdammnis einhandeln konnte.
Statt der genretypischen Fesselszenen, Gewitterhimmel und Tierangriffe, die er hinzufügte, hätte der Film zeigen können, wie Anneliese/Emily auf angeblichen Befehl der Jungfrau Maria Hunderte von Kniebeugen macht und Abfälle verzehrt, doch das naheliegende und psychologisch stimmige Bild missfiel wohl den Verantwortlichen.
Dennoch halte ich es auch für falsch, den Film in Bausch und Bogen zu verdammen, weil er angeblich Annelieses Andenken befleckt und ihre „Mörder“ (trotz aller aberglaubensbedingten Inkompetenz, zweifle ich nicht am guten Willen von Priestern und Familie) zu gut darstellt. Denn alles was geschah, geschah mit ihrem Willen – der durch katastrophale Erziehung und wahnhafte Zustände natürlich nicht mehr zurechnungsfähig war, aber niemand, der kein absoluter Befürworter von Zwangeinweisung und Entmündigung ist, kann hier vom hohen moralischen Ross sprechen. Kann man dem Film wirklich in Anneliese Michels Namen vorwerfen, dass er sie so zeigte, wie sie sich sah und gesehen werden wollte? Wäre es würdiger und angemessener gewesen, sie als arme Irre zu zeigen, denn als Märtyrerin? Ohne das völlig andere Thema, dass der Film die falschen Leute bestätigen könnte zu leugnen, erscheint mir das wenig einleuchtend.
Kurz: Als Grusel-Gerichtsfilm ganz gut, als Verfilmung des Anneliese Michel-Falls absolut daneben stünde es ihm gut an, die spärlichen verbliebenen Hinweise darauf zu tilgen und dazu zu stehen, einfach nur ein Phantasiewerk zu sein.
(Dirk M. Jürgens)