„The Legend of Billy the Corpse – Showdown at Deadman’s Dick“ von Dirk M. Jürgens
Im schäbigen und wilden Westen stellen sich ein geheimnisvoller Doktor und sein buckliger Handlanger einem der mörderischsten Pistoleros diesseits des Peco: Billy the Corpse. Der Kreis schliesst sich und das letzte Duell steht kurz bevor.. eine Kurzgeschichte von Dirk M. Jürgens – mit einer Illustration von Matthias Kempke. (Copyright 2005 by Weirdfiction.de)
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Die Sonne war längst untergegangen
und alle Stammgäste waren längst in Pete’s Saloon versammelt, als die Flügel der Schwingtür noch einmal aufschwangen und zwei Gestalten einließ, wie sie unterschiedlicher kaum sein konnten.Der eine war ein großer dünner Mann, jung, blond und nachlässig rasiert. Er hatte etwas an sich, das fühlen ließ, dass er das Schiff, welches ihn aus Europa gebracht hatte, noch nicht lange verlassen hatte. Sein verstaubter, aber feiner schwarzer Frack und sein kleiner Zylinder verstärkten diesen Eindruck und bildeten irgendwie einen Kontrast zu den beiden Pistolen an seinem Gürtel (ein Colt .44 und eine dieser neu entwickelten Halbautomatischen, wie Pete mit einem kurzen Blick erkannte).
Der andere war klein und hatte einen deutlichen Buckel. Gesicht, Hautfarbe und Kleidung ließen auf eine mexikanische Herkunft schließen, auch sein buschiger schwarzer Schnurrbart war da alles andere als ein Widerspruch. Auch er war bewaffnet, an seinem Gürtel waren zwei Revolver und auf dem Rücken trug er eine doppelläufige Flinte, ein prall gefüllter Patronengurt lief quer über seinen Oberkörper.
An und für sich waren Waffen in Pete’s Saloon nicht gestattet, aber im Anbetracht des nicht unbeträchtlichen Arsenals der beiden Fremden (jetzt im Hellen erkannte Pete noch eine Winchester auf dem Rücken des Großen und die Griffe eines Messers und eines Derringers in seinen Stiefeln) und des Greisenalters des Sheriffs (der gute Gideon war letzten Monat 62 geworden) übte er sich in Toleranz. Außerdem lenkte der Gegenstand, den die beiden an Seinen hinter sich herschleiften Petes Aufmerksamkeit von den Waffen ab: es war ein Sarg.
Keine der billig gezimmerten Kisten, die Jeremia, der Totengräber Schrägstrich Schreiner Schrägstrich Pfarrer von Deadman’s Dick in wenigen Stunden zusammenzimmerte, wenn einer der Einwohner gestorben war, sondern ein symmetrischer, sauber abgeschleifter und sicher nach den Regel irgendeiner Geometrie gefertigter Kasten dunklen Holzes, wie er – so glaubte Pete – toten Königen, Präsidenten und Europäern vorbehalten war.
Nachdem sie eingetreten waren, atmeten die Fremden (wohl von der Reise und dem Gewicht ihrer Last erschöpft) tief durch, ließen den Sarg neben der Tür stehen und steuerten den Tresen an, ohne sich daran zu stören, Zentrum der Aufmerksamkeit und Ziel zahlreicher neugieriger Blicke zu sein.
„’n Abend Wirt!“ rief der Kleinere, während er sich auf einen der Barhocker schwang. „Schütte mir mal `n großes Helles ein!“
Das Bestellverhalten seines hochgewachsenen Begleiters unterschied sich ebenso von dem seinen, wie es dessen Aussehen tat: Müde glitt er auf einen Hocker, sah sich fahrig im Flaschenregal um und murmelte dann den Wunsch nach einem kleinen Brandy, bitte sehr.
Pete erfüllte beide Wünsche, wusste dann aber nicht weiter. Er barst fast vor Neugier, was für eine Geschichte hinter diesen beiden Reisenden steckte, andererseits wusste er, dass man Revolverhelden – und um solche schien es sich ja zu handeln – niemals ein Gespräch aufdrängen sollte. Sein Vorgänger hatte diese goldene Regel missachtet, was auch der Grund für den Besitzerwechsel gewesen war.
Zum Glück war ein vorsichtiges Fragen überflüssig, da der Mexikaner in Redelaune war: „Sag mal, Wirt – hast du überhaupt `ne Ahnung, was hier heute noch los sein wird?“
„Nein, Sir, ich weiß von nichts.“ Steuerte Pete seinen ersten Beitrag zur Konversation bei.
„Heute Abend hat mein Boss hier“ – dabei deutete er mit dem Glas auf seinen Begleiter, der bloß dumpf in seinen Brandy starrte – „vor deiner Spelunke eine Verabredung. Aber nicht etwa mit einer heißen Senorita – nein, nein. Für so was bin ich zuständig!“
Er lachte dreckig, laut und meckernd und schenkte Sally – der hiesigen Bardame mit dem wenigsten Übergewicht – ein Grinsen zweier Zahnreihen, die von weiß über grau zu gelb verschiedene Farben aufwiesen. Die Attraktivität hielt sich auch für denjenigen in Grenzen, der nicht wusste, dass die Zähne durch Leichenfledderei zusammengesammelt worden waren.
„Nein, nein“ fuhr er fort, indem er einen Teil wiederholte. „Unser guter Doktor hat heute ein rendevous au revolver und zwar mit dem legendären Billy the Corpse!“
Da die Fremdlinge schon vorher der Mittelpunkt des allgemeinen Interesses waren, gab es keine Gespräche, die bei der Nennung des Namens verstummen konnten, dennoch war die Bestürzung der Anwesenden fast räumlich greifbar.
„Billy the Corpse?” keuchte Pete, das Entsetzen seiner Gäste zusammenfassend. „Ihr…ihr wollt euch allen Ernstes mit Billy the Corpse duellieren?“
Der als Doktor bezeichnete Mann sah mit flackerndem Blick auf: „Jawohl, ich hab die Sache angefangen, ich bringe sie auch zuende. So habe ich es schon immer gehalten!“
Dann versenkte er seinen Blick wieder in seinem Brandy, den er noch immer nicht angerührt hatte und überließ das weitere seinem Begleiter.Dieser nahm gleich einen kräftigen Schluck und grinste.
„Früher hat der gute Doktor mit seiner Arbeit nämlich ein bisschen geschlampt, hab ich recht? Im guten alten England wollten sie ihn wohl nicht mehr haben, nachdem er doch erst schon aus Deutschland weggemusst hat.“
Sein anschließendes Lachen ging in einem Gurgeln unter, als er sich den letzten Rest seines Bieres reinschüttete. Da er gleich ein weiteres bestellte, nutzte Pete die Gelegenheit, etwas nachzubohren: „Und darf ich fragen, was genau ihr mit Billy zu schaffen habt?“
„Zu schaffen?“ der Mexikaner gluckste vor Vergnügen. „Ge-schaffen trifft’s wohl eher. Der gute Doktor ist nämlich gewissermaßen sein Vater!“
„Es ist gut, Rodrigor!“ zischte ihn der Doktor, aus seiner Lethargie erwachend, an. „Du hast deinen Spaß gehabt, jetzt sollten wir uns vorbereiten!“
Rodrigor zuckte mit den Schultern, leerte sein zweites Glas in einem einzigen Zug und stand mit einem bedauernden Seufzer auf.
Sie gingen zu ihrem Sarg und öffneten ihn, die Blicke aller Anwesenden schossen sofort voll Sensationslust auf das Innere: Der Sarg war gefüllt mit Dynamit!
Während die zwei Gestalten begannen, die einzelnen Stangen zu verdrahten und mit Zündern zu versehen, rekapitulierte Pete, was er über Billy the Corpse wusste: Er war vor etwa einem Jahr in der Gegend aufgetaucht, angeblich hatte er sich vorher in den Indianergebieten herumgetrieben, zumindest fürchteten ihn die Rothäute, wie der Teufel das Weihwasser und nannten ihn einen bösen Geist. Doch nicht nur abergläubische Wilde ertappte man bei solchen Gedanken: Billys beispiellose Brutalität, seine enorme Größe von weit über zwei Metern und sein zernarbtes Äußeres vermochten auch das Herz des gottesfürchtigsten Mannes zu erschüttern.
Niemand wusste, woher er kam, oder was ihn derartig entstellt hatte – sein gesamter Körper war von dicken groben Nähten und Narben überzogen. Seine Hautfarbe war ungleichmäßig, an manchen Stellen leichenblass, an anderen von einer tiefdunklen Sonnenbräune (eine Hure hatte Pete für einen Drink einst erzählt, dass sein Ding von Farbe und Größe dem eines Negers glich). Während seine linke Hand groß und behaart war, war seine Rechte dünn, langfingerig und bleich; ebenso waren seine Augen von verschiedener Farbe, das rechte blau und das linke braun.
Trotz seiner schweren Verletzungen war er jedoch ein stärkerer Mann und besserer Schütze, als alle anderen, die je in Deadman’s Dick aufgetaucht waren – definitiv kein Mann, mit dem man sich freiwillig anlegte.
Die beiden Wahnsinnigen, die scheinbar genau das getan hatten, waren inzwischen mit ihrer Arbeit fertig. Während der Doktor den Sarg wieder nach draußen schleppte, schlenderte Rodrigor zurück zur Bar.
Forscher geworden, schob ihm Pete ungefragt ein Bier herüber und nutze die Gelegenheit für weitere Fragen: „Sagt mal. . .dieser Billy ist echt ein übler Bursche. Seid ihr sicher, dass ihr ihn wirklich herausfordern wollt?“
„Aber hallo!“ grinste Rodrigor durch den Bierschaum hindurch. „Der Doc ist jetzt schon über zwei Jahren hinter dem Bastard her, da kneifen wir doch jetzt nicht.“
„Seit zwei Jahren? Was zum Henker hat er denn getan?“
„Oh, gar nichts. Ich sagte ja schon, der Doktor hat ihn selbst gebastelt und da sieht er es gar nicht gerne, wenn der Kerl verrückt spielt.“
Diesmal hakte Pete nach: „Wie . . . gebastelt?“
„Ja sagt mal, habt ihr Leute euch nie gefragt, was das für Nähte in der Visage vom guten alten Billy sind? Der Hurensohn ist aus den besten Revolverhelden des Landes zusammengesetzt, nur die besten Teile! Seine rechte Hand ist die von Mad Dog McClusky, die linke von Wild Bobby Snyder – ihr wisst ja, der gute Bobby war Linkshänder.“
Offenbar waren Pete seine Zweifel am Gesicht abzulesen, denn nach einem weiteren großen Schluck beteuerte der Bucklige weiter:
„Ob du’s glaubst oder nicht, drüben in Europa war unser Doktor mal `ne ganz große Nummer. Ist dann aber wegen so’n paar komischen Geschichten mit Leichenteilen und so ziemlich unbeliebt geworden und hat dann lieber hier weitergemacht. – Eigentlich wollten wir Billy nicht ganz ausknipsen, sondern ihn noch mal überarbeiten – darum auch der Sarg, eigentlich wollten wir ihn da drin transportieren – aber inzwischen hat der Doc das aufgegeben.“
Bei einem weiteren Schluck sah er sich im Raum um.
„Deadman’s Dick. . .das ist’n ulkiger Name für `ne Stadt. Hat dem alten Gammel-Billy wohl so gut gefallen, dass er in der Gegend geblieben ist. Passt ja auch!“
Diese Bemerkung ließ Pete unkommentiert. Die Entstehungsgeschichte des Stadtnamens war ihm zwar bekannt, dennoch pflegte man Fremden den Umstand zu verschweigen, dass ihr Gründer die Stadt nach einem mumifizierten Talisman benannt hatte, der ihm hier einst von Indianern geschenkt worden war (und den man, trotz der testamentarischen Verfügung des Besitzers, ihn in einem Museum aufzustellen, verschämt auf den Abfall geworfen hatte).
Kurz darauf kehrte auch der Doktor zurück; er brachte eine lange Zündschnur mit, die zu einem kleinen Kasten führte, den er achtlos neben der Tür abstellte, setzte sich wieder schweigend vor seinen Brandy und sah von Zeit zu Zeit auf seine silberne Taschenuhr.
Die nächsten Stunden verstrichen ereignislos.
Rodrigor erzählte einige dreckige Episoden seines wildbewegten Lebens, flirtete mit verschiedenen der anwesenden Damen und verschwand zwischendurch für einige Minuten mit Sally in ein Hinterzimmer, ohne, dass sein Boss Notiz davon nahm.
Doch schließlich war es soweit: alle Anwesenden zuckten kollektiv auf, als um Punkt Mitternacht von draußen die schauerliche krächzende Stimme von Billy the Corpse, mit dem, ihr eigenen Hall ertönte:
„Viktor! Komm raus und zeig dich, wenn du es wirklich zuende bringen willst!“
„Komme schon!“
Mit einem Seufzen erhob sich der Doktor von seinem Hocker, zog eine Geldbörse aus der Tasche und suchte eine Weile darin herum. Als er endlich eine passen wirkende Münze gefunden hatte, warf er sie achtlos auf den Tresen und sah seinen Assistenten auffordernd an.„Nun gut, dann ist es jetzt wohl soweit. Rodrigor – versau’s nicht!“
Trotz der ernsten Lage lachte der Bucklige wieder sein scheußliches Lachen: „Keine Sorge, Doc. Ich will nicht Schuld sein, wenn der gute Billy morgen Ihre cojones an der Halskette trägt!“
Er hockte sich vor den Zündkasten und betätigte eine kleine Kurbel, während der Doktor auf die Straße trat.
„Ist euch mal aufgefallen, wie komisch Billy redet?“ plauderte Rodrigor unbekümmert. „Das liegt daran, dass er die Stimmbänder von zwei verschiedenen Kerlen im Hals hat!“
Kaum war der Doktor auf der Straße, sprangen alle Gäste und Angestellte Pete’s Saloons an die Fenster, um das Geschehen zu verfolgen, auch Pete wollte sich das Schauspiel nicht entgehen lassen und verließ seinen Platz hinter der Theke.
In seiner gewaltigen zwei-Meter-nochwas-Schrecklichkeit stand er vom Vollmondlicht umflutet mitten auf der Straße, ein teuflisches Grinsen auf dem Gesicht und die Hände auf den Griffen seiner Revolver – Billy the Corpse.
Er lachte sein grässliches Lachen, als er den Doktor vor sich auf die Straße treten sah.
„Oha, Viktor! Du bist tatsächlich gekommen? Alle Achtung!“
Von der Mutlosigkeit und Nervosität des Doktors war nichts mehr geblieben, er strahlte nur noch kalte Entschlossenheit aus:
„Ich habe doch gesagt, ich würde es heute zuende bringen.“
„Ja, das hast du.“ Billy trat ein paar Schritte näher und entdeckte den Sarg, der am Straßenrand stand.
„Ach, du hast die Hoffnung noch immer nicht aufgegeben? Du willst noch mal versuchen, dir einen Menschen zu basteln?“
„Was dachtest du denn?“ schleudert ihm der Doktor mit fanatischem Eifer in der Stimme entgegen. „Ich habe den Tod besiegt, denkst du, da lasse ich mich wegen irgendwelcher Nebenwirkungen abschrecken?“
Ein Grinsen kroch unregelmäßig über Billys asymmetrische Gesichtszüge:
„Schau’n wir mal, ob du auch deinen eigenen Tod besiegst!“
Mit der unglaublichen Schnelle, die schon so vielen zum Verhängnis geworden war, flogen Billys narbige Hände zu den Waffen.
Doch auch er konnte diese lange Bewegung nicht schneller ausführen, als Rodrigor drinnen die kurze Bewegung, auf den Zündhebel zu drücken!
* * *
Es dauerte einige Zeit, bis das Pfeifen auf den Ohren der Barbesucher auf ein erträgliches Maß zurückgesunken war. Es würde jedoch um einiges länger dauern, bis auch die Erinnerung an Billys linken Arm verblasste, und wie er noch abgerissen im Staub liegend im Reflex die sechs Kugeln seiner Waffe verschoss. Zwar traf er mangels Augen lediglich dreimal eine Hauswand und einmal ein Fenster, aber auch das war durchaus eine reife Leistung für einen Toten – und nebenbei der Beweis, dass Wild Bobby Snyder wohl der schnellere Schütze als Mad Dog McClusky gewesen war (da sich die beiden zu Lebzeiten nie begegnet waren, war das Thema schon lange Gegenstand zahlreicher Spekulationen und Dime-Novels).
Die beiden Fremdlinge verloren nicht mehr viel Zeit, ohne Billys qualmende Überreste weiteren Untersuchungen zu unterziehen hatten sie ihre Pferde gesattelt um weiterzuziehen.
Pete fiel auf, dass sie Explosion des Sarges auch Jimbos Pferdestall mit ins Verderben gerissen hatte, wofür die beiden wohl, streng juristisch gesehen, ebenso haftbar waren, wie für die geborstenen Scheiben seines Saloons, aber er würde den Teufel tun und sie darauf ansprechen.
Als sie davonritten, war der eben noch so aufgebrachte, kurz davor so lethargische Doktor bei bester Laune:
„Weißt du, Rodrigor…“ hörte Pete ihn fröhlich schwatzen, während sie sich entfernten „Ich denke, für unseren nächsten Versuch sollten wir mal einen völlig anderen Ansatz versuchen. Ein alter Indianer hat mir erzählt, hier ganz in der Nähe gäbe es einen Ort, den seine Leute als eine Art Haustierfriedhof benutzen. Ich denke, den sollten wir uns mal ansehen!“