„Ein Weihnachtslied in Binären“ von Dirk M. Jürgens
Zu Weihnachten lieferten wir 2004 ein buntes Paket mit einer Geschichte von Dirk M. Jürgens, in der sich ein einsamer Gesetzloser in den Tiefen des Weltalls vor seinen Häschern versteckt. Auf einem kleinen Planetoiden wähnt er sich in Sicherheit, doch es gibt einen Mann, der ihn selbst hier aufspüren kann… Dirk nannte diese Geschichte „Ein Weihnachtslied in Binären“.
(Copyright 2004 Weirdfiction.de)
Das Dröhnen eines landenden Raumschiffs riss Mad Billy Marquard aus seinem unruhigen Schlaf. Sofort griff er zu seinem Photonenrevolver und sprang auf, um nachzusehen, wer der Besucher war.
Ein rot lackierter Raketenschlitten landete mitten in der Steinwüste vor Billys Versteck, der Pilot trug eine rote Titaniumrüstung, an Gürtel, Ärmeln und Stiefeln waren Borten weißen Kunstfells befestigt, ein Helmbusch demselben Material vervollständigte die absurde Erscheinung.
Seit Mad Billy vor einem halben Jahr auf diesem namenlosen und ansonsten unbewohnten Planetoiden untergekommen war, hatte er keine anderen Menschen gesehen. Natürlich war die Einsamkeit auf Dauer hart zu ertragen, aber als, mit siebzehn Jahren, Jüngster auf der Liste der Meistgesuchten war es für ihn ratsam, jeden Kontakt zu vermeiden – die 50.000 Units, die auf seinen Kopf ausgesetzt waren, machten jeden zu einem potentiellen Feind.
„Ho ho ho!“ rief der Fremde. “Ist hier jemand?”
Billy beschloss, das Risiko einzugehen und sich zu zeigen, der Fremde sah nicht wie ein Kopfgeldjäger aus. Sollte dieser Eindruck täuschen – nun, dann würde Billys Revolvergriff wohl eine weitere Kerbe aufnehmen müssen.
Die Waffe in der Tasche versteckend trat er aus seiner Höhle und winkte dem bizarren Rotgekleideten zu.
„Ach hallo. Also doch jemand hier!“ Der Fremde wuchtete einen großen, mehrfach geflickten Sack von seinem Gefährt und trat näher. Er entpuppte sich bei näherem Hinsehen als ein dicker Mann mit weißem Bart und roter Nase, der trotz seiner modernen Weltraumrüstung irgendwie altmodisch wirkte.
„Haben Sie sich verflogen?“ gab sich Billy leutselig. „Hier kommt sonst nie einer vorbei.“
„Oh nein, nein.“ Entgegnete der Alte. „Ich komme ziemlich rum…sag mal, Junge…hast du nicht vielleicht einen Drink für einen alten Reisenden? Glühwein wäre gut, gerne auch ein paar Kekse.“
Blitzschnell überdachte Billy die Situation: Der Alte hatte eine Menge Gepäck dabei, es wäre sinnvoll, herauszufinden, ob etwas von Wert dabei war. Wenn ja, dann wäre die Reise des Alten hier zuende, wenn nicht, so war es besser, ihn ziehen zu lassen. Man konnte nie wissen, wer ihn vermisste, und Billy hatte nicht vor, für einen Sack voll Gerümpel die Polizei auf seine Spur zu locken.„Ah, das tut gut!“ seufzte der Alte genüsslich, und lehnte sich zurück. Billys Höhle war zwar nur notdürftig eingerichtet, doch sie verfügte über eine Heizung und einen kleinen Vorrat an Bourbone, an dem sie sich nun gütlich taten.
Ziemlich erbärmlich, wenn man bedachte, dass er sein Exil einem Banküberfall mit vier Toten verdankte, doch nachdem er bei der Flucht aus einem drittklassigen Motel (die einen weiteren Toten forderte) seine Beute zurücklassen musste, sah er sich gezwungen, etwas kürzer zu treten.
„Und?“ fragte er wie beiläufig. „Was machen Sie so beruflich?“
Ein Hauch von Stolz fuhr über das Gesicht des Fremden: „Nun,…ich bin der Weihnachtsmann!“
„Wer bitte?“
„Der Weihnachtsmann. Ich ziehe jedes Jahr am vierundzwanzigsten Dezember los, um den artigen Kindern Geschenke zu bringen.“ Er nahm einen weiteren Schluck. „Ich gehe auf den Heiligen St. Nikolaus zurück und habe ursprünglich armen Leuten milde Gaben in die Stiefel gesteckt.“ – „Ah, so `ne Art Heilsarmee-Nummer?“
Nachdenklich wiegte der Weihnachtsmann den Kopf. „Ja…könnte man so sagen. Aber das ist schon ewig vorbei. Als das Christentum aus der Mode kam, verlagerte sich meine Arbeit mehr in…hm bürgerliche Bereiche. Genauer gesagt: ich bringe artigen Kindern Geschenke. Viele Geschenke!“
Eigentlich wollte Billy hier eine Floskel einschieben, doch der Alte ließ ihn nicht zu Wort kommen, da ihm das Thema scheinbar wirklich auf der Zunge brannte.
„Das ist ein verdammt harter Job, kann ich dir sagen. Die Menschen haben sich vermehrt, das glaubt man gar nicht. Umso schlimmer, dass nach meinen Kriterien jeder unter achtzehn als Kind gilt und dank antiautoritärer Erziehung und so praktisch jeder als artig durchgeht. Von den riesigen Entfernungen zwischen den Planeten mal gar nicht zu reden.“
Billy begann, ernsthaft am Verstand des Alten zu zweifeln und wünschte, er würde bald verschwinden. Er hielt es für relativ unwahrscheinlich, dass Irre für gewöhnlich etwas wertvolles bei sich hatten.
„Früher hatte ich ja wenigstens noch meine Werkstatt am Nordpol, wo ich `n bisschen was selber machen konnte, aber dank Treibhauseffekt muss ich heute alles extra kaufen. Meine Güte, du kannst dir nicht vorstellen, was mich das jedes Jahr kostet!“
Bei diesen Worten horchte Billy auf, sollte der alte Spinner Geld dabei haben?
„Und wie kriegen Sie das ganze Geld zusammen?“
„Na ja…ich ab ja wenigstens meine Liste, wo die Namen und Adressen von allen artigen und unartigen Kindern draufstehen…“
„Ich versteh nicht ganz.“
Der Alte griff in seinen Sack: „Ich zeig’s Ihnen.“
Auf einmal hatte er einen Kaliber 7 Neutronenblaster in der Hand, seine freundlichen Augen wirkten plötzlich eiskalt.
„Mad Billy Marquard – du warst dieses Jahr sehr unartig!“
Billy versuchte noch, seinen Revolver zu ziehen, doch mit seinen seit Ewigkeiten geübten Reflexen war der Alte schneller.Sorgfältig verpackte der Weihnachtsmann Billys abgetrennten Kopf in Plastikfolie. Von der Prämie konnte er eine Menge Geschenke für eine Menge artiger Kinder kaufen.
Er steckte den Kopf zu den anderen in den Sack und lud ihn wieder auf seinen Schlitten.
Der nächste Name auf seiner Liste war Gabriella Macucci, die „Schwarze Witwe von Makrilon 3“, auf ihren Kopf war die stolze Summe von 100.000 Units ausgesetzt. Wenn er sie hatte, würde es für dieses Jahr reichen.Dann konnte es endlich Weihnachten werden!